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Das Treffen der Welterklärer

Manuela Kasper-Claridge20. August 2014

Zum 5.Mal treffen sich in Lindau Nobelpreisträger für Ökonomie. Krisen vorhersagen können sie immer noch nicht. Deshalb werden sie von vielen Menschen kritisch betrachtet - auch von der Kanzlerin.

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5. Lindauer Tagung der Wirtschaftswissenschaften Nobelpreisträger mit Merkel
Bild: picture-alliance/dpa

"Sparsamkeit zerstört Europa", "Wirtschaftswachstum oder Nachhaltigkeit", "Ist ethisches Denken in der Ökonomie ein Fremdwort?", provokante Plakate in grellen Farben hängen auf dem Weg zum Kongresszentrum im kleinen Städtchen am Bodensee. Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGO's) wie Attac, eine globalsierungskritische Bewegung, demonstrieren in Lindau. Viele sind unzufrieden mit den Rezepten der führenden Ökonomen , glauben, sie seien schuld an entfesselten Finanzmärkten oder hoher Arbeitslosigkeit.

Nur alle drei Jahre treffen sich die Wirtschaftsnobelpreisträger in Lindau, diskutieren über den Stand ihrer Wissenschaft und über die Weltwirtschaft. Es gibt kein festgelegtes Motto, die Themen können frei gewählt werden. Aber über allem steht die Frage "welchen Nutzen haben die Wirtschaftswissenschaften?". 18 Nobelpreisträger sind in das Städtchen am Bodensee gereist. Hier treffen sie auf junge Ökonomen aus 80 Ländern, die lernen wollen. Kareem Immail ist Ägypter und arbeitet beim Internationalen Währungsfonds IWF. Er verfolgt die Diskussionen mit Interesse, aber, so sagt er, "es gibt mehr Fragen als Antworten".

Bundeskanzlerin will den Dialog

Noch nie waren so viele Journalisten akkreditiert wie in diesem Jahr, selten wurde so kontrovers diskutiert und erstmals nimmt Bundeskanzlerin Angela Merkel am Treffen teil. Auch sie hat Fragen: "Warum lagen die Wirtschaftswissenschaften in den letzten Krisenjahren so schwer neben der Realität? Waren die zugrunde liegenden Theorien falsch oder haben wir nicht auf die Richtigen gehört?", fragt sie die anwesenden Nobelpreistraeger und Jungwissenschaftler.

Joseph Stiglitz Wirtschafts-Nobelpreisträger in DW Interview (Foto: DW TV)
Joseph Stiglitz: Die Märkte regeln nicht allesBild: DW/M. Kasper-Claridge

Doch Angela Merkel ist selbst wissenschaftlich ausgebildet, wie sie betont, und weiß, dass es keine perfekten Antworten gibt. Erst recht nicht für die Politik, die abseits von ökonomischen Theorien die Interessen der Bürger im Fokus hat. Der "Homo oecenomicus" kann nicht nur aus wirtschaftlichen Sachverstand bestehen, betont sie und wirbt für ihre Politik. "Uns geht es darum, die Vorstellungen der Bürger zu ermitteln, was ein gutes Leben ist“, dafür will sie sich einsetzen und auch neue Indikatoren entwickeln lassen, fern von traditionellen Kennzahlen wie Bruttosozialprodukt oder Arbeitslosenquoten.

Der Rebell aus Indiana

Einer, der die Diskussion mit Genugtuung hört, ist Joseph Stiglitz. Der Nobelpreisträger war früher Chefökonom der Weltbank und ist einer der wenigen prominenten Ökonomen, die nicht als konservativ gelten. "Der Rebell aus Indiana" wurde er häufiger genannt, unter anderem, weil er die Effzienz von Märkten bezweifelt. Im Interview mit der DW macht Stiglitz deutlich, dass seine Analysen heute fast mehrheitsfähig sind. Ein Thema, mit dem er sich immer wieder auseinandersetzt, ist die wachsende Ungleichheit zwischen arm und reich.

Alvin Roth Wirtschafts-Nobelpreisträger in DW Interview (Foto: DW TV)
Alvin Roth: Wir müssen noch viel lernenBild: DW/M. Kasper-Claridge

"Fast 50 Jahre lang hat niemand über Ungleichheit gesprochen, heute aber gibt es eine breite Übereinstimmung gerade auch bei jungen Ökonomen, dass Ungleichheit ein Problem ist", sagt er und liefert Zahlen zu den USA. "95 Prozent der Einkommensgewinne in den letzten Jahren sind an das oberste Prozent gegangen. Die mittleren Einkommen sind heute inflationsbereinigt niedriger als noch vor 25 Jahren ."

Der amerikanische Traum

Stiglitz Fazit: die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Seiner Meinung nach wird das enorme ökonomische Konsequenzen haben, denn es wird zum Beispiel nicht genug in die Ausbildung aller investiert. Der amerikanische Traum "Vom Tellerwäscher zum Millionär" sei schon lange ein Mythos. Angesprochen auf die Situation in Europa räumt Stiglitz ein, dass dort die Einkommenverteilung ausgeglichener sei. In Deutschland oder Skandinavien gebe es eine starke mittlere Einkommensschicht. Doch auch dort seien die Einkommen der Wohlhabenen überproportional gewachsen.

Alvin Roth, auch er Professor für Ökonomie und Nobelpreisträger, kann die Diskussion um soziale Ungleichgewichte verstehen. Im Interview mit der DW macht er deutlich, dass die wachsende Arbeitslosigkeit gerade unter jungen Menschen ein grosses Problem sei. Gleichzeitig bittet er um Verständnis, dass die Ökonomie nicht immer Lösungen habe. "Die Wirtschaftswissenschaft ist eine sehr junge Wissenschaft, wir lernen noch, ständig verändern sich die Gegebenheiten und die Herausforderungen."

Die Kritiker wird das nicht zufriedenstellen. “Gesucht: Ökonomen mit Herz, Gefühl und Solidarität" - "Wanted: Economic scientists with heart, soul and solidarity" steht auf einem großen Plakat gegenüber dem Lindauer Kongresszentrum. Viele junge Ökonomen haben das verstanden.