Das Phänomen Merkel
25. September 2013"Angela Merkel ist intelligent und fleißig", sagt die Merkel-Biografin Jacqueline Boysen. Sie sei unbestechlich und das mache ihre hohe Popularität aus. Aber da ist auch noch etwas anderes, das die Deutschen an Merkel schätzen: In einer Studie des Rheingold-Instituts in Köln haben Psychologen kurz vor der Bundestagswahl die Befindlichkeiten der Deutschen untersucht und danach gefragt, wonach sich die deutschen Bürger sehnen.
Und die sehnen sich nach der Finanz- und Eurokrise vor allen Dingen nach Kontinuität, Orientierung und Ruhe. "Das ist genau das, was sie in Angela Merkel zu finden glauben", sagt Thomas Kirschmeier vom Rheingold-Institut. Für sie sei Angela Merkel wie ein Fels in der Brandung.
Für Merkel stehe immer die Sache im Vordergrund, es gehe ihr nie um ihr Ego, meint die Merkel-Expertin Boysen im DW-Interview: "Man nimmt ihr ab, dass sie nicht um der Macht willen an der Macht bleiben will." Man glaube ihr, wenn sie zu Beginn einer Legislaturperiode den Satz sage: Ich will dem Land dienen.
Merkel als Spiegelbild der Deutschen?
Bei der diesjährigen Bundestagswahl haben die deutschen Bürger dafür gesorgt, dass die Union mit Angela Merkel an der Spitze fast acht Prozentpunkte mehr Stimmen bekommen hat als bei der letzten Wahl. Liegt das vielleicht auch daran, dass Angela Merkel als Spiegelbild der Deutschen gesehen wird?
"Das wird im Ausland gerne so gesehen", sagt die Merkel-Biografin, "weil Merkel Tugenden wie Pünktlichkeit und Pragmatismus verkörpert". Außerdem gelte sie als vertrauenswürdig. Viele Bundesbürger schätzten zudem Merkels ruhige Art, Entscheidungen zu treffen, ergänzt Thomas Kirschmeier im Gespräch mit der DW.
Vorwurf: Sie sitzt Probleme aus
Kritiker machen ihr jedoch genau das zum Vorwurf. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Thomas Oppermann, wirft Merkel beispielsweise vor, dass sie alle Probleme aussitze und auch in der Abhöraffäre um Prism ihren Innenminister Hans-Peter Friedrich vorgeschickt und selber erst Wochen später dazu Stellung genommen habe. Ein weiterer Kritikpunkt: Die Kanzlerin sei zu wenig Visionärin und erkläre nie, wohin ihre Entscheidungen führen sollen.
Genau das zeichne allerdings das Handeln der Bundeskanzlerin aus, urteilt die Merkel-Biografin Boysen: "Sie ist völlig unideologisch und nicht an alte Traditionen gebunden, die ihr das Parteiprogramm vorgeben." Und diese Freiheit habe sie schließlich genutzt, um ihre Partei zu modernisieren: Durch die Einführung des Elterngeldes, durch die Abschaffung der Wehrpflicht, durch den Abschied von der Atomenergie.
Dieses Urvertrauen in die Kanzlerin konnten ihre Kritiker aus den anderen politischen Parteien wie SPD und Grüne auch durch spitze Bemerkungen nicht erschüttern. Die amtierende Grünen-Vorsitzende Claudia Roth hatte Merkel beispielsweise vorgeworfen, einen Wahlkampf mit Valium und Vakuum zu führen, um strittige Themen möglichst zu umschiffen. Das sahen die Bundesbürger anders. Sie fühlen sich laut der Studie mit Angela Merkel an der Spitze der Bundesrepublik wohl.
"Mutti Merkel" soll es richten
Nicht ohne Grund werde sie daher von vielen als "Mutter der Nation" gesehen, sagt Thomas Kirschmeier. "Angela Merkel hat das Mütterliche. Sie hält mehr oder weniger ihre schützenden Hände über das Land." Und obwohl Angela Merkel gar keine Kinder hat, hat sie den Spitznamen "Mutti" bekommen: aus der eigenen Partei. "Mutti" war allerdings zunächst nicht freundlich gemeint. Ihre Gegner wollten ihr etwas Gluckenhaftes andichten und spielten mit dem ostdeutsch geprägten Begriff auf ihre dort gelebte Vergangenheit an. Mittlerweile sei "Mutti" allerdings positiv besetzt, "weil offenbar Wähler und Bürger Vertrauen in Angela Merkel haben: Sie kümmert sich", sagt Merkel-Expertin Boysen.
Jetzt kümmert sich Angela Merkel als amtierende Bundeskanzlerin um die täglichen Amtsgeschäfte und sondiert ihre möglichen Koalitionspartner. Mit einem schwarz-grünen Bündnis rechnet die Merkel-Biografin zwar nicht, aber: "Angela Merkel hat eines über all die Jahre immer geschafft: Sie hat uns überrascht."