Platt soll bleiben
17. September 2009Kurz vor dem Mittagessen ist im Kindergarten "Rappelkiste", im Auricher Stadtteil Walle, Zeit für die Geschichte "Dicker, fetter Pfannkuchen". Rund 15 Kinder sitzen im Stuhlkreis um Kindergärtnerin Maria Ganther herum, die ihnen die Geschichte vorliest und sie immer wieder zum Weitererzählen ermuntert - all das auf Plattdeutsch. Denn der Kindergarten "Rappelkiste" ist seit mehr als zehn Jahren zweisprachig.
Maria Ganther ist eine von den Kindergärtnerinnen, die immer Plattdeutsch mit den Kindern sprechen, andere dagegen sprechen immer Hochdeutsch - egal, ob beim Frühstück, beim Händewaschen oder Basteln. Manchmal holt Maria Ganther auch Karten mit aufgemalten Symbolen heraus und fragt die Kinder, wie die jeweiligen Begriffe - beispielsweise Stuhl, Schrank oder Schere - auf Plattdeutsch heißen.
Plattdeutsch hat ein Imageproblem
"Wir merken, dass immer weniger Kinder schon mit Plattdeutsch zu uns kommen", sagt die gebürtige Ostfriesin Ganther. "Aber sie gewöhnen sich schnell daran und wenn sie mal etwas nicht verändern, dann übersetzt ein anderes Kind oder wir erklären mit Gestik oder Mimik, was wir meinen."
Eine Umfrage unter Jugendlichen in Ostfriesland hat vor kurzem ergeben, dass zwar 50 Prozent von ihnen noch Plattdeutsch verstehen, aber nur 20 Prozent es auch sprechen - das ist zu wenig um die Sprache zu erhalten. Deshalb wird in über 60 Kindertagesstätten in der Region seit einigen Jahren auch Plattdeutsch gesprochen.
Die Idee kommt von der "Ostfriesischen Landschaft", einer Institution zur Förderung ostfriesischer Kultur, die sich mitten im Auricher Zentrum, in einem prächtigen roten Backsteingebäude befindet.
Geheimwaffe Plattdeutsch-Büro?
Seit 1992 gibt es hier auch ein Plattdeutsch-Büro, das sich um den Erhalt der Sprache in allen Bereichen des öffentlichen Lebens kümmert. Doch Leiterin Cornelia Nath hat es nicht immer leicht: "Die einen sagen: 'Was wollen die denn? Plattdeutsch gibt es hier seit 500 Jahren, da brauchen wir kein Plattdeutschbüro'. Und die anderen sagen: 'Ihr kommt zu spät. Plattdeutsch stirbt sowieso aus'."
Vor allem hat Plattdeutsch jedoch ein Imageproblem: Es gilt bei vielen jüngeren Menschen in der Region als Sprache der Landbevölkerung. "Es gibt hier Menschen, die negative Vorbehalte gegenüber Plattdeutsch haben und sagen: 'Wir wollen und brauchen die Sprache nicht mehr, das ist Geschichte, lasst uns damit in Ruhe'", sagt Nath. Außerdem beklagt Nath, dass Eltern lange zu Unrecht eingetrichtert worden sei, dass Kinder, die mit Plattdeutsch aufwachsen, später Probleme mit Hochdeutsch hätten.
Plattdeutsch als Unterrichtssprache in der Grundschule
Nath und ihre Mitarbeiter wollen dagegen ankämpfen - unter anderem mit dem Projekt der dreisprachigen Grundschule. Schon ab 2011 könnte ein Pilotprojekt in Ostfriesland starten: Deutsch und Plattdeutsch wären dann von Anfang an Unterrichtssprachen, in der dritten Klasse käme Englisch hinzu. "Wir machen die Erfahrung, dass Kinder, die auf Plattdeutsch aufwachsen, sich auch des Hochdeutschen viel bewusster sind", sagt sie. Cornelia Nath selbst ist keine gebürtige Ostfriesin und hat erst später Plattdeutsch gelernt. "Aber ich lerne gern von den Ostfriesen", sagt sie.
Zehn Kilometer entfernt von Aurich arbeitet Pastor Andreas Chrzanowski im Ort Holtrop - auch er ist kein Platt-Muttersprachler. Vor 15 Jahren zog er aus Ostdeutschland in den äußersten Nordwesten Deutschlands und merkte schnell: Ein "Moin, Moin" zur Begrüßung reicht hier nicht. Denn für viele seiner Gemeindemitglieder, vor allem für die Älteren, ist Plattdeutsch Alltags- und Muttersprache.
So meldete sich Chrzanowski für Platt-Kurse an der Kreisvolkshochschule an und suchte im Dorf nach geduldigen Privatlehrern. Heute hält er manchmal auch Predigten "up Platt" - und sagt, dass er Plattdeutsch sehr zu schätzen gelernt hat: "Es ist eine bilderreiche und einfache Sprache, die sehr direkt ist - damit kommt man den Menschen hier schnell sehr nah."