Das Unglück des materiellen Glücks
10. April 2013Sie rauchen weniger Zigaretten, sind besser gebildet, und ungewollt schwanger werden sie - im Verlgeich zu ihren Eltern - auch nicht mehr so oft: Trotzdem aber sind viele deutsche Jugendliche unglücklich, zumindest unzufrieden. Das ist das Ergebnis einer internationalen Studie vom Kinderhilfswerk UNICEF, die am Mittwoch (10.04.2013) veröffentlicht wurde. Deutschland liegt in dieser Liste auf Platz 6 der 29 untersuchten Industrienationen. Bewertet wurden relative Armut, Gesundheit, Sicherheit und Bildung, sowie allgemeines Wohlbefinden.
Bei Letzterem hapert es: Jugendliche sollten im Rahmen der Studie ihre Lebenssituation selbst einschätzen. Das Ergebnis: Deutsche Kinder und Jugendliche sind pessimistisch. Jeder Siebte ist laut der Umfrage eher unzufrieden mit sich und seiner Situation. Damit rutscht Deutschland in dieser Kategorie auf Platz 22 ab. Zum Vergleich: 2007 lag Deutschland noch auf Platz 12 von damals 22 untersuchten Ländern. Die Ursachen liegen laut Professor Hans Bertram, Mitglied des Deutschen Komitees für UNICEF, an der "einseitigen Konzentration auf Leistung und formalen Erfolg", der dazu führt, dass sich viele Jugendliche ausgeschlossen fühlen.
Überbehütung und Verschonung?
Die These des UNICEF-Mitglieds Bertram bezweifelt Josef Kraus, Präsident des deutschen Lehrerverbandes. "Der Leistungsdruck, den unsere jungen Leute erleben, ist in gewisser Weise das Ergebnis einer Pädagogik der Verwöhnung, der Verschonung und der Überbehütung." Kurz: Das in Watte Packen habe in Deutschland zugenommen, was Kraus auch auf die wachsende Zahl der Ein-Kind-Familien zurückführt: "Da wird alles auf ein Kind projiziert." Allerdings, fügt der Pädagoge hinzu, würden nur etwa 20 Prozent aller Familien ihre Kinder überbehüten.
Der Stress, so Kraus, selbst seit 35 Jahren im Schuldienst, werde den jungen Menschen von ihrer Umgebung letztlich eingeredet. Das mache sie unglücklich, obwohl es ihnen eigentlich sehr gut gehe. "Diese Kluft zwischen günstigen realen Verhältnissen und der Einstellung dazu ist für mich ein gewisses Wohlstandsphänomen." Auch sei das Jammern ein typisch deutsches Phänomen, das in keinem anderen Land so ausgeprägt sei.
Ungleichheiten bleiben
Dass es nicht allen Kindern in Deutschland materiell gut geht, bestätigt auch die Studie. Innerhalb Deutschlands gebe es große Unterschiede bei der relativen Kinderarmut, hieß es bei UNICEF. Deshalb fordern die Autoren von der deutschen Politik eine nationale Agenda gegen Kinderarmut, um gezielt wirtschaftlich schwächere Familien, darunter viele Alleinerziehende, zu unterstützen. Auf Nachfrage der Deutschen Welle erklärte ein Sprecher des Familien- und Bildungsministeriums, dass es keine Reaktion auf die Studie geben werde.
Insgesamt wurden in 29 Ländern mehr als 176.000 Kinder und Jugendliche im Alter von 11 bis 15 Jahren befragt, in Deutschland waren es rund 5000. Die ersten Plätze nehmen die Niederlande und die skandinavischen Länder ein. Rumänien, eines der ärmsten Länder der EU, liegt an letzter Stelle bei der Selbsteinschätzung.