Dauerregen: Katastrophenalarm im Harz
26. Juli 2017Vor allem in Niedersachsen und Thüringen halten überflutete Straßen, vollgelaufene Keller und über die Ufer getretene Bäche und Flüsse derzeit die Rettungskräfte in Atem. Besonders dramatisch ist die Lage im Harz und seinen Ausläufern. Angesichts der "angespannten Hochwassersituation" rief der Landkreis Goslar Katastrophenalarm aus. Ab sofort übernehme der Katastrophenschutzstab des Landkreises die Gesamtverantwortung und übergeordnete Koordination, teilte die Verwaltung mit.
"Land unter" in Bad Harzburg
Tief "Alfred" setzte einigen Orten in dem Kreis schwer zu. In der Kleinstadt Bad Harzburg wurde der Bahnhof gesperrt. "Hier ist Land unter", sagte eine Verwaltungsmitarbeiterin in Bad Harzburg. Dort stand das Wasser in vielen Straßen mindestens 20 Zentimeter hoch. Nichts ging mehr am Bahnhof, wo die Gleise unter Wasser standen. Auch die Bundesstraße 4 war teilweise unpassierbar, wie eine Polizeisprecherin mitteilte. 350 Feuerwehrleute waren im Dauereinsatz. Die Polizei orderte Verstärkung an.
Äußerst angespannt war die Lage auch in der 40.000-Einwohner-Stadt Goslar selbst, wo braune Wasserfluten durch die Straßen strömten. Die gesamte Innenstadt wurde gesperrt. Unter anderem musste auch ein Altenheim evakuiert werden, weil das Wasser ins Erdgeschoss des Gebäudes eingedrungen ist.
Innerste fast sieben Meter tief
Auch in Hildesheim behielten sich die Einsatzkräfte die Möglichkeit einer Räumung eines Wohngebiets vor. "Bisher halten unsere Dämme. Wir sind hier aber nach wie vor auf alles vorbereitet. Auch auf eine Evakuierung", sagte ein Sprecher der Feuerwehr. Sollte ein bedrohtes Wohngebiet geräumt werden müssen, wären laut Stadt 1100 Menschen betroffen. "Die Türen einer Notunterkunft stehen offen", machte ein Stadtbediensteter nochmals deutlich. Einige Anwohner haben sich bereits vorsorglich dort hinbegeben und werden mit dem Nötigsten versorgt.
Der Pegel des Flusses Innerste erreichte in der vergangenen Nacht mit einer Höhe von 694 Zentimetern einen Rekordwert, wie die Feuerwehr weiter bekannt gab. Die an besonders kritischen Stellen am Fluss verbauten Sandsäcke hielten dem Druck bislang weitgehend stand; an einigen Stellen sickert Wasser durch - jedoch ausschließlich an Grünflächen entlang der Innerste.
Dauerregen und Hochwasser brachten in Niedersachsen auch Tausende Bahn- und Buspendler in Nöte. Regionalverbindungen wurden gesperrt. Im Busverkehr kam es wegen Erdrutschen und Straßensperren zu Ausfällen und Verspätungen.
Vermisste Frau in Fluss gestürzt?
Auch in Sachsen-Anhalt und in Brandenburg ist die Lage wegen des Dauerregens angespannt. Die Zillierbachtalsperre oberhalb von Wernigerode droht überzulaufen. "Wir rechnen damit, dass es am späten Nachmittag oder am Abend passiert", sagte Maren Dietze, Leiterin des Talsperrenbetriebs Sachsen-Anhalt. In Wernigerode selbst verschwand eine 69-Jährige in der Nähe eines Flusslaufes. Nach Angaben eines Polizeisprechers wohnte die Frau direkt an dem stark angestiegenen Fluss Holtemme. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass sie in diesen hineingefallen ist.
Eine kleine Atempause melden die Einsatzkräfte aus Thüringen. Die Pegelstände der Flüsse steigen demnach derzeit nur langsam. In Göllingen im Kyffhäuserkreis verstärkte die Feuerwehr nach heftigen Regenfällen einen Damm an der Wipper. Am Dienstag gab es in dem Bundesland etliche Autounfälle wegen Aquaplaning. Gullideckel wurden aus ihrer Verankerung gedrückt, überflutete Straßen gesperrt.
"Berlin am Rand der Fahnenstange"
Der anhaltende Niederschlag machte auch der U-Bahn in Berlin Probleme. Zwei Linien konnten am Dienstag streckenweise nicht fahren. Die deutsche Hauptstadt ist in diesem Sommer ein Regenloch. "Wir haben jetzt schon 304 Prozent des Mittelwerts für einen Juli gemessen", sagte Heiko Wiese, Meteorologe an der Freien Universität. "Das ist am Rand der Fahnenstange."
Dauerregen und teils kräftige Böen führten auch in Mecklenburg-Vorpommern vereinzelt zu Schäden. Ein Campingplatz in Hohenkirchen wurde überschwemmt. Auf Straßen gab es wegen des Wetters lange Autokolonnen. In Greifswald stürzte ein Baugerüst um. Bei einem Unfall bei Dauerregen auf der Insel Rügen wurden zwei Urlauber lebensgefährlich verletzt.
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) warnt weiter vor teilweise extrem ergiebigem Dauerregen, vor allem in der Mitte und im Osten Deutschlands sowie im Schwarzwald und im Alpenvorland. Die Wetterlage soll sich in den kommenden Tagen allerdings etwas beruhigen. Tief "Alfred" zieht nach Osten weiter und setzt dem Dauerregen ein Ende, wie der DWD mitteilte. Sommerlich-schön wird es deshalb aber nicht, jedenfalls nicht sofort: Erst zum Wochenende sollen die Temperaturen wieder steigen.
se/ml (dpa, afp, rtr)