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Das Weltgericht

Peter Philipp/(kas)11. April 2002

Mit der feierlichen Hinterlegung der 60. Ratifikationsurkunde bei den Vereinten Nationen in New York kann der Internationale Strafgerichtshof nun Wirklichkeit werden.

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Der Sitz des Internationalen Strafgerichtshofs im niederländischen Den HaagBild: AP

Die Zustimmung von mindestens 60 Staaten war notwendig
gewesen, damit das 1998 in Rom verabschiedete Statut des
Gerichtshofes in Kraft tritt. Offiziell wird der Vertrag am 1.
Juli rechtswirksam. Der Gerichtshof soll dann im kommenden Jahr in Den Haag seine Arbeit aufnehmen.

56 Staaten hatten bereits die Ratifikationsurkunden hinterlegt. Zehn Staaten - Irland, Rumänien, Bulgarien, Kambodscha, die Mongolei, Niger, Bosnien, die Demokratische Republik Kongo, die Slowakei und Jordanien gaben am Donnerstag (11. April 2002) zeitgleich ihre Dokumente als "gemeinsame Sechzigste" ab, so dass diese Ehre nun nicht einem Staat allein zufällt.

Vier Jahre lang diskutierte man über ein Thema, das schon so alt ist wie die Menschheit selbst: Wie nämlich Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord geahndet werden können.

Der harte Weg

Am 17. Juli 1998 waren sich in Rom die Vertreter von 120 Staaten einig, dass ein Internationaler Strafgerichtshof eingerichtet wird, vor dem solche Fälle künftig behandelt werden sollen. 21 Staaten enthielten sich der Stimme und sieben weigerten sich, den Beschluß von Rom zu unterzeichnen. Zu den Gegnern des Beschlusses gehörten Staaten wie China, der Irak, Libyen, der Sudan, aber auch die USA.

Es wurde vereinbart, dass das Gericht seine Arbeit aufnimmt, sobald 60 Staaten den Vertrag von Rom ratifiziert haben würden. Kaum jemand hatte in jenen Stunden wohl gedacht, dass dies Jahre dauern könnte.

Dass damals nur vier Fünftel der Teilnehmer von Rom zugestimmt hatten, wurde auch von UN-Generalsekretär Kofi Annan mit einigem Optimismus übergangen oder heruntergespielt. Wer heute noch seine Einwände habe, sagte er seinerzeit, der werde von der Realität sicher bald eines Besseren belehrt werden.

Dass gerade die USA von Anfang an nicht ratifizieren wollten, das überraschte weltweit. Denn es waren doch vor allem die USA gewesen, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges die Grundlage schufen zur Aburteilung von Kriegsverbrechen und Völkermord, wie sie die Menschheit bis dahin nicht erlebt hatte.

Ein alter Traum

Schon 1943 hatten US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der britische Premierminister Winston Churchill und der damalige sowjetische Führer Josef Stalin bei einem Treffen in Moskau eine Vereinbarung getroffen: Die Verbrechen Nazi-Deutschlands sollten nach Kriegsende von einem internationalen Gericht untersucht und die Täter zur Verantwortung gezogen werden.

Ein Jahr später - der Krieg war noch im Gange - nahm in London eine "Kommission für Kriegsverbrechen" ihre Arbeit auf, um Material für den geplanten Prozess zusammenzutragen.

Der Krieg ging zu Ende. Am 8. August 1945 beschlossen die Alliierten in London eine Charta für die Einsetzung eines Militärgerichtes zur Verfolgung von Nazi-Verbrechern und am 18. Oktober wurden in einem rasch hergerichteten Gerichtssaal in Nürnberg die Namen der Angeklagten aufgerufen.

Die Hauptschuldigen wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet. 19 Staaten schlossen sich der "Charta von London" an. Die Nürnberger Prozesse gelten seitdem als weltweit erster Versuch, politische und militärische Führer eines Landes zur Verantwortung zu ziehen, weil sie sich schwerer und schwerster Verbrechen hatten zu Schulden
kommen lassen.

Es sollte 50 Jahre dauern, bis wieder Kriegsverbrecher vor ein
Internationales Gericht gestellt wurden: Im Frühjahr 1995 begann im Haag vor einem von der UNO eingesetzten "Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien" der erste Prozess gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher.

Nach dem Vorbild des Haager Gerichtshofs wurde ein Jahr später in der tansanischen Stadt Arusha das "Internationale Tribunal zur Aufarbeitung des Völkermords in Ruanda" eingerichtet. Seitdem müssen sich hier Ruander verantworten, denen Verbrechen während des Massenmordes in ihrer Heimat zur Last gelegt werden.

Allerdings blieben zahlreiche furchtbare Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Massenmorde ungesühnt: Die Hauptverantwortlichen für die Morde der Rote Khmer konnten sich in Kambodscha in Sicherheit bringen, der ugandische Diktator und Massenmörder Idi Amin fand Unterschlupf in Saudi-Arabien.

Wie ihm ging es den meisten Tyrannen der Neuzeit. Wer nicht entkommen konnte, mit dem wurde meist ein schneller Prozess gemacht: Im Falle des rumänischen Diktators Nikolaei Ceaucescu beispielsweise wurde nur kurze Zeit nach seiner Festnahme die Todesstrafe vollzogen.

Mit Justiz und Recht hatten solche Fälle selten etwas zu tun. Und so kam dann der Gedanke auf, dass derartige Verbrechen besser ein internationales, vor allem international anerkanntes Gericht aburteilen sollte. Die Tribunale für Ex-Jugoslawien und Ruanda gelten dabei als Vorbild für ein permanentes Gericht.

Waffe gegen Diktatoren

Der Internationale Strafgerichtshof soll, laut der offiziellen Definition, Individuen - nicht Staaten - ihrer gerechten Strafe zuführen, die schwerste Verbrechen begangen haben, die die internationale Gemeinschaft betreffen. So wie Völkermord, Kriegsverbrechen. Und Verbrechen gegen die Menschlichkeit - eingeschlossen Mord an Zivilisten, Folter und Massen-Vergewaltigung. Das Gericht soll eine globale Rechtsinstanz sein und internationale Rechtsprechung in Ergänzung nationaler Rechtswesen üben.

Die Rolle der USA

Die USA waren einer der Staaten, die sich für ein solches permanentes Gericht stark machten. Als es dann aber 1998 in Rom so weit war, machte Washington einen Rückzieher: US-Delegationsleiter David J. Sheffer erklärte, dass dies vor allem zum Schutz amerikanischer Soldaten geschehen sei.

Denn die USA betrachteten ein solches Gericht - ähnlich wie in Nürnberg - erst dann für sinnvoll, wenn das betreffende verbrecherische Regime besiegt sei. Washington
sehe aber seine Einsatzmöglichkeiten gegen jene Regime gefährdet, die das Abkommen selbst nicht unterzeichnet haben und deren Bürger deshalb nicht vom Gerichtshof belangt werden können.

Beispiel Irak: Als Nichtunterzeichner der Vereinbarung könnte Saddam Hussein die USA vor das Gericht zerren für Aktionen, die US-Soldaten im Irak durchgeführt haben. Denn für eine Klage reicht es in diesem Falle aus, dass die USA Mitglied der Vereinbarung ist.

Diese sicher recht spitzfindige Erklärung soll den USA vor allem die Handlungsfreiheit als "Weltpolizist" erhalten. Sie wird aber von den meisten anderen Staaten nicht akzeptiert, selbst nicht von engen Verbündeten der USA. Für Kritiker der US-Politik ist das eine willkommene Gelegenheit, den Amerikanern unehrliches Verhalten vorzuwerfen.

Derartige Vorwürfe bringt zum Beispiel auch Slobodan Milosevic vor dem bestehenden Haager Tribunal vor: Er spricht diesem Gericht seit seinem ersten Auftritt dort im Sommer vergangenen Jahres jede Rechtmäßigkeit ab.

Das Abkommen über den permanenten Internationalen Strafgerichtshof wurde erst jetzt - vier Jahre nach Rom - von den erforderlichen 60 Staaten ratifiziert. Es sind sogar über 60, doch die USA fehlen weiterhin. Trotzdem kann das Tribunal - ebenfalls mit Sitz in Den Haag - damit endlich eingesetzt werden.