Jahresausblick 2023: Afrikas Krisen halten an
30. Dezember 2022Anstehende politische Termine und Ereignisse rücken mit dem Jahreswechsel näher in den Blickwinkel: In Afrika werden 2023 in 17 Ländern Staats- oder Parlamentswahlen abgehalten, die Auswirkungen auf den Kontinent haben werden, sagt die Economist Intelligence Unit und warnt: Die Zeit der Wahlen könne in Afrika sehr unbeständig sein, und es bestehe ein hohes Risiko von politischen Protesten, Massendemonstrationen und Streiks in einer Reihe von Ländern.
Wird die Demokratie stabilisiert?
"Zunächst einmal bleibt zu beobachten, ob das Putsch-Drama, das wir auf dem Kontinent 2022 erlebt haben, weitergeht oder ob das Jahr 2023 einen Bruch mit diesem Phänomen markiert, insbesondere vor dem Hintergrund des jüngsten Putschversuchs in São Tomé und Príncipe", sagt Fonteh Akum, Geschäftsführer des Instituts für Sicherheitsstudien (ISS) im DW-Interview. In dem Inselstaat im Golf von Guinea scheiterte am 25. November 2022 nach Behördenangaben der Versuch, die Regierung zu stürzen.
Ein zentraler Faktor im nächsten Jahr wird sein, ob die Demokratie gefestigt oder weiter zurückgedrängt wird. "Die wichtigsten Wahlen, die es zu beobachten gilt, sind in Nigeria, Südafrika, der Demokratischen Republik Kongo und Simbabwe, wobei es in einigen dieser Länder zu Gewalt kommen wird", prognostiziert Alex Vines, Leiter des Afrika-Programms der Londoner Denkfabrik Chatham House.
Nigeria: Wahl der Veränderung
Nigeria hat im Vorfeld der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen Ende Februar 2023 eine Welle des zivilen und politischen Engagements junger Menschen erlebt, aber auch politische Gewalt und Unruhe. ISS-Geschäftsführer Akum betont: "Die nigerianischen Wahlen sind wirklich wichtig, weil es sich um eine der größten Volkswirtschaften des Kontinents handelt und Nigeria mit Sicherheitsproblemen zu kämpfen hat", sagt Akum. Wichtig auch wegen der Jugend in Nigeria, die das Macht-Gleichgewicht zwischen den großen politischen Parteien in die eine oder andere Richtung verschieben könnte.
Wenige Monate vor den Wahlen in Nigeria ist die politische Atmosphäre in dem Land mit 217 Millionen Einwohnern angespannt. Der bisherige Präsident Muhammadu Buhari tritt nach zwei Amtszeiten nicht mehr an. Es sei eine Wahl der Veränderung, sagt Akum. Gegenüber stehen sich die großen politischen Parteien, die derzeit regierende APC (All Progressives Congress) und die größte Oppositionspartei PDP (People's Democratic Party). Aus Akums Sicht könnte jedoch ein dritter Kandidat den Wettkampf maßgeblich beeinflussen: Peter Obi, Geschäftsmann und Kandidat der Labour Party erhält derzeit viel Zulauf von jungen Nigerianern.
Krisen bestehen weiter
Westafrika sei von zunehmender Instabilität und der Ausbreitung der gewalttätigen Extremisten geprägt, sagt Akum. In den Sahelländern Burkina Faso und Mali putschte jüngst das Militär - in Mali sogar zum zweiten Male in kurzer Zeit. Man müsse beobachten, wie sich ihr Übergang gestalte.
Die Krisen des Kontinents werden laut Alex Vines 2023 weiter bestehen. "Vor allem in der Sahelzone, insbesondere in Mali und Burkina Faso, aber auch in Niger", sagt Vines im DW-Interview. In Kamerun und Nigeria sei die Lage nach wie vor besorgniserregend, da in Teilen dieser Länder große Unsicherheit herrsche. Auch stehe im Fokus, ob das im Herbst 2022 zwischen der äthiopischen Regierung und der abtrünnigen Provinz Tigray vereinbarte Friedensabkommen Bestand haben werde. Der Norden Mosambiks gebe weiterhin Anlass zur Sorge - dort treibt dschihadistischer Terror Menschen in die Flucht.
Ebenfalls als Krisenherd gilt der Ostkongo. Damit stehen die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Demokratischen Republik am 20. Dezember 2023 geplanten Wahlen im Mittelpunkt, und das Verhalten des amtierenden Präsidenten Félix Tshisekedi, sagte Akum mit Blick auf die Gewalt durch die Milizen im Osten und ihre Auswirkung auf die Durchführung der Wahlen.
Laut Akum sei bei allen Wahlen von Bedeutung, wie die Wahlkommissionen die Prozesse effektiv verwalten und Anfechtungen von Wahlen handhaben würden. Präsident Felix Tshisekedi übernahm das Amt von seinem langjährigen Vorgänger Joseph Kabila. Es wird erwartet, dass Tshisekedi erneut antritt. Ein wahrscheinlicher Herausforderer ist der Oppositionspolitiker Martin Fayulu.
Südafrika am Scheideweg
In Südafrika muss der Afrikanische Nationalkongress (ANC), die ehemalige Befreiungsorganisation, die Südafrika seit dem Ende der Apartheid regiert, Vertrauen zurückgewinnen: Mitte Dezember wurde auf dem ANC-Parteitag Präsident Cyril Ramaphosa als Parteichef bestätigt. Das gilt auch als Weichenstellung für eine Spitzenkandidatur und mögliche zweite Amtszeit Ramaphosas als Staatsoberhaupt - die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen finden 2024 statt.
Auch wenn die Partei ihm mit dem Schritt das Vertrauen ausgesprochen hat - in der Bevölkerung wirdRamaphosaes mühsam zurückgewinnen müssen: Ihm wird Geldwäsche vorgeworfen - die Opposition forderte seinen Rücktritt. Für den ANC steht die bislang unangefochtene Machtposition bei Wahlen auf dem Spiel. Schuld daran ist die jahrelange schlechte Regierungsführung: widersprüchliche Politik, Missstände in der Verwaltung und Korruption im großen Stil.
Im Nachbarland Simbabwe wird wohl die neu gegründete, größte Oppositionspartei Citizens Coalition for Change (CCC) unter der Führung des Oppositions-Veterans Nelson Chamisa den Amtsinhaber Emmerson Mnangagwa bei den Präsidentschaftswahlen herausfordern. Aber die Brutalität, mit der Simbabwes regierende ZANU-PF (Zimbabwe African National Union - Patriotic Front) in der Vergangenheit auf Herausforderung ihrer Herrschaft reagierte, lässt Unruhen befürchten - das Land ist seit über zwei Jahrzehnten von Instabilität gezeichnet: Hyperinflation hat das einst blühende Land verarmen lassen.
Steigende Inflation erhöht Schulden
Politische und humanitären Krisen werden durch ökonomische Faktoren verstärkt: "Afrikas wirtschaftliche Erholung von den Folgen der COVID-19-Krise im Jahr 2022 ist durch eine Reihe von Schocks unterbrochen worden", sagt Analyst Alex Vines. Dazu zählen Lieferengpässe und die schnell steigende Inflation, auch angeheizt durch die weltweiten Auswirkungen von Russlands Angriff auf die Ukraine. Dadurch bleibe die Schuldentilgung für viele Länder ein Problem. Hinzu kämen hohe Kreditkosten unter schlechtesten Bedingungen aller Zeiten. Vines: "Dieser Trend setzt sich 2023 fort, aber es wird weiterhin ein afrikanisches Wirtschaftswachstum geben."
Die großen Volkswirtschaften Nigeria und Südafrika dürften nach Vines' Einschätzung langsamer wachsen: Die Rohstoffpreise, insbesondere für Energieprodukte, Metalle und Mineralien, würden jedoch weiter steigen - auch versuchten Investoren und Käufer, ihre Lieferketten weg von Russland zu diversifizieren. Vines betont, dass eine Reihe von Ländern - einschließlich Angola, Nigeria, Demokratische Republik Kongo, Namibia, Tansania und Sambia - davon profitieren werden.