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"Das ist ein Kampf um Abchasien"

23. August 2004

Was steckt hinter der Position Russlands im Konflikt zwischen Georgien und Südossetien?

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Moskau, 17.8.2004, KOMMERSANT, russ., Gennadij Syssojew

(...) Sowohl die eine als auch die andere Seite [die georgische und die ossetische] benutzen, wenn sie von diesen Ereignissen [Kämpfe in Südossetien] sprechen, das Wort "Krieg". Sie haben recht: Es handelt sich um einen Krieg, infolge dessen Russland entweder seinen Einfluss im Transkaukasus behalten wird oder gezwungen sein wird, sich mit dem Verlust dieser Region abzufinden.

Genau genommen ist Südossetien für Russland gar nicht so wichtig. Vom Ausgang des Kampfes zwischen Tbilissi und Zchinwali hängt jedoch das Schicksal einer für Russland viel bedeutenderen Region ab – Abchasiens. In Abchasien, in der Nähe von Gudauta, liegt ein strategisch wichtiger Flughafen, der, wie Fachleute behaupten, einmalig ist – der Start der Militärflugzeuge wird von den Radaranlagen der NATO in der Türkei praktisch nicht erfasst. Früher lag in Gudauta ein russischer Militärstützpunkt, heute eine Militärbasis der Friedenstruppen. Der Flughafen steht jedoch weiterhin unter russischer Kontrolle. Sollte Tbilissi seine Kontrolle über Abchasien herstellen, wäre das bestimmt nicht mehr der Fall.

Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der die strategische Wichtigkeit Abchasiens für Russland bestimmt. Nur Dutzende Kilometer von der Grenze der nicht anerkannten Republik entfernt liegt am Fluss Psou die südliche Residenz des Präsidenten der Russischen Föderation – Krasnaja Poljana. Die abchasischen Politiker erinnern stets daran, dass mit der Rückkehr Georgiens nach Suchumi an den Ufern des Psou-Flusses sofort eine Beobachtungs- und Abhörstation der NATO errichtet wird, die "alles hören und sehen wird".

Auch materiell gesehen ist Moskau daran interessiert, Abchasien in seinem Einflussbereich zu behalten. Russland hat in den letzten Jahren viele Immobilien in der nicht anerkannten Republik erworben. Dabei handelt es sich nicht nur um die preiswerten Wohnhäuser, die Russen bei den Einwohnern Abchasiens kaufen, sondern auch die ehemaligen sowjetischen Sanatorien und Erholungsheime an der abchasischen Küste, die von russischen Firmen oder Staatsstrukturen gekauft oder für eine längere Zeit gemietet wurden. Es geht dabei um Dutzende und Hunderte Millionen Dollar. Die regelmäßigen Erklärungen georgischer Politiker, die Privatisierung in Abchasien nach der Wiederherstellung dort der Macht von Tbilissi zu revidieren, zwingen Moskau, alles zu tun, damit es nicht dazu kommt.

Aber auch das ist noch nicht alles. Natürlich wurde der bevorstehende Kampf um Abchasien durch den Versuch von Tbilissi hervorgerufen, sich die abtrünnige Republik zurückzuholen. In Wirklichkeit ist jedoch der Kampf um Abchasien ein Kampf um Georgien selbst. Für Russland ist er eben deshalb wichtig.

Seinerzeit empfahl Zbigniew Brzezinski der Führung der USA nicht zuzulassen, dass Russland die Ukraine unter ihren Einfluss stellt – ohne Kiew werde Moskau nicht imstande sein, die Kontrolle über das ehemalige Sowjetimperium wieder herzustellen. Georgien ist heute für Russland von gleicher Bedeutung wie die Ukraine.

Behält Moskau seinen Einfluss auf Tbilissi bei, kann es (unter Berücksichtigung der strategischen Partnerschaft mit Armenien) nicht nur den Transkaukasus kontrollieren. In diesem Fall wird in der Zukunft auch Zentralasien, wo sich die politische und militärische Präsenz der USA in der letzten Zeit deutlich vergrößert hat, fast unvermeidlich in den russischen Einflussbereich zurückkehren. Sollten die zentralasiatischen Republiken keine Alternative für den russischen Weg des Exports ihrer strategischen Ressourcen in den Westen bekommen (welcher in erster Linie die Erdölpipeline Baku-Tbilissi-Ceyhan ist), werden sie zusammen mit Aserbaidschan gezwungen sein, früher oder später erneut um einen Platz unter dem Moskauer Regenschirm zu bitten. Und mit der Rückkehr der Kontrolle über Zentralasien und den Transkaukasus wird die Wiederherstellung des ehemaligen Sowjetimperiums (auch wenn auf anderen Prinzipien) für Moskau kein so utopisches Ziel mehr sein. Der Verlust effektiver Einflusshebel auf Tbilissi würde die russische Militärpräsenz in Armenien im Gegenteil sinnlos machen und zur Schwächung seiner Positionen im ganzen Transkaukasus und Zentralasien führen.

Moskau geht davon aus, dass es seinen Einfluss auf Georgien in erster Linie durch die Kontrolle über Abchasien beibehalten wird. Es hat Micheil Saakaschwili erlaubt, den Kampf um Batumi mit Triumph zu gewinnen, indem es den adscharischen Machthaber Aslan Abaschidse überredete, zurückzutreten. Bei diesem Dienst rechnete Moskau mit Gegenseitigkeit. Zum Beispiel damit, dass Tbilissi sich von der Forderung lossagt, die russischen Truppen vom georgischen Territorium abzuziehen. Hätte Micheil Saakaschwili die Schulden bei Russland rechtzeitig beglichen, würde es ihm wahrscheinlich leichter fallen, die Kontrolle über Zchinwali herzustellen. Wird doch in Tbilissi ganz offen davon gesprochen, dass das südossetische Problem am besten in Moskau gelöst werden sollte.

Micheil Saakaschwili zog es jedoch vor, den Dienst zu vergessen, den Russland ihm in Adscharien erwiesen hat. Umso mehr hat er allem Anschein nach mit der totalen Umverteilung des Eigentums in Adscharien einige nicht öffentliche Übereinkünfte mit Moskau verletzt, die während der Batumi-Krise erzielt wurden. Darüber hinaus entschied er noch, von einem Augenblick auf den anderen die Kontrolle über Südossetien wieder herzustellen. Wäre es zu einem schnellen Erfolg gekommen, hätte er die Möglichkeiten Russlands, Handel wegen Abchasien zu betreiben, wesentlich reduziert. Und das möchte Moskau nicht zulassen.

All das führte dazu, dass Micheil Saakaschwili heute vor einem unangenehmen Dilemma steht – sich in einen neuen georgisch-ossetischen Krieg verwickeln zu lassen oder einen Handel mit Moskau zu beginnen, dessen wichtigster Gegenstand Abchasien sein wird. Deshalb werden sowohl in Moskau als auch in Tbilissi die am 3. Oktober in Abchasien bevorstehenden Präsidentschaftswahlen aufmerksam verfolgt. Wird doch davon, wie "biegsam" das Oberhaupt dieser nicht anerkannten Republik sein wird, weniger der Ausgang des Kampfes um Abchasien als die Situation im Transkaukasus insgesamt abhängen. (lr)