Das Netzwerk der Spitzel
11. Mai 2009Im März 1955 erfolgte der Ritterschlag: das bereits fünf Jahre zuvor gegründete Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der Deutschen Demokratischen Republik wurde formell gleichberechtigt in den Kreis der osteuropäischen "Bruderorgane" aufgenommen, und zwar auf einer Konferenz in Moskau. In der Aufbauphase war das MfS eine Art Ableger und Außenstelle des sowjetischen Geheimdienstes KGB, der notfalls selbst die Ermittlungen auf deutschem Boden übernahm.
Zusammenarbeit mit allen Ostblock-Geheimdiensten
Jede Diensteinheit hatte einen eigenen sowjetischen Instrukteur, schreibt der Historiker Jens Gieseke in seinem Beitrag zum "Handbuch der kommunistischen Geheimdienste in Osteuropa 1944-1991". Später begnügte sich der KGB mit sogenannten Verbindungsoffizieren, die sich vor allem um die internationalen Aspekte der Geheimdienst-Zusammenarbeit im gesamten Ostblock kümmerten.
"Die Staatssicherheit hat ja nicht nur Dissidenten verfolgt, sie hat auch auf der Ebene der Spionage- und Spionageabwehr gearbeitet", erläutert Kommunismus-Forscher Jens Gieseke. "Sie hat im internationalen Terrorismus mitgewirkt und Kontakte gesucht." Auf all diesen Ebenen fanden sich internationale Verbindungen, erzählt Gieseke: "Es gibt multilaterale Vereinigungen, etwa eine Datenbank, die mit allen osteuropäischen Geheimdiensten betrieben wurde. Und es gab jede Menge Zusammenarbeit auf der bilateralen Ebene zwischen jeweils zwei Institutionen."
DDR mischte in Prag mit
Für den noch jungen Staatssicherheitsdienst der DDR kam es 1953 zur ersten großen Bewährungsprobe, und die misslang aus Sicht des Staates gründlich: denn nur mit Hilfe sowjetischer Panzer konnte der Volksaufstand vom 17. Juni niedergeschlagen werden. Das MfS selbst hatte die explosive Stimmung in der Bevölkerung offenkundig völlig falsch eingeschätzt und war unfähig, die Proteste allein zu unterdrücken.
Das änderte sich in späteren Jahrzehnten, als die Stasi munter in befreundeten Staaten mitmischte, diagnostiziert Gieseke: "Wenn wir etwa 1968 nach Prag gucken, da hat die DDR schon mit einem eigenen Informanten-Netz agiert. Nach der Niederschlagung des 'Prager Frühlings' hatte sie die Aufgabe, die tschechoslowakische Staatssicherheit gewissermaßen auf Vordermann zu bringen, also wieder auf eine strikte sowjettreue Linie auszurichten."
"Operationsgebiet" Polen
Wie stark die offene Zusammenarbeit mit befreundeten Diensten, aber auch die verdeckten Aktivitäten in Bruderländern war, lässt sich an den elektronisch ermittelbaren Zahlen in der Stasi-Unterlagen-Behörde ablesen. Beim Suchwort "Tschechoslowakei" kommt man auf 3900 Treffer. Sogar 4700 sind es im Falle Polens. Kein Zufall, denn 1980 gründete sich in dem Nachbarland der DDR die oppositionelle Solidarnocs-Bewegung.
Fortan war Polen für das MfS sogenanntes "Operationsgebiet": "Das war ein Begriff aus der internen Stasi-Sprache", erklärt der Historiker Gieseke, "der bedeutete, dass man es faktisch als Feindesland betrachtete und dort auch entsprechend agierte. Das heißt, man warb selber Agenten an. Man versuchte, mit sogenannten Zersetzungsmaßnahmen die polnische Oppositionsbewegung mit niederzuringen. Was natürlich die polnische Staatssicherheit auch versucht hat. Aber all dieses zusammen ist ein Operieren, wie man es sonst in westlichen Ländern kennt, wenn die Staatssicherheit dort zugange war."
Glasnost wirkte sich auf KGB aus
Der große Umbruch in der osteuropäischen Geheimdienst-Kooperation begann Mitte der 1980er Jahre, als Michail Gorbatschow die Macht in der Sowjetunion übernahm. Seine reformorientierte Politik des wirtschaftlichen Umbaus und der gesellschaftlichen Transparenz – kurz Perestroika und Glasnost – wirkte sich natürlich auch auf den KGB aus. Plötzlich wurde in ungewohnter Offenheit und kontrovers auch über politische Führer gesprochen, was in der DDR schlimmste Befürchtungen auslöste. "Es gab 1989 ein sehr denkwürdiges Gespräch zwischen dem stellvertretenden KGB-Vorsitzenden, der in Ost-Berlin zu Besuch war, und dem deutschen Stasi-Chef Erich Mielke", erinnert sich Kommunismus-Forscher Gieseke. "Dabei machte Mielke dem KGB-Mann bittere Vorwürfe und forderte ihn auf, den 'Glasnost-Spuk' zu beenden. In der DDR hätten sie die Kontrolle über die Archive, so dass es keine negativen Berichte über die kommunistischen Führer geben würde. Und das war in der Sowjetunion zu diesem Zeitpunkt eben nicht mehr der Fall."
Das Rad der Geschichte konnte nicht mehr zurückgedreht werden. Nach dem Fall der Berliner Mauer wurden die sozialistischen Regierungen gestürzt und mit ihnen die osteuropäischen Geheimdienste. Die Aufarbeitung von deren Geschichte ist indes noch lange nicht beendet.
Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Stefan Dietrich