"Wunder" deutsch-israelischer Beziehungen
18. April 2018Über diesen Besuch war der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu sichtlich erfreut. Außenminister Heiko Maas war Ende März zu seiner Antrittsvisite nach Israel gereist. Netanjahu sagte nach dem Gespräch mit Maas: "Sie haben unsere Herzen erreicht mit den Dingen, die Sie über den Holocaust und Rassismus gesagt haben."
Maas war mit dem erkennbaren Ziel nach Israel gereist, die eingetrübten Beziehungen zu verbessern. Er sei "nicht wegen Willy Brandt und nicht wegen der Friedensbewegung in die Politik eingetreten, sondern wegen Auschwitz", hatte Maas schon bei seinem Amtsantritt im Auswärtigen Amt gesagt.
Maas setzt auf Entspannung
Der deutsche Außenminister knüpfe an die traditionell guten Beziehungen an, erläutert der streitbare deutsch-israelische Publizist Michael Wolffsohn im DW-Interview: "Er hat wieder einen freundlichen Ton gegenüber Israel gefunden." Vorher, sagt Wolffsohn, sei durch Amtsvorgänger Sigmar Gabriel "viel Porzellan zerschlagen worden". Gabriel hatte sich im vergangenen Jahr mit einer Israel-kritischen Menschenrechtsorganisation getroffen und damit Netanjahu vergrätzt.
Politischer Streit, das ist längst normal geworden zwischen beiden Ländern. Für Lidia Averbukh von der Stiftung Wissenschaft und Politik sind die Gründe klar. Im Interview mit der DW sagt sie, "dass die Beziehungen sich weniger abgekühlt haben", sie seien "vielmehr ins Stocken geraten". Man habe vor allem zur Siedlungspolitik verschiedene Ansichten und sehe zunächst keinen Weg, diese Kluft zu überwinden. Hinzu kämen die grundverschiedenen Ansichten in Bezug auf den Status Jerusalems. Averbukh ergänzt aber, dass die engen deutsch-israelischen Beziehungen nur wenige Generationen nach der Shoah schon ein "Wunder" seien, sie wirkten sogar wie ein "Märchen", wie manche Politiker meinten.
"Völlig ahistorische Legende"
Ganz so euphorisch sieht es Michael Wolffsohn nicht. Und er will nachdrücklich noch eine "Legende" abräumen: "Ohne Holocaust kein Israel, beziehungsweise ohne Hitler kein Israel." Das sei völlig ahistorisch. Vielmehr sei die Staatsgründung am 14. Mai 1948 schon lange vorbereitet worden: als Teil der Entkolonialisierung.
Nun, 70 Jahre später, wird die Staatsgründung in Israel - begleitet von internationaler Berichterstattung - jedenfalls ausgiebig gefeiert. Und das schon ab dem 18. April, da sich das Land am hebräischen Kalender orientiert.
Geteilter deutscher Blick
In Deutschland war 1948 das Interesse der Öffentlichkeit an dem neuen Staat eher gering. Vergessen, Verdrängen, Aufbau und der heraufziehende Kalte Krieg beschäftigten die Menschen damals offenbar viel mehr als die Gründung Israels.
Ein Blick in die Zeitungen zeigt deutliche Unterschiede zwischen der Berichterstattung im Osten und im Westen Deutschlands. Viele Zeitungen im Westen machten mit Berichten über die Staatsgründung auf den Titelseiten auf. Die "WAZ" schrieb: "Juden proklamieren Staat Israel", die "Welt": "Jüdischer Staat proklamiert". Die Gründung Israels stand im Vordergrund der Berichterstattung; die gleichzeitige Kriegserklärung der Arabischen Liga blieb eine Randnotiz.
Anders das Bild in der Ostpresse. Die Zeitung der Ost-Liberalen, "Der Morgen", meldete groß auf der ersten Seite: "Arabische Liga erklärt 'Israel' den Krieg". In der Meldung der Ost-Nachrichtenagentur ADN stand der Krieg gegen Israel ebenso deutlich im Zentrum und nicht die Staatsgründung. "Keine breite Euphorie angesichts der Staatsgründung Israels", stellte Oren Osterer 2014 fest. Er hatte in seiner Doktorarbeit die Presserezeption in der SBZ untersucht, der sowjetisch besetzten Zone.
Ben Gurion und Adenauer wagen Diplomatie
Bundeskanzler Konrad Adenauer war es, der Anfang der 1950er Jahre vor dem Hintergrund der drängenden Reparationsfrage erste Impulse setzte. Im September 1951 bekannte er sich vor dem deutschen Bundestag zur Schuld und Verantwortung des deutschen Volkes an den NS-Verbrechen. 1960 traf er den israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion im Hotel Waldorf Astoria in New York. Der Prozess gegen Adolf Eichmann in Israel Anfang der 1960er Jahre war ein weiteres wichtiges Kapitel. Erstmals wurde die Schuld der Deutschen vor einer breiten Weltöffentlichkeit - und in beiden Ländern - breit diskutiert.
Es folgte 1965 die offizielle Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Im Juni 1973 besuchte Bundeskanzler Willy Brandt als erster deutscher Regierungschef Israel. Noch heute genießt er dort als Vertreter einer aktiven Friedenspolitik und Wegbereiter engerer Beziehungen hohes Ansehen. Zwei Jahre später erfolgte der Gegenbesuch von Ministerpräsident Jitzchak Rabin.
Eine weitere Zäsur war die Rede von Kanzlerin Angela Merkel vor dem israelischen Parlament vor zehn Jahren zum 60. Jahrestag der Staatsgründung. Sie steckte damals die Linie der Außenpolitik ab: "Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar."
Kampf gegen Antisemitismus
Seitdem sind die Beziehungen aber merklich abgekühlt, zwischen Kanzlerin Merkel und Netanjahu stimmt die Chemie offenbar nicht. Aber, sagt Wissenschaftlerin Lidia Averbukh, die Verbundenheit zu Israel bleibe Grundkonstante: "Im neuen Koalitionsvertrag wird das unverbrüchliche Existenzrecht Israels mehrfach betont und als ein 'Pfeiler deutscher Politik' bezeichnet."
Auch der Kampf gegen Antisemitismus ist so etwas wie Staatsdoktrin. Dass israelische Flaggen in Deutschland öffentlich verbrannt, jüdische Kinder in Schulen gemobbt werden, das will die Politik nicht hinnehmen. Auch Publizist Michael Wolffsohn kennt die Zahlen: 1453 Straftaten gegen Juden oder jüdische Einrichtungen im vergangenen Jahr. Doch er bleibt gelassen: "Dieses Phänomen können Sie nicht durch Knopfdruck durch die Regierung bekämpfen."
Auch den Stand der deutsch-israelischen Beziehungen beurteilt Wolffsohn nüchtern: "Beide Seiten haben doch ein Interesse an guten Beziehungen." Vor allem Deutschland könne da profitieren und zwar ganz praktisch: bei Sicherheitstechnologie zum Beispiel oder der Terrorismusbekämpfung. Trotz "kleinerer Reibereien", sagt Politikwissenschaftlerin Averbukh, die deutsch-israelischen Beziehungen seien einfach "erstaunlich".