1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Das Jahr 2017 in der Filmliteratur

Jochen Kürten
31. Dezember 2017

2017 feiert die Ufa Jubiläum und der Weinstein-Skandal erschüttert die Welt. Das sind zwei Themen aus elf lesenswerten Büchern über das Kino. Unser Rückblick auf das Filmjahr 2017 - zwischen zwei Buchdeckeln.

https://p.dw.com/p/2pQKm
Filmbuchabteilung der Buchhandlung König in Köln
Bild: DW/J. Kürten

Was ist das wichtigste Filmbuch des Jahres? Vermutlich sind es zwei bereits ältere Titel. Der eine erschien schon 1959, der andere 2004. Das eine Buch, das ältere, heißt "Hollywood Babylon", das neuere "Sex, Lies & Pulp Fiction". Warum sind diese beiden betagten Bücher gerade jetzt lesenswert? Weil sie viel zu erzählen haben über Hollywood und den Skandal rund um Harvey Weinstein, über den Umgang mit Sex und Macht, über Skandale und Skandälchen.

Biskind nahm Weinstein schon vor vielen Jahren ins Visier

Der bekannte amerikanische Filmjournalist Peter Biskind, Autor des Film-Bestsellers "Easy Riders, Raging Bulls", hat sich in seinem Buch "Sex, Lies & Pulp Fiction", das in den USA 2004 erschien und welches das Hollywood der 1990er Jahre unter die Lupe nimmt, auf einen bestimmten Hauptprotagonisten konzentriert: Harvey Weinstein. Das Buch bietet neben vielen interessanten Details über Filme, Regisseure, Schauspieler und Produzenten vor allem eines: das Psychogramm Harvey Weinsteins (und seines Bruders Bob).

USA Uma Thurman in Pulp Fiction
Weinsteins großer Erfolg als Produzent: "Pulp Fiction" mit Uma ThurmanBild: picture alliance/KPA

Finesse war für Harvey ein Fremdwort. Er riss Telefonapparate von der Wand und benutzte sie als Wurfgeschoss. Er ließ Türen zuknallen und schmiss Schreibtische um. Fast alles in seiner Reichweite konnte urplötzlich zur Waffe umfunktioniert werden - Aschenbecher, Bücher, Videokassetten, die gerahmten Familienfotos auf seinem Schreibtisch, die er in Richtung eines bedauernswerten Mitarbeiters schleuderte und dann an der Wand zerschellen sah, in einem Hagel aus Glas, denn in der Wirklichkeit trafen sie ihr Ziel nie oder jedenfalls so gut wie nie. Das Ganze war nur Theater - ein Theater der Grausamkeit.

Die Sex-Vorwürfe gegen Harvey Weinstein waren damals noch nicht akut

Derartige Passagen finden sich viele in dem Buch. Aus heutiger Sicht muss man konstatieren: Die vielfach beschriebenen cholerischen Auftritte des Produzenten mögen oft nur Theater gewesen sein, aber nicht selten waren sie auch ernst gemeint. Sie hinterließen viele Opfer. Mitarbeiter am Set und in den Büros. Und wohl auch viele Frauen, wie man heute weiß.

Symbolbild Bildkombi Opfer sexuelle Belästigung Harvey Weinstein
Harvey Weinstein und einige Frauen, die ihn der sexuellen Belästigung beschuldigenBild: getty images / picture-alliance

Über die mutmaßlichen sexuellen Übergriffe Weinsteins findet man in Biskinds Buch nicht viel. Das wurde damals offenbar noch unter der Decke gehalten. Doch die anderen Beschreibungen des Mannes, der auf der einen Seite sehr erfolgreich im amerikanischen Film-Business mitmischte, auf der anderen Seite aber offenbar sehr viele, sehr unangenehme Eigenschaften hatte, lassen in ihrer Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig.

Übrigens: Harveys Bruder Bob kommt bei Peter Biskind nicht besser weg:

Eine Person, die die beiden damals gekannt hat, meint: 'Wenn man Harvey als den Sonnyboy betrachten konnte, dann war Bob der Finsterling. Ich bin noch nie im Todestrakt eines Gefängnisses gewesen, aber genauso stellte ich mir das Feeling vor, das ich in der Nähe Bobs verspürte. Der Typ ist mir irgendwie unheimlich.' Wie Tina Brown es Jahre später formuliert haben soll: 'Bob ist derjenige, der noch nicht stubenrein ist.'

"Hollywood Babylon" erschien in den USA erst spät

Noch legendärer als Peter Biskinds Filmbücher über Hollywood und die Mechanismen der Filmfabrik ist das Buch von Kenneth Anger "Hollywood Babylon". Der Regisseur, der vor allem mit Kurzfilmen über okkulte Themen bekannt geworden war und u.a. mit Größen wie Jean Cocteau zusammenarbeitete, schrieb das Manuskript für sein Buch Ende der 1950er Jahre. Er trug damals alles zusammen, was er über Skandale in Hollywood wusste. Und das war eine ganze Menge. Die "Neue Züricher Zeitung" schrieb damals:

Es ist ein ganz und gar entzaubertes Hollywood, das hier präsentiert wird, der Hinterhof Hollywoods sozusagen mitsamt den Mülltonnen, ein Hollywood der Skandale, der Perversionen, der Morde und Selbstmorde.

Buchcover Hollywood Babylon 1+2 von Kenneth Anger
Legendäres Filmbuch über Hollywood, Sex, Mord und SelbtsmordBild: Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins

Natürlich spielte Harvey Weinstein damals noch keine Rolle. Doch die Gebrüder Weinstein hätten vermutlich sehr gut in das erzählerische Konzept des Autors Kenneth Anger gepasst. "Hollywood Babylon" erschien 1959 in Frankreich. In den USA war es zunächst verboten, zu verstörend schienen den Amerikanern die Auslassungen ihres Landsmanns über die Untiefen des Filmbetriebs, der ja vor allem auch für Glanz und Gloria stand.

In den USA war ab Mitte der 1960er Jahre nur ein Raubdruck des Textes zu haben - oft nur in den Pornoabteilungen der Buchhandlungen. Eine erste reguläre Ausgabe erschien 1975. Sechs Jahre später schrieb Anger einen zweiten Teil. In Deutschland veröffentlichte der Verlag "Rogner & Bernhard" beide Teile von "Hollywood Babylon" im Jahre 2011. Heute ist der Band nur noch antiquarisch zu haben. Vielleicht wäre es jetzt Zeit für eine Neuauflage. Das Interesse wäre sicherlich vorhanden.

Und das sind die wirklich neuen Filmbücher des Jahres 2017:

Paul Duncan: Das Pedro Almodóvar Archiv, aktualisierte Neuausgabe, 456 Seiten, in engl. Sprache, Taschen Verlag, ISBN-13: 978-3-8365-4792-5;

Jean-Claude Carrière: Buñuels Erwachen, aus dem Französischen von Uta Orluc unter Mitwirkung von Heribert Becker, 296 Seiten, Alexander Verlag, ISBN 978-3-89581-455-6;

Martin Walder: Claude Goretta - der emphatische Blick, 240 Seiten, Schüren-Verlag, ISBN-13: 978-3-89472-975-2;

Jörg Helbig, Angela Fabris und Arno Russegger (Hrsg.): Horror-Kultfilme, 200 Seiten, Schüren Verlag, ISBN 978-3-89472-618-8;

Éric Rohmer: Zelluloid und Marmor - Architektur, Bildende Kunst, Literatur, Musik und Film, aus dem Französischen von Marcus Seibert, 192 Seiten, Alexander Verlag, ISBN 978-3-89581-457-0;

Johannes Horstmann: Filmische Sinnfragen im Film, 336 Seiten, Schüren Verlag, ISBN 978-3-89472-708-6;

Jörn Glasenapp: Luchino Visconti, 112 Seiten, Verlag edition text + kritik, ISBN-13: 978-3-86916-640-7;

Peter Mänz, Rainer Rother und Klaudia Wick (Hrsg.): Die UFA - Geschichte einer Marke, 200 Seiten, Kerber Verlag, ISBN 978-3-7356-0421-7;

Rainer Rother und Vera Thomas (Hrsg.): Linientreu und populär - Das Ufa-Imperium 1933–1945, 224 Seiten, Verlag Bertz & Fischer, ISBN 978-3-86505-255-1.

Das Buch von Peter Biskind erschien in Deutschland 2005 beim Verlag "Roger & Bernhard bei Zweitausendeins". Dort kam 2011 auch der Band mit den beiden Büchern von "Hollywood Babylon" von Kenneth Anger heraus. Der Verlag ging 2015 in die Insolvenz, im vergangenen Jahr übernahm "Kein & Aber" die Insolvenzmasse. Die Bücher sind antiquarisch zu haben.