Vier-Tage-Woche: Macht weniger Arbeiten glücklicher?
Veröffentlicht 31. Oktober 2024Zuletzt aktualisiert 1. November 2024Weniger arbeiten, sich besser fühlen und auch noch produktiver sein? Das hört sich an wie ein Sechser im Lotto - für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Anfang dieses Jahres begann ein Experiment mit einer Vier-Tage-Woche, das mittlerweile von der Universität Münster ausgewertet wurde. Die Ergebnisse lassen auf diesen Sechser hoffen.
Für das Experiment hatten sich 45 Unternehmen und Organisationen in Deutschland gemeldet, um für ein halbes Jahr eine Vier-Tage-Woche einzuführen - ohne den Lohn entsprechend zu kürzen. Initiiert wurde das Ganze von der Unternehmensberatung Intraprenör, die mit der gemeinnützigen Organisation 4 Day Week Global (4DWG) zusammenarbeitet.
Wieviel dann wirklich reduziert wurde...
Was sich erst einmal wunderbar anhört ist bei näherer Betrachtung weniger spektakulär. Zwei Unternehmen hatten das Projekt abgebrochen, zwei weitere Unternehmen waren aus der Bewertung gefallen und von den verbliebenen 41 Unternehmen hat nur etwa ein Drittel wirklich die Arbeitszeit um einen Tag reduziert.
20 Prozent der Arbeitgeber haben zwischen 11 und 19 Prozent reduziert, und etwa die Hälfte der Unternehmen hat die Arbeitszeit um weniger als zehn Prozent verringert, also vier Stunden oder weniger, so Marika Platz, die an der Auswertung des Projektes durch die Universität Münster beteiligt war. Einen ganzen Tag frei hatten die Mitarbeitenden nur bei 85 Prozent der Unternehmen. Der Einfachheit halber wird in diesem Artikel trotzdem weiter von der Vier-Tage-Woche die Rede sein.
Zudem ist die Zahl der teilnehmenden Unternehmen sehr klein, wenn man sie ins Verhältnis zu den rund 3,4 Millionen Unternehmen setzt, die es in Deutschland gibt. Da könnte man sich fragen: Warum haben nicht mehr an dem Projekt teilgenommen?
Vor zwei Jahren sollte das Projekt schon einmal in Deutschland gestartet werden, da hätte es aber nicht genug Arbeitgeber gefunden, die teilnehmen wollten, erzählt Marika Platz. Das könne unter anderem daran gelegen haben, dass es - anders als in anderen Ländern - in Deutschland relativ üblich ist, in Teilzeit zu arbeiten.
Schlüsselparameter: die Produktivität
Weniger arbeiten bei gleichem Gehalt und gleichem Ergebnis - das soll angeblich nur mit einer höheren Produktivität funktionieren. Und eine gesteigerte Produktivität hört sich erst einmal nach mehr Stress und einer höheren Arbeitsbelastung an. Aber muss das so sein?
Um die Auswirkungen der reduzierten Arbeitszeit an objektiv nachvollziehbaren Parametern zu untersuchen, wurden nicht nur Umfragen gemacht und Interviews geführt. Es wurden außerdem Haarproben analysiert, um daraus Informationen zum Stressniveau zu bekommen, und es wurden mit Fitness-Trackern physiologische Daten wie Herzfrequenz, Aktivitätsniveau und Schlafqualität ermittelt.
Weniger Arbeit gleich weniger Stress
Das Ergebnis: Den Mitarbeitenden geht es besser, wenn die Arbeitszeit sinkt. Die Teilnehmenden sind genauso produktiv wie bei einer Fünf-Tage-Woche - zum Teil sogar produktiver. Gleichzeitig hätten die Mitarbeiter von signifikanten Verbesserungen ihrer mentalen und körperlichen Gesundheit berichtet, sagt Julia Backmann. Sie ist die wissenschaftliche Leiterin der Pilotstudie und hat einen Lehrstuhl an der Universität Münster. Die Beschäftigten hätten weniger Stress und Burnout-Symptome empfunden. Das hätten auch die Smartwatches gezeigt, die die Stressminuten pro Tag gemessen haben.
Zwei von drei Mitarbeitenden gaben an, dass es weniger Ablenkungen gegeben habe und Prozesse optimiert worden seien. In gut der Hälfte der Unternehmen wurden Meetings anders gestaltet: Sie wurden seltener und kürzer gehalten. Jedes vierte Unternehmen nutzte außerdem neue digitale Werkzeuge, um die Effizienz zu erhöhen.
"Das Potenzial der verkürzten Arbeitszeit scheint unter komplizierten Prozessen, Meetings und geringer Digitalisierung zu schlummern", fasst Carsten Meier von der Unternehmensberatung Intraprenör das Ergebnis zusammen.
Überraschung bei Auswirkungen auf Gesundheit und die Umwelt
Zum besseren Wohlbefinden in der Vier-Tage-Woche habe auch geführt, dass die Mitarbeiter, gemessen an Schrittzahlen und körperlicher Bewegung, aktiver waren. Zudem schliefen die Testpersonen der Vier-Tage-Woche im Durchschnitt 38 Minuten länger pro Woche als die Kontrollgruppe, die fünf Tage gearbeitet hat.
Die monatlichen Krankentage seien allerdings nur leicht zurückgegangen. Der Unterschied war im Vergleich zu 2023 statistisch nicht aussagekräftig. "Das war überraschend", sagte Platz gegenüber der DW, "weil das in Studien aus anderen Ländern eine signifikante Reduzierung des Krankheitsstandes gegeben hat".
Eine andere Überraschung sei gewesen, dass durch die Arbeitszeitreduzierung keine positiven Effekte auf die Umwelt festgestellt werden konnten, so Platz. "In anderen Ländern hat es einen positiven Einfluss auf die Umwelt gegeben, weil beispielsweise die Büros für einen Tag komplett zugemacht werden konnten. Auch durch das Wegfallen des Arbeitsweges an diesem Tag konnte Energie gespart werden." In Deutschland hätten dagegen einige Mitarbeiter berichtet, für ein längeres Wochenende weggefahren zu sein, was solche Einsparungen zunichte gemacht habe, so Platz.
Fachkräftemangel lindern
Positiv könnte sich die Arbeitszeitreduzierung auf den Fachkräftemangel auswirken, was sich im ersten Augenblick etwas kurios anhört. Doch die Logik dahinter: Eine Vier-Tage-Woche könnte Menschen zur Arbeit motivieren, die nicht bereit sind, fünf Tage zu arbeiten und daher gar nicht auf dem Arbeitsmarkt aktiv sind.
Pilotstudien zur Vier-Tage-Woche nicht aussagekräftig
Arbeitsmarktexperte Enzo Weber sieht die Ergebnisse der bisherigen Pilotprojekte kritisch. Er forscht an der Universität Regensburg und am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Die Unternehmen, die an solchen Testprojekten teilnehmen würden, hätten von vorneherein eine positive Einstellung zur Vier-Tage-Woche, meint er. Sie wären damit kein repräsentativer Querschnitt der Wirtschaft.
Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, hätten sich bewusst gegen eine Teilnahme an dem Versuch entschieden, glaubt Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes BDA. Er zweifelt an den Produktivitätsverbesserungen. Für ihn ist "eine Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich nur eine massive Lohnsteigerung, die sich die allermeisten Unternehmen nicht leisten können".
Enzo Weber gibt außerdem zu Bedenken, dass in dem Projekt nicht nur die Arbeitszeit verkürzt werde, sondern auch Prozesse und Organisationsstrukturen verändert würden. Wenn es dann eine Steigerung der Produktivität gebe, müsse die nicht kausal mit der kürzeren Arbeitszeit zusammenhängen, so Weber.
Fragwürdig seien die positiven Ergebnisse auch, weil durch den teilweise oder kompletten Wegfall eines Arbeitstages höchstwahrscheinlich eine Arbeitsverdichtung stattfinden würde, glaubt Weber. Soziale, kommunikative und kreative Elemente blieben auf der Strecke. "Die Folgen spüren Unternehmen normalerweise nicht sofort, sondern eher mittelfristig." Die Studien seien aber nur auf sechs Monate angelegt.
Wie geht es jetzt weiter?
Mehr als 70 Prozent der Unternehmen und Organisationen wollen ihren Mitarbeitenden weiterhin eine Vier-Tage-Woche ermöglichen, einige wollen die Testphase verlängern, andere direkt eine reduzierte Arbeitszeit einführen.
Was in wenigen Unternehmen getestet wurde, wird in einigen Branchen aber nicht möglich sein. Lokomotivführer, Taxi- oder Busfahrer können ihre Produktivität nicht steigern und schon gar nicht ihre Fahrten aus der Fünf-Tage-Woche in vier Tagen erledigen. Ähnlich sieht es im Einzelhandel aus und in Schulen, bei der Polizei, der Feuerwehr, in Krankenhäusern und Altenheimen.
Studienleiterin Backmann betont daher, dass es bei der Untersuchung nicht darum gegangen sei, eine flächendeckende Einführung der Vier-Tage-Woche über alle Branchen hinweg zu propagieren, sondern "eine Möglichkeit eines innovativen Arbeitszeitmodells und ihrer Wirkung" zu testen.
Positive Ergebnisse aus einer Vier-Tage-Woche gebe es keineswegs "auf Knopfdruck", merkt Carsten Meier von der Beratung Intraprenör an. Das dürfte seinem Unternehmen sehr entgegenkommen, bietet es doch Beratungsdienstleistungen zur Einführung einer veränderten Arbeitszeit an.