Das sicherheitspolitische Vermächtnis von 9/11
11. September 2013Zwölf Jahre nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ragt der neue Turm des One World Trade Centers in New York in den Himmel. Ground Zero ist längst wieder aufgebaut. Der mutmaßliche Planer und Hintermann der Anschläge, Osama bin Laden, ist tot. Das amerikanische Militär ist inzwischen aus dem Irak abgezogen. Die Rückkehr der US-Streitkräfte aus Afghanistan ist 2014 geplant.
Geblieben ist eine Sicherheitspolitik, die das Denken und Handeln der US-Regierungen seit den Anschlägen dominiert hat. "In den 1990er-Jahren galt in den USA das Primat des Ökonomischen", sagt der Politikwissenschaftler Martin Thunert vom Heidelberg Center for American Studies. Dies habe sich nach den Anschlägen abrupt geändert. "Danach galt das Primat der Sicherheit. Und das gilt mit einigen Einschränkungen noch heute."
So haben der Drohnenkrieg oder die flächendeckende Überwachung durch die Geheimdienste ihren Ursprung in den Maßnahmen, die die US-Amerikaner nach 9/11 ergriffen.
"Krieg gegen den Terror"
Seit der damalige US-Präsident George W. Bush kurz nach den Anschlägen den"Krieg gegen den Terror" verkündete, sind die Geheimdienste deutlich gewachsen: Das Budget der insgesamt 16 US-Geheimdienste hat sich nach Angaben der "Washington Post" seit 2001 auf 52,6 Milliarden US-Dollar verdoppelt. Dass die Geheimdienste weltweit flächendeckend Kommunikation überwachen - auch die verbündeter Staaten - wurde durch die Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden öffentlich.
Mit dem Heimatschutzministerium wurde 2002 die drittgrößte Bundesbehörde der Vereinigten Staaten gegründet. Hauptaufgabe der rund 200.000 Mitarbeiter ist der Schutz der US-Bevölkerung vor terroristischen Bedrohungen. Die Ausgaben für das US-Militär haben sich seit 2001 von 312,74 Milliarden US-Dollar auf 682,45 Milliarden im Jahr 2012 mehr als verdoppelt - vor allem als Konsequenz der Kriege in Afghanistan und dem Irak, die die Vereinigten Staaten unter Berufung auf den "Krieg gegen den Terror" führten.
Die USA haben aber nach 9/11 nicht nur ihre Geheimdienste, Ermittlungsbehörden und Streitkräfte vergrößert und stärker untereinander vernetzt, sondern auch deren Befugnisse deutlich erweitert. Eine der Grundlagen dafür war der sogenannte Patriot Act, den der Kongress am 25. Oktober 2001 unter dem Eindruck der Anschläge verabschiedete.
Eigentlich war dieses Bundesgesetz zeitlich begrenzt. Doch seit seiner Verabschiedung wurde es mehrfach vom US-Kongress verlängert. Wesentliche Bestandteile des Patriot Acts, der Bürgerrechte massiv einschränkt, sind weiterhin in Kraft: So ist Strafverfolgern und Geheimdiensten die Überwachung von Telefon- und Internetverkehr und die Kontrolle finanzieller Transaktionen weitgehend ohne richterliche Erlaubnis möglich. In anderen Fällen sind die Gerichte dazu angehalten - oder sogar verpflichtet - Anträgen der Strafverfolger stattzugeben, sobald ein allgemeines Interesse an Terrorismusbekämpfung geltend gemacht wird. Zudem wurde das sogenannte Feindstrafrecht eingeführt, durch das terrorverdächtige Ausländer bei Bedarf ohne richterliche Prüfung oder Anklageerhebung unbeschränkt festgesetzt werden können, beispielsweise im US-Gefangenenlager Guantanamo.
Überwachung, Folter, gezielte Tötungen
Mit dem Machtzuwachs von Geheimdiensten und Militär haben sich auch deren Methoden gewandelt: Aus Guantanamo und aus Lagern und Gefängnissen in Afghanistan oder dem Irak sind Fälle von Folter bekannt.
Da sich der Terror seit 9/11 dezentralisiert habe, hätten sich die US-Streitkräfte stärker auf asymmetrische Kriegsführung konzentriert, sagt Martin Thunert. In diesem Zusammenhang stehen gezielte Tötungen, bei denen insbesondere nichtstaatliche Gegner, die als potenzielle Gefahr angesehen werden, ohne Gerichtsverfahren getötet werden.
Inzwischen sind Präventivschläge des US-Militärs nahezu selbstverständlich geworden. "Die Legitimation von Präventivkriegen ist erfolgt und immer mehr akzeptiert worden", sagt Peter Rudolf, Amerika-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Der Irak-Krieg wurde ja vor allem so begründet, dass es um die Ausschaltung einer künftigen möglichen Bedrohung geht. Der Einsatz von Drohnen folgt dieser Logik."
Präsident Barack Obama hatte die unter George W. Bush begonnenen Drohneneinsätze deutlich ausgeweitet. Seit 2004 kamen unabhängigen Zählungen zufolge im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet bis zu 3500 Menschen ums Leben, darunter auch Hunderte Zivilisten. Auch im Jemen und in Somalia flogen US-Drohnen mehrfach Angriffe.
Der lange Schatten der Antiterrorpolitik
Die Instrumente des Antiterrorkampfes hätten das Image der USA in Mitleidenschaft gezogen, sagt Amerika-Experte Peter Rudolf. Die Obama-Regierung versuchte daher zuletzt, dies abzumildern. Im Mai 2013 versprach Obama, das Gefangenenlager Guantanamo zu schließen und den Drohnenkrieg stark einzuschränken und strengeren Regeln zu unterwerfen. In den letzten drei Jahren ist die Zahl der Drohnenattacken allerdings ohnehin gesunken.
Die USA wollten "künftig keinen unbegrenzten globalen Krieg gegen den Terrorismus" mehr führen, erklärte Obama in einer Grundsatzrede und sprach von einer "neuen Phase". Der Begriff "Krieg gegen den Terror" ist inzwischen aus dem offiziellen Sprachgebrauch der Obama-Regierung verschwunden - er wurde durch "Kampf gegen den Terror" ersetzt.
"Faktisch sehen sich die USA nach wie vor in einem nicht-internationalen bewaffneten Konflikt, in einem Krieg gegen Al-Kaida und verbündete Kräfte. Das kann natürlich sehr weit ausgelegt werden", sagt Peter Rudolf. Dieser Krieg habe zwar nicht mehr allerhöchste Priorität für US-Präsident Obama, er sei aber für die Rechtfertigung der eingesetzten Mittel unabdingbar, so Rudolf.
Die sicherheitspolitischen Instrumente und Methoden, die nach 9/11 etabliert und strategisch weiter modifiziert wurden, gehören demzufolge weiterhin zum Repertoire der US-Sicherheitspolitik. Obwohl Präsident Obama diese Methoden künftig stärker reglementieren will, ist es eher unwahrscheinlich, dass die USA in Zukunft darauf verzichten werden.