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Demokratiemaschine Internet

9. September 2011

Das Internet schafft mehr Transparenz als autoritäre Regime überstehen können - Eine These, die seit den arabischen Revolutionen Konjunktur hat. Was ist dran?

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Ein Bildschirm mit einer Facebook-Seite. Im Hintergrund ein Demonstrant (Bild: dpa)
Facebook-Nutzer während des Aufstands in TunesienBild: picture-alliance/dpa

Die Diktatur reagierte spät, aber entschlossen. Kurz nach Mitternacht in der Nacht zum 28. Januar 2011 ging Ägypten offline. Die Regierung nahm das Land vom Netz, sperrte den Zugang zum Internet. Seit zwei Tagen protestierten die Ägypter gegen ihre Regierung – und die hatte verstanden, wie schnell Massenproteste zum Sturz von Regierungen führen können, selbst wenn diese seit Jahrzehnten vermeintlich fest im Sattel sitzen. Wenig zuvor hatten die Tunesier den Präsidenten Ben Ali in tagelangen Massenprotesten gestürzt. Ausgelöst hatte die dortigen Proteste ein Gemüsehändler in Sidi Bouzid im Süden des Landes, es kam zu aufgebrachten Protesten in der Provinzstadt. Dass die Proteste am Ende zum Sturz des Regimes führten, sei aber nur möglich gewesen, weil sich die Bilder und Informationen über das ganze Land ausbreiteten – mittels Facebook, als Internetvideos und über Twitter, sagt Sihem Bensedrine, Chefredakteurin des oppositionellen Radiosenders Kalima in Tunis. "Das Internet hat die Ereignisse nicht erschaffen. Aber es hat sie ermöglicht."

Keine Zeit zu reagieren

Demonstrant auf dem Tahrir-Platz in Kairo schwenkt seine Fahne vor Polizisten in Kampfausrüstung (Bild:dpa)
Ein demonstrant diskutiert mit Polizisten auf dem Tahrir-Platz. Viele der Demonstranten in Kairo haben sich in sozialen Netzen verabredetBild: picture-alliance/dpa

Seitdem ist viel die Rede von einer Facebook-Revolution, einer Revolution, die durch Soziale Netzwerke ausgelöst wurde. Und auch der ägyptischen Regierung half am Ende nicht mehr, dass sie noch kurzfristig das Internet abschalten ließ. Die Proteste hätten zu dem Zeitpunkt bereits die kritische Grenze überschritten, sagt Slobodan Djinovic, einer der Organisatoren der serbischen Proteste gegen Milosevic im Jahr 2000 und seitdem so eine Art Fachberater für Revolutionäre. Seine Organisation Canvas berät Oppositionsgruppen weltweit, die den friedlichen Umsturz autoritärer Regime organisieren wollen. Entscheidend für einen Aufstand gegen autoritäre Regime sei in erster Linie die Frage, wie groß die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist und wie loyal Polizei, Militär und gesellschaftliche Interessengruppen dem Regime gegenüberstehen, erklärt er. Sowohl in Tunesien als auch in Ägypten hätten die sozialen Netzwerke am Ende den Ausschlag gegeben. Seine Analyse: "Die Massen sind so schnell auf der Straße, dass die Regierungen überrascht werden und keine Zeit haben zu reagieren."

Protestierende in Minsk werden von einem Polizisten in Zivil abgefangen (Bild: dapd)
Protestierende in Minsk werden von einem Polizisten in Zivil abgefangenBild: dapd

Nun wird viel darüber diskutiert, ob in Zeiten der globalen Vernetzung autoritäre Regime überhaupt noch überleben können. Können sie, sagt Yan Rozum, Chefredakteur der weißrussischen Internetzeitung telegraf.by. Auch in Weißrussland hätten Oppositionsgruppen versucht, Proteste über soziale Netze zu organisieren – mit ganz anderen Folgen. "Jeder kann diesen Gruppen beitreten und die Liste der Mitglieder dieser Gruppen sehen" sagt er. Das nutze auch die Polizei und könne dann ebenso schnell eingreifen, wenn größere Proteste drohen. "Genau das ist passiert: Es gab vier oder fünf erfolgreiche Aktionen, dann wurden die Anführer dieser Gruppen für 15 Tage in Arrest genommen. Und ohne ihre Anführer sind auch die Bewegungen wieder verschwunden."

Internetdienste unter Regierungskontrolle

Michael Anti (Bild:dw)
Michael AntiBild: DW

Immer mehr autoritäre Regierungen verstehen, dass die Kontrolle über die sozialen Netzwerke kritisch für ihren Machterhalt ist – am deutlichsten verstanden hat das wohl die chinesische. Michael Anti, Blogger und Bürgerjournalist, glaubt nicht, dass in seinem Land eine Revolution nach arabischem Vorbild möglich ist – was gar nicht in erster Linie an der strengen Internetzensur liege. "Wenn ich, wie in den arabischen Staaten, ohnehin keine Arbeit habe, dann kann ich auch auf die Straße gehen und demonstrieren", sagt er. "Aber in China haben die jungen Leute ja durchaus etwas zu verlieren." Dennoch habe die Regierung auch für den Fall vorgesorgt, dass die Stimmung irgendwann kippt – und zwar nicht nur durch Zensurfilter. "China hat einfach alle Internetdienste kopiert." Statt Twitter benutzten die Chinesen einen Mikroblogging-Dienst namens Sina Weibo, statt Google die Suchmaschine Baidu, statt Facebook das Netzwerk Renren. Anders als jede andere Regierung könne die chinesische Regierung deshalb auch diese Dienste kontrollieren. "Deshalb kann ich bis heute nicht erkennen, dass dort politische Strukturen entstehen."

Und so könnte es sein, dass es sobald nicht mehr vorkommt, dass sich autoritäre Regime von der digitalen Kommunikation überrumpeln lassen. Dann wären die arabischen Revolutionen nicht nur die ersten Facebook-Revolutionen, sondern auch die letzten.

Autor: Mathias Bölinger
Redaktion: Peter Stützle