Das Geschäft mit der Luft
6. August 2017Sauerstoff ist gefragt wie nie. Vor allem in China. In Tokio, New York und Los Angeles sind sogenannte Sauerstoff-Bars stets gut besucht. In China stirbt nach Berechnungen des Max-Planck-Instituts für Chemie über eine Million Menschen jährlich an den Folgen der Luftverschmutzung. Dazu kommen Ernteausfälle, Flüge werden gestrichen, Autos dürfen nicht fahren. Die Verzweiflung über den Smog in Peking und Shanghai ist so groß, dass die Bewohner sogar Sauerstoff in Flaschen importieren, für 20 Dollar pro Stück. Ein Liter Sauerstoff reicht für bis zu 150 Inhalationen, so der Hersteller aus Kanada.
Moses Lam, Mitbegründer des Unternehmens Vitality Air im kanadischen Edmonton, ist völlig überrascht von seinem Erfolg. In einem Interview mit Fernsehsender CBC gab er zu, dass alles eigentlich als Scherz begann. Doch nachdem er die erste Produktion von einigen 100 Flaschen innerhalb von vier Tagen verkaufte, habe er das Geschäft professionalisiert.
Verkaufshit Bergluft
Inzwischen verfügt Vitality Air über Filialen nicht nur in China, sondern auch in Indien, Korea und Vietnam. 20 Mitarbeiter sammeln alle zwei Wochen mehrere hunderttausend Liter Luft in den kanadischen Rocky Mountains. "Luft aus dem Banff-Nationalpark, dem ersten in Kanada, ist der Renner", erklärt Moses Lam. Die Herstellung allerdings ist hochkompliziert, denn Luft besteht nur zu 20 Prozent aus reinem Sauerstoff. Sie muss also verdichtet und gereinigt werden. Außerdem sei die wertvolle Ware nicht unbegrenzt haltbar. "Die Flaschen sollten daher innerhalb von ein bis zwei Jahren verbraucht werden", empfiehlt der Luft-Verkäufer.
Seit November 2015 füllt das Unternehmen Green & Clean aus Sydney australische Luft in Flaschen ab - etwa solche aus den Blue Mountains oder von der Gold Coast am Great Barrier Reef. Mit Mindestbestellmengen ab 4.000 Flaschen sicherten sich die Australier einen Umsatz im hohen sechsstelligen Dollar-Bereich. Die Hauptabnehmer kommen aus dem gesamten asiatischen Raum. Deutschland habe das Unternehmen als künftigen Markt im Blick, so ein Sprecher, weil die Bemühungen von Autoherstellern, Städten und Kommunen um akzeptable Luftwerte offenbar nicht fruchteten. Das habe der Diesel-Gipfel gezeigt.
Deutsche Vorreiter im Gesundheitsbereich
Für manche Menschen ist abgefüllte Luft - korrekter: Sauerstoff - lebenswichtig: Das Gesundheitswesen braucht ihn im ambulanten und stationären Bereich und in der häuslichen Pflege.
Zu den weltweit führenden Produzenten und Lieferanten von Sauerstoff gehören zwei deutsche Firmen: Die Linde Group in München und die Air Products im nordrhein-westfälischen Hattingen. Der Air Products-Mutterkonzern wurde bereits 1940 in den USA gegründet und ist heute in 50 Ländern präsent. Noch größer ist die Münchner Linde Group. Die vom Erfinder des Kühlschranks Carl von Linde 1880 gegründete Firma ist heute in rund 100 Ländern vertreten. Der Umsatz des Gasgeschäfts lag im vergangenen Geschäftsjahr bei 3,74 Milliarden Euro.
Luft als Souvenir
Es gibt auch Luft-Konserven, die möglicherweise bei Käufern und Beschenkten die Schrankwand zieren: Mitbringsel aus dem Urlaubsort. Der Schwarzwald hat bisher vor allem mit Kuckucksuhren als Souvenir Furore gemacht. Elke Ott will der Tradition etwas entgegensetzen und vertreibt jetzt Schwarzwaldluft. Nicht in Flaschen, sondern in Dosen. Glasklare Flaschen bevorzugt dagegen der Unternehmer Stefan Butz aus Bad Kreuznach, der Saarlandluft aus Salinen abfüllt.
Einen ähnlichen Versuch gab es bereits zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006. Damals gab es "Original Berliner Luft". Der kecke Scherz beschäftigte sogar die Bürokratie in Brüssel. Vorwurf der EU: Über 30 Prozent der geprüften Dosen wiesen erhöhte Feinstaubwerte auf. Verboten hat die EU den Verkauf dennoch nicht.
Neben Luft als Scherzartikel gibt es auch abgefüllte Luft als politische Aktion für mehr Umweltschutz - dafür hat der chinesische Millionär und Philanthrop Chen Guangbiao 2012 Luft aus ländlichen Regionen Chinas in Flaschen direkt auf der Straße verkauft.
Wenn die Luft knapp wird
Für den Fall, dass der Sauerstoff in der Luft nicht mehr zum Atmen ausreicht, suchen Forscher nach Alternativen.
Ihr Ansatz: Den Sauerstoff-Verbrauch einschränken. Vorbild sind die Erkenntnisse des Berliner Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC). Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Nacktmulle in ihren unterirdrischen Höhlen sehr lange stickige Luft ertragen können. In Versuchen überlebten sie fünf Stunden, indem sie Fruchtzucker aus Wurzeln aufgenommen hatten. Zusätzlich verringerten sie ihren Puls von 200 auf nur noch 50 Schläge pro Minute. Ob das ein Vorbild für den Menschen sein kann, wird untersucht. Eine Verbindung zur Autoindustrie haben sie nicht, versichern die Wissenschaftler.