Das Oktoberfest findet statt - in China
11. August 2020O'zapft is…bisher noch nicht. Zumindest nicht in München. Dort ist es gute Tradition, dass der Oberbürgermeister zum Start des Oktoberfests den Anstich des ersten Bierfasses mit den Worten "O'zapft is" übernimmt. Zu hochdeutsch: Es ist angezapft. Damit wird seit Jahrzehnten das größte Volksfest der Welt offiziell eröffnet - bis zu diesem Jahr. Corona hat dem bierseligen Brauchtum einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Das Münchner Oktoberfest - mit mehr als sechs Millionen Besuchern jährlich ein enormer Wirtschaftsfaktor für die Stadt und die Region - wurde abgesagt. Zwar ist es seit seinem Ursprung 1810 bereits 24 Mal abgesagt worden - unter anderem wegen Kriegen und Cholera-Epidemien -, seit gut 70 Jahren allerdings nicht mehr. Dann kam Corona.
Eigentlich hätte es, wie üblich, in der zweiten September-Hälfte beginnen sollen. Aber bereits am 21. April hatte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder verkündet, dass das Oktoberfest wegen der Corona-Pandemie ausfallen muss. Wer heute auf der offiziellen Internetseite des Oktoberfests schaut, findet dort den sehr deutlichen Hinweis: "Das Oktoberfest 2020 findet aufgrund der Corona-Pandemie nicht statt und wird ersatzlos gestrichen." Wirklich ersatzlos gestrichen?
Der Ersatz ist kein Ersatz
Stattdessen gibt es in diesem Jahr erstmals in München die Veranstaltung "Sommer in der Stadt". Dabei gibt es neben vielen Ständen und Buden auch Fahrgeschäfte über das Münchner Stadtgebiet verteilt - darunter auch zwei Riesenräder und die größte transportable Wildwasserbahn der Welt. Wer allerdings bei der Stadt München anruft und den Satz beginnt mit "Statt des Oktoberfests gibt es ja nun 'Sommer in der Stadt'…" wird sofort korrigiert. "Sommer in der Stadt" sei kein Ersatz für das Oktoberfest, sondern mal ein Experiment. Auch gut.
Bei "Sommer in der Stadt" wird auf die Corona-Hygiene- und -Abstandsregeln geachtet. Die Fahrgeschäfte und Buden sind über die Stadt verteilt, damit es erst gar nicht zum Oktoberfest-typischen Gedränge kommt. Die Veranstaltung, die am 24. Juli begonnen hat und mindestens bis zum 6. September läuft, soll auch die durch die Corona-Pandemie arg gebeutelten Schausteller unterstützen. Was bei den meisten Jahrmärkten bisher völlig undenkbar war, ist hier normal: Die Schausteller müssen keine Standgebühr für ihre Buden und Fahrgeschäfte zahlen. Für die Schausteller ist das gut.
Aber angesichts der über Straßen und Plätze verteilten Attraktionen und den Abstands- und Hygieneregeln wird wohl beim Besucher kein richtiges Oktoberfest-Feeling aufkommen. Soll es ja aber auch nicht. Ist ja schließlich kein Oktoberfest. Aber vielleicht gibt es da ja doch einen Oktoberfest-Ersatz?
Das Original-Oktoberfest in Mini
Berühmt ist das Münchner Oktoberfest ohnehin weniger für Süßigkeitenstände und Karussells als vielmehr für die zahlreichen riesigen Bierzelte, die Münchner Wirte betreiben. Und die haben sich nun einen Ersatz, nein: eine Alternative - also, sagen wir: etwas völlig Neues einfallen lassen. Die Wirtshauswiesn. Die soll am 19. September starten. Da hätte eigentlich das Oktoberfest beginnen sollen. Angedacht ist, dass die Gaststätten in der Innenstadt eine Art Mini-Oktoberfest veranstalten mit Wiesenbier, Hähnchen, Haxen und Brezeln - vielleicht sogar mit typischer Blasmusik.
Aber eigentlich ist das Mini-Oktoberfest ohnehin kein Ersatz, sondern eine Veranstaltung, die vielleicht näher am Original ist als das "echte" Oktoberfest. Gregor Lemke, Sprecher der Münchner Innenstadtwirte, sagte der Münchner Zeitung "tz": "Als 1810 die erste Wiesn stattgefunden hat, gab es keine Zelte. Es gab nicht diese Verpflegungsmöglichkeiten auf der Theresienwiese. Die Menschen sind danach in die Stadt gezogen, in die Wirtshäuser. Da haben wir eine Analogie zur Wirtshauswiesn." Aha. Durch Corona kehrt die Ursprungswiesn zurück. Naja, vielleicht ein wenig. Aber auch hier gilt: Abstand, Maske, Desinfektion. Nicht grade echtes Oktoberfest-Feeling. Das gibt es gerade woanders - gut 8000 Kilometer entfernt.
Größtes Oktoberfest der Welt in Qingdao
Wer hätte gedacht, dass das größte Oktoberfest der Welt in diesem Jahr wegen Corona nicht im Ursprungsland des Oktoberfests, sondern im Ursprungsland des Coronavirus stattfindet? Ironie der Pandemie, könnte man es nennen. Bisher galt das Qingdao Beer Festival in der ostchinesischen Stadt Qingdao - mit vielen Anleihen ans Münchner Oktoberfest - als das zweitgrößte Oktoberfest der Welt. Da in diesem Jahr wegen Corona nicht nur das größte der Welt in München, sondern auch viele andere Oktoberfeste, die dem Münchner nacheifern, abgesagt wurden, nicht aber das in Qingdao, wird es in diesem Jahr wohl erstmals den Titel des größten Oktoberfests der Welt ergattern.
Das größte Bierfest Chinas, das die Veranstalter selber gerne als "Chinas Oktoberfest" bezeichnen, hat bereits begonnen und geht noch bis zum 23. August. Einige Hunderttausend Menschen werden erwartet. Sie müssen sich registrieren, beim Betreten des Geländes Masken tragen und ihre Körpertemperatur messen lassen. Das scheint sich nicht nachteilig auf die Besucherzahlen auszuwirken. Laut chinesischen Staatmedien sind zum Auftakt mehr Besucher gekommen als im vergangenen Jahr.
Zwei Konzepte - keine Lösung
Fassen wir zusammen: Das Oktoberfest in München findet nicht statt. Es ist frühzeitig abgesagt worden. Stattdessen gibt es nun mit "Sommer in der Stadt" und Wirtshauswiesn gleich zwei neue Veranstaltungen - mit Abstand- und Hygieneregeln und damit naturgemäß mit wenig Oktoberfest-Feeling.
Im chinesischen Qingdao hingegen findet das Oktoberfest statt, fast als wäre nichts gewesen. Auch wenn es hier Schutzmaßnahmen gibt, an der Menschenmenge scheint man sich dort nicht zu stören.
Weder der bayerische noch der chinesische Weg dürfte Fans des echten Oktoberfests in München zufriedenstellen. Am meisten Hoffnung macht noch die offizielle Seite des Oktoberfests. Dort steht unter der Überschrift "Wann findet das Oktoberfest im Jahr 2021 statt?" folgendes: "Der traditionelle Wiesn-Anstich ist am Samstag, den 18. September 2021, um 12 Uhr mittags". Hoffentlich bleibt es dabei.