"Das Gesicht von Pjöngjang verändert sich"
6. November 2016Calvin Chua lehrt an der "Singapore University of Technology and Design". Als Architekt hat er bereits viele internationale Preise gewonnen, war an preisgekrönten Bauprojekten in Europa und Asien beteiligt. Und daneben engagiert er sich seit einiger Zeit in Nordkorea, veranstaltet Workshops, an denen ausländische Architekten gemeinsam mit einheimischen teilnehmen und sich austauschen. Was ihn an Nordkorea architektonisch fasziniert, wie das Bild Pjöngjangs sich in den vergangenen Jahren verändert hat und wie kreativ nordkoreanische Architekten überhaupt arbeiten können, schildert er im DW-Interview.
Deutsche Welle: Wann und wie sind Sie auf die Idee gekommen, in Nordkorea aktiv zu werden?
Calvin Chua: Nordkorea hat mich schon interessiert, als wir in der Schule die Geschichte und Politik des Kalten Krieges durchgenommen haben. Meine Neugier war geweckt. Zum ersten Mal nach Nordkorea gereist bin ich dann als Tourist während meines Studiums.
Was genau hat sie gereizt, dort auch zu arbeiten? War es aus architektonischen Gründen - oder war es mehr ein generelles Interesse am Land?
Diese riesigen öffentlichen Plätze und die Betondenkmäler waren das erste, was mich in Pjöngjang angezogen hat. Aber später waren es mehr die kleinen Details, die diese Stadt ausmachen. Kleinigkeiten wie die Topfpflanzen auf fast allen Balkonen in den Apartment-Wohnhäusern oder winzig kleine Geschäfte, bei denen man von Kleidung bis zu Bodenfliesen alles kaufen kann. Das bietet einen Einblick in die nordkoreanische Gesellschaft.
Auf einen Laien wirkt Pjöngjang eher grau und eintönig. Wie vielfältig ist die Bauweise tatsächlich? Und was sind typische architektonische Merkmale?
Das auffälligste Merkmal an der Architektur in Pjöngjang ist der Einsatz von Beton. Beton ist das am meisten genutzte Baumaterial. Dadurch wird auch der monumentale Charakter der Gebäude betont. Wenn man ein bisschen weiter geht, kann man anhand unterschiedlicher Gebäudetypen auch etwas über die Geschichte der Stadt ablesen. Regierungsgebäude und andere öffentliche Gebäude, die direkt nach dem Ende des Korea-Krieges errichtet wurden, zeichnen sich durch einen neoklassizistischen Stil aus, da sie in Zusammenarbeit mit sowjetischen und DDR-Architekten gestaltet wurden. Wohnblöcke mit ihren nüchternen und schmucklosen Plattenbauten dagegen hatten eher etwas Modernistisches. Gebäude aus den 1970er- und 1980er-Jahren setzten wiederum auf traditionelle Elemente wie beispielsweise die koreanischen Ziegeldächer. Darin sollte sich die sozialistische Architektur mit charakteristischen koreanischen Details widerspiegeln. Bis zu einem gewissen Grad ist die Architektur einzelner Häuser sehr abwechslungsreich, aber wenn man es als Ganzes betrachtet, dann kann es auf einen Touristen, der zum ersten Mal im Land ist, durchaus monoton wirken.
Welche Veränderungen der lokalen Architektur haben Sie im Laufe der Jahre selbst beobachten können?
Als ich 2008 zum ersten Mal im Land war, bestand eine enge Beziehung zwischen der Architektur einzelner Gebäude und dem Gesamtbild, das die Stadt bot. Beispielsweise wurde die Höhe von Wohn-Hochhäusern variiert, um den Ausblick auf die Straßen zu verbessern. Durch den massiven Bauboom der vergangenen Jahre allerdings scheint es, als würde das schiere Tempo gegenüber einer einheitlichen Bauweise Vorrang haben. So wurden beispielsweise in der Nähe des Kim-Il-Sung-Platzes mehrere Hochhäuser mitten in normalen Wohngebieten errichtet. Das ist unüblich, denn sie passen ja nicht mit der niedrigen Architektur dieses monumentalen Platzes zusammen. Auch die Wohn-Türme an der Mirae Street und der Ryomyong Street sind architektonisch sehr verschieden. Sie scheinen einen Bruch mit früheren Traditionen darzustellen, als Gebäude im selben Distrikt einander ähnlich sehen sollten.
Was sind aus architektonischer Sicht die außergewöhnlichsten Gebäude in Pjöngjang?
Die "Grand People's Study Hall", in der wir unsere Workshops abhalten, ist beeindruckend aufgrund ihrer räumlichen Proportionen und ihrer architektonischen Details. Offensichtlich wurde dort - verglichen mit neueren öffentlichen Gebäuden - viel mehr Aufmerksamkeit auf die Bauweise gelegt. Das Reptilien-Haus des Central Zoo auf der anderen Seite zeigt auf, in welche Richtung die Architektur in Nordkorea gehen könnte. Im Inneren wirkt es wie ein Bio-Dome, von außen allerdings hat es die Form einer Schildkröte. Design und Konstruktion dieser Anlage sind in Nordkorea ziemlich einzigartig, denn es ist eines der wenigen Gebäude im Land, bei dem das hauptsächlich verwendete Baumaterial Stahl ist. Außerdem verfügt es über eine doppelkurvige Geometrie. Normalerweise werden nordkoreanische Bauprojekte von großen Teams durchgeführt: Architekten, Ingenieure und Bauarbeiter. In diesem Fall aber war es nur ein kleines Team, das zudem eng mit ausländischen Herstellern zusammengearbeitet hat. Kurz gesagt zeigt dieses Beispiel, wie ambitioniert die nordkoreanische Architekturszene ist und welches Potenzial hier noch schlummert.
Seit Kim Jong Un an der Macht ist, hat ein regelrechter Bauboom eingesetzt. Eines der prestigeträchtigen Wohn-Hochhäuser, die Sie beschrieben haben, ist allerdings im Frühjahr 2014 eingestürzt. Was können Sie insgesamt über die durchschnittliche bauliche Qualität und die der verwendeten Materialien sagen?
Wir tauschen uns mit nordkoreanischen Architekten und Ingenieuren aus. Basierend darauf kann ich sagen, dass sie daran arbeiten, Isolierungen und wasserfeste Materialien für den Bau neuer Gebäude zu verbessern. Aufgrund der extremen Temperaturen und wegen des fehlenden Strom während der Wintermonate ist das dringend nötig.
Die politischen Umstände in Nordkorea sind allgemein bekannt. Wie schwer war es für Sie vor diesem Hintergrund, dort überhaupt Fuß zu fassen? Und welche Hürden mussten Sie unterwegs meistern?
Das lief über "Choson Exchange", eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in Singapur, die Business-Trainings für Nordkoreaner anbietet. Darüber ist die Verbindung entstanden. Ich habe zunächst bei ein paar Programmen als freiwilliger Helfer mitgemacht, bevor ich dann in Kooperation mit der "Architectural Association School of Architecture" den ersten Workshop veranstaltet habe. Die größte Herausforderung war es vielleicht, so einen Workshop trotz der eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten zu organisieren.
Vor zwei Jahren haben Sie erstmals ein Austauschprogramm durchgeführt, bei dem ausländische Journalisten für zehn Tage nach Nordkorea reisen konnten. Was beinhaltet dieses Programm und wie eng kommen die ausländischen dabei wirklich mit lokalen Architekten zusammen?
Das Programm beginnt mit einer zweitägigen Tour durch die Stadt. Anschließend daran gibt es verschiedene Vorträge und intensive Analyse-Sessions. Trotz einiger kultureller Unterschiede und der Sprachbarriere haben die ausländischen sehr gut mit den nordkoreanischen Architekten zusammengearbeitet. Sie haben anhand von Konstruktionsskizzen und digitalen Modellen über Ideen und Konzepte gesprochen. Dabei war es für beide Seiten sehr hilfreich, dass sie eine ähnliche Architektur-Software verwenden.
Gibt es auch Pläne, nordkoreanische Architekten ins Ausland einzuladen oder ist das nicht möglich?
Wir haben schon ein Interesse daran, sie auch ins Ausland einzuladen. Aber das ist abhängig von den finanziellen Mitteln. Und außerdem brauchen wir passende Programme, an denen sie teilnehmen können.
Werden Nachwuchsarchitekten in Nordkorea in irgendeiner Weise gezielt gefördert?
Nein, aber sie bekommen eine Möglichkeit, ihre technischen Fähigkeiten früh weiterzuentwickeln. So dürfen Studenten im letzten Studienjahr unter Anleitung erfahrenerer Architekten an echten Bauprojekten mitarbeiten. Das bietet ihnen die Gelegenheit, schon vor dem Abschluss als Teil des Lehrplans praktische Erfahrung zu sammeln.
Haben Sie bisher ein ganz besonderes Talent unter den Architekten entdeckt?
Die Teilnehmer unserer Workshops sind alle talentiert. Viele haben in Pjöngjang an Wahrzeichen oder Prestigebauten mitgewirkt. Als Kollektiv betrachtet sind nordkoreanische Architekten in der Lage, innerhalb kurzer Zeit Designs zu liefern.
Wie kreativ kann ein Architekt dabei sein? Wie viel künstlerische Freiheit gibt es?
Theoretisch kann ein Architekt schon kreativ sein - solange seine Ideen mit der Juche-Ideologie zusammenpassen. Das ist aber eher eine Prinzipiensammlung als dogmatische Style-Richtlinien. In der Realität ist die Kreativität allerdings eingeschränkt durch die überhaupt vorhandenen Materialien - also in erster Linie Beton. Das erklärt auch, warum die Bauweise oft massiv und schwerfällig wirkt.
Was hoffen Sie mit den Workshops zu erreichen? Was sind Ihre Ziele für die Zukunft?
Durch den direkten Kontakt mit den Menschen stellen die Workshops eine Möglichkeit dar, die Stadt und auch die nordkoreanische Gesellschaft besser zu verstehen. Wir möchten unsere Erfahrungen zusammentragen und irgendwann eine Ausstellung veranstalten und ein Buch herausbringen.
Calvin Chua ist Architekt und lehrt an der "Singapore University of Technology and Design".
Das Interview führte Esther Felden.