Das Mädchen, das die Welt zum Schweigen brachte
20. Juni 2012Severn und drei ihrer Freunde gründeten 1992 die Umweltgruppe ECO, Environmental Children's Organization. Sie sammelten Geld um von Vancouver an der kanadischen Pazifikküste nach Rio de Janeiro zum UN-Gipfel für nachhaltige Entwicklung zu fahren.
Das damals zwölfjährige Mädchen wandte sich in einer Rede an die Delegierten, die die Abgesandten der Regierungen dieser Welt sprachlos machte. "Wir hatten das Gefühl, dass es wichtig war, dort hin zu fahren", erinnert sich Cullis-Suzuki heute, "wir ahnten, dass es überwiegend alte Männer sein würden, die über unsere Zukunft entscheiden würden, über die Zukunft der kommenden Generationen. Also wollten wir dort als Gewissen auftreten, wir wollten den Politikern zeigen, wen ihre Entscheidungen wirklich betreffen."
Persönlicher Appell
Sie sprach sechs Minuten lang, über ihre Ängste angesichts der Umweltzerstörung, und über die Sorgen der kommenden Generationen. "Sie wissen nicht wie die Löcher in unserer Ozonschicht zu beheben sind. Sie wissen nicht wie man Lachse in einem toten Fluss ansiedeln kann. Sie wissen nicht wie man ausgestorbene Tiere wiederbelebt. Und Sie können die Wälder nicht zurückbringen, die einst dort standen wo jetzt Wüste ist. Wenn Sie nicht wissen wie man die Schäden repariert, dann hören Sie damit auf, weiter Schäden zu verursachen!" Ein intensiver, persönlicher und provokanter Appell an die Delegierten.
Sie erhielt stehende Ovationen von Politikern aus aller Welt. Al Gore sagte ihr, sie habe die beste Rede der Konferenz gehalten.
Weltweite Aufmerksamkeit
Mit gerade einmal zwölf Jahren war Severn Cullis-Suzuki auf die Weltbühne katapultiert worden; sie galt als vielversprechende Umweltaktivistin der Zukunft. "Ich hatte damals zwei Leben; auf der einen Seite war ich noch ein Kind, gleichzeitig aber hielt ich weltweit Reden über die Umwelt und machte mich für soziale und Umweltgerechtigkeit stark. In diesem Sinne hat die Rede einen großen Einfluss auf mein Leben gehabt", bilanziert die heute 32jährige Kanadierin.
"Die Rede" von Severn Cullis-Suzuki erregte weltweit Aufsehen. Das Video ist im Internet über 18 Millionen Mal angesehen worden. Ob sie erfolgreich gewesen sei? Die Antwort auf diese Frage fällt ihr schwer. "Es ist nicht leicht einzuschätzen, ob man eine Einfluss auf das Bewusstsein der Menschen gehabt hat. Heute, nach zwanzig Jahren, würde ich sagen, wir haben es nicht geschafft, die Welt nachhaltiger zu gestalten."
Nichts gelernt
Viele Umweltprobleme seien heute schlimmer als noch vor zwanzig Jahren, so Severn Cullis-Suzuki. Sie wird im Juni wieder nach Brasilien fahren, zum Rio+20 Gipfel. Die UN-Konferenz hat sich zum Ziel gesetzt, Wege zur Reduzierung von Armut, zu mehr sozialer Gerechtigkeit und zur Sicherung von Umweltschutz zu finden. Die Welt hat sich viel vorgenommen, sagt Cullis-Suzuki. "In Rio 2012 geht es um nicht weniger als einen Paradigmenwechsel. Das wünsche ich mir. Wir haben es vor zwanzig Jahren nicht geschafft. Wir müssen es jetzt hinkriegen!"
1992 nahm Severn gemeinsam mit anderen 12 und 13jährigen am UN-Erdgipfel teil. Folgerichtig wird sie auch in diesem Jahr mit einer Gruppe junger Aktivisten nach Rio fahren. "We Canada" heißt die Gruppe. "Wir müssen unseren Jugendlichen zuhören. Ich denke, deshalb haben die Leute damals auch mir zugehört. Ich war noch so jung und erinnerte die Leute daran, was hier wirklich auf dem Spiel steht. Und es steht genau das auf dem Spiel, was den Menschen am meisten bedeutet: ihre Kinder."
Das große Thema in diesem Jahr werde der Klimawandel, so Cullis-Suzuki, die hofft, das Bewusstsein für die Dringlichkeit zu wecken. Sie beschwört die Notwendigkeit einer Umkehr und hofft darauf, dass sich die Weltgemeinschaft zur einer echten Nachhaltigkeit verpflichtet.
Kanada in der Kritik
Severn Cullis-Suzuki weiß sehr wohl, dass sich seit ihrer Rede auf der ersten UN-Nachhaltigkeitskonferenz kaum etwas verändert, geschweige denn verbessert hat. Aber manches seit doch anders, gibt sie zu: "Die kanadische Regierung steht in Sachen Umweltpolitik sehr schlecht da; es gibt nur Rückschritte. Vor zwanzig Jahren galt Kanada als Vorreiter in Umweltfragen. Heute ist das Gegenteil der Fall: mein Land ist ein Bremsklotz."
Sie schäme sich oft, Kanadierin zu sein, wenn sie an Umweltkonferenzen teilnehme und zu einer Umkehr aufrufe, innerhalb wie außerhalb Kanadas. "Es ist unabdingbar, dass sich die Staats- und Regierungschefs treffen und zusammenarbeiten, denn diese Themen sind grenzüberschreitend und betreffen uns alle. Und es gibt großen Handlungsbedarf."
Die Zukunft ihrer Söhne
Neben ihrer Arbeit für We Canada! engagiert sich Severn Cullis-Suzuki auch für die Kampagne für neue Schönheitsideale des Kosmetikherstellers Dove. Sie ist kreuz und quer durch Kanada gereist um das Bewusstsein über Klimawandel und Luftverschmutzung zu wecken. Sie hat bei der UN-Erd-Charta Initiative ebenso mitgearbeitet wie in dem Sonderberatungsgremium des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan zum UN-Gipfel über nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002.
Das junge Mädchen, das 1992 in Rio zum ersten Mal die Weltbühne betrat, ist heute selbst zweifache Mutter. Severn Cullis-Suzuki gibt zu, dass sich ihre Sichtweise verändert haben mag, aber ihre Botschaft sei immer noch dieselbe: "Vor zwanzig Jahren, auf dem UN-Gipfel von Rio, habe ich um meine Zukunft gekämpft. Heute geht es mir um die Zukunft meiner Söhne." Sie werde sich in Rio Gehör verschaffen, kündigt Severn Cullis-Suzuki selbstbewusst an.