Das tödliche Personalkarussell im Donbass
1. April 2017Vor rund drei Jahren begann die Sternstunde von Menschen wie Wladimir Makowitsch. Als im April 2014 prorussische Separatisten im ostukrainischen Donezk ihre "Volksrepublik" ausgerufen hatten, verlas er in der besetzten Gebietsverwaltung die "Unabhängigkeitserklärung". Der bis dahin unbekannte Makowitsch, der mir seinem grauen Vollbart wie ein orthodoxer Priester aussah, stieg zum stellvertretenden Vorsitzenden des "Obersten Rates" auf. Doch ein halbes Jahr später verschwand er im Hintergrund. Sein Name tauchte in den Medien erst wieder auf, als Makowitsch am 12. März starb - angeblich an einem Hirntumor.
Tod aus dem Hinterhalt
Die Liste der noch lebenden und aktiven Separatistenanführer der ersten Stunde ist damit wieder einmal kürzer geworden. Viele wurden getötet, wie zuletzt Michail Tolstych, Spitzname "Giwi". Sein Quartier bei Donezk wurde im Februar mit einem Flammenwerfer beschossen. Einige Monate zuvor wurde Arsen Pawlow, genannt "Motorola", in einem Aufzug in die Luft gejagt. Er war der bekannteste Russe, der von Anfang an in der Ostukraine kämpfte. Beide Kommandeure waren im russischen Fernsehen zu Kriegshelden stilisiert worden. Die Separatisten beschuldigten "ukrainische Diversanten" - im kommunistischen Sprachgebrauch feindliche Agenten - des Mordes, Kiew dementierte.
In der Ukraine zeigt man bei solchen Fällen gerne auf Moskau und spricht von "Säuberungen". Fakt ist, dass mehr als ein halbes Dutzend Anführer der Separatisten im Hinterhalt getötet wurden. Serhij Taruta, Abgeordneter des ukrainischen Parlaments hat dazu eine eigene Erklärung. "Es ist ein Machtkampf um Geschäfte, um enteignete Unternehmen, bei dem auch mit Maschinengewehren argumentiert wird", sagt Taruta. Wer sich nicht an die Spielregeln halte, werde eliminiert. Taruta ist ehemaliger Großunternehmer im Kohlerevier Donbass. Zwischen März und Oktober 2014 war er Gebietsgouverneur.
Herzversagen mit 46 Jahren
Manche prominente Separatisten starben plötzlich an Krankheiten, wie etwa Walerij Bolotow. Der erste Anführer der "Luhansker Volksrepublik" soll im Januar dieses Jahres mit nur 46 Jahren in seiner Wohnung in Moskau an Herzversagen gestorben sein. Manche Medien berichteten über den Verdacht einer Vergiftung.
Bolotow trat in der heißesten Phase des Krieges, im August 2014, zurück und lebte seitdem unauffällig in Russland. "Über Bolotow sagte man, er hätte Konflikte mit den russischen 'Betreuern' und Militärs gehabt, als es darum ging, auf die eigene Bevölkerung zu schießen ", sagt Alexander Jeremenko, Dozent der Ostukrainischen Universität in Luhansk, die nun in Sjewerodonezk sitzt, dem provisorischen Gebietszentrum auf Kiews Seite. Bolotows Nachfolger Igor Plotnizkij, der die Luhansker Separatisten bis heute anführt, habe damit kein Problem gehabt, sagt Jeremenko. Russland bestreitet militärische Hilfe für den Donbass.
Gennadij Zypkalow war mit 43 Jahren noch jünger als Bolotow, als er im Herbst 2016 in der Luhansker Untersuchungshaft angeblich Selbstmord begangen hatte. Die Separatisten warfen ihm Vorbereitung eines Staatsstreichs vor. Auch in diesem Fall wurde über einen Mord spekuliert. Zypkalow war Bolotows Stellvertreter und "Ministerpräsident" in Luhansk. Auf der ukrainischen Seite haben manche nicht nur schlechte Erinnerungen an ihn. "Zypkalow war der vernünftigste" Vertreter der Separatisten, sagt Jaroslaw Halas, Sprecher des früheren Luhansker Gouverneurs Hennadij Moskal. Man habe zwar keinen direkten Kontakt gehabt, vereinbarte jedoch immer wieder per Fax eine Waffenruhe. Zyplkalow habe sein Wort gehalten.
Russen starten…
Ob es sich bei den zahlreichen Todesfällen unter Separatisten um eine gezielte Aktion Moskaus handelt, sei schwer einzuschätzen, sagt Serhij Harmasch, Chefredakteur des Online-Portals "Ostrow", der aus Donezk stammt und in Kiew lebt. In manchen Fällen sei eine Beteiligung des ukrainischen Geheimdienstes SBU denkbar. Wenn doch Russland dahinter stecken sollte, dann sei das Ziel nicht Zeugenbeseitigung, sondern eine bessere Kontrolle in der Region.
Harmasch sieht im Personalkarussell der Separatisten jedenfalls ein Muster. Moskau habe sowohl "echte Russen", als auch passionierte ukrainische Anhänger eines Anschlusses an Russland nach dem Krim-Vorbild abgesetzt. Zu der ersten Gruppe zählt Harmasch Igor Girkin, der sich "Strelkow" nennt und Medienberichten zufolge ein ehemaliger russischer Geheimdienstler ist. Bis August 2014 war Girkin "Verteidigungsminister" in Donezk und prahlte damit, den "Abzug des Krieges" gedrückt zu haben. Als "Ministerpräsident" agierte damals Alexander Borodaj, ein Moskauer Politikberater. Sein Pendant in Luhansk war ebenfalls ein Russe aus Moskau, Marat Baschirow.
… und treten ab
Nur kurz waren Russen an der Spitze der Separatisten sichtbar. Als der Krieg bereits lichterloh brannte, gaben alle drei ihre Posten an die gebürtigen Ukrainer ab.
Zu der Gruppe der später entmachteten Separatistenführer zählt Harmasch Andrej Purgin, der in Donezk als stellvertretender "Ministerpräsident" fungierte und 2015 überraschend abgesetzt wurde. "Purgin wurde beseitigt, als herauskam, dass er ein Referendum über einen Anschluss an Russland vorbereitet", sagt Harmasch. Purgin selbst bestritt Referendums-Pläne.
Versteckte Kontrolle
Heute wie damals seien beide "Volksrepubliken" unter russischer Kontrolle, sagen Harmasch und Taruta, die damit die Einschätzung der Kiewer Regierung teilen. Taruta sieht den aktuellen Einfluss Moskaus bei "95 Prozent". Russland bestimme die zentrale politische Linie, doch es bleibe "ein Korridor, um zu manipulieren, zu plündern und gigantisches Geld zu verdienen".
Die Kontrolle werde meist aus dem Hintergrund ausgeübt. Ukrainische Medien berichteten am Dienstag über einen angeblichen Besuch des einflussreichen Beraters des russischen Präsidenten, Wladislaw Surkow, in Luhansk. Ein Kreml-Sprecher wollte sich dazu nicht äußern.
Russische "Betreuer" vor Ort soll es auf allen Ebenen geben, doch sie sind kaum sichtbar. Menschen wie Alexander Kasak, ein laut Harmasch einflussreicher Moskauer Berater des Donezker Separatistenführers Alexander Sachartschenko, treten selten in der Öffentlichkeit auf. Kasak lebte früher in Lettland, stand dort wegen seiner prorussischen Aktivitäten in der Kritik und wurde 2004 aus formellen Gründen des Landes verwiesen. Der wohl prominenteste Russe derzeit in Donezk heißt Sachar Prilepin. Der auch im Westen bekannte Schriftsteller lüftete im Februar ein Geheimnis: Er sei stellvertretender Kommandeur eines Bataillons. In der Ukraine wurde spekuliert, Prilepins Aufgabe als prominente Person sei es die Lücke zu füllen, die getötete Feldkommandeure hinterlassen hatten.