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Gesellschaft

Das Geheimnis von Spaniens Impfrekord

8. September 2021

In Spanien sind 72,5 Prozent der Bevölkerung komplett immunisiert - ohne Druck und ohne Impfpflicht. Wie das Land sich nach den Masseninfektionen im April 2020 an die Weltspitze geimpft hat.

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Vaccinations in Spain
In einem Krankenhaus in Madrid lassen sich drei Personen impfenBild: DW

Ein gewisser Stolz ist nicht zu überhören. "Wir befinden uns in einer beneidenswerten Lage und werden für unser Impftempo beneidet", sagt Amós Garcia Rojas, Präsident der spanischen Gesellschaft für Impfungen (AEV) im Interview mit dem spanischen Sender RTVE.

Der Grund: Spanien ist laut nationalem Gesundheitsministerium das Land mit dem höchsten Anteil komplett geimpfter Personen innerhalb der Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20). 34 Millionen Menschen, insgesamt 72,5 Prozent der Bevölkerung sind bereits zweifach geimpft (Stand 07.09.2021).

Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Anteil der vollständig Geimpften laut Bundesgesundheitsminsterium bei 61,6 Prozent (Stand 07.09.2021). Und während hierzulande Impfgegner regelmäßig demonstrieren, ist dies in Spanien bisher nicht vorstellbar. Nach einer Umfrage des spanischen Meinungsforschungsinstituts CIS vom Mai dieses Jahres sprechen sich nur sechs Prozent der Bevölkerung generell gegen eine Impfung aus.

BdTD Coronavirus Spanien Barcelona | Menschen tanzen nachts
Endlich wieder feiern! Junge Leute tanzen nachts auf den Straßen von BarcelonaBild: Lorena Sopêna/europa press vco/dpa/picture alliance

Für die Akzeptanz sind nach Einschätzung von Experten vor allem kulturelle und gesellschaftliche Gründe ausschlaggebend. So ließen sich viele junge Menschen impfen, weil in Spanien 55 Prozent der 25- bis 29-Jährigen noch bei ihren Eltern lebten. Sie wollten ihre Verwandten vor dem Virus schützen.

Gemeinschaft statt Individualismus

"In Spanien fühlen sich die Menschen als Teil einer Gemeinschaft und sind der Überzeugung, dass es Dinge gibt, die man nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Mitmenschen tun muss", erklärte der Epidemiologe Manuel Franco von der Universität Alcalá aus Madrid kürzlich im spanischen Fernsehsender RTVE.

Dies können man auch daran erkennen, dass Spanien "seit Dekaden" bei Organspenden in Europa an erster Stelle liege, und zwar "stratosphärisch". Laut Organspende-Portal kamen in Spanien im vergangenen Jahr 38 Organspenderinnen und Organspender auf eine Million Einwohner. In Deutschland sind es elf.

Hinzu kommt, dass auf der Iberischen Halbinsel ein großes Vertrauen in staatliche Impfkampagnen und das öffentliche Gesundheitssystem existiert. So sind 97 Prozent aller Kinder und Jugendlichen gegen Krankheiten wie Kinderlähmung, Meningitis oder Hepatitis geimpft.

Auf diesem Vertrauen, so Epidemiologe Daniel López Acuña, Ex-WHO-Direktor für Krisenmanagement und Professor an der "Andalusian School of Public Health", konnte die COVID-Impfkampagne im Land aufbauen.

Schwieriger Start

"Die Tatsache, dass Spanien über ein öffentliches Gesundheitssystem verfügt, das allen Bürgern ohne zwischengeschaltete Versicherungen zur Verfügung steht, ist ebenfalls ein sehr wichtiges Element", ergänzt López-Acuña.

Infografik Fortschritt der Impfungen in Europa DE
Noch im Juni lag die Impfquote in Spanien bei 52 Prozent

Dabei verlief der Start der spanischen Impfkampagne zunächst eher schleppend. Von Februar bis April wurde das Gesundheitspersonal geimpft, danach Polizisten, Sozialarbeiter und Bewohner und Personal von Pflegeheimen. 

Dennoch waren Mitte April laut spanischem Gesundheitsministerium gerade einmal sieben Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft. In Großbritannien lag der Anteil zu diesem Zeitpunkt bei 13 Prozent.

Im Mai nahm die Kampagne an Fahrt auf, und der Anteil der vollständig Geimpften in der Bevölkerung kletterte auf 20 Prozent. Mitte Juni erreichte er 27 Prozent, im Juli 44 Prozent und im September über 70 Prozent.

Damit liegt Spanien laut Info-Portal "Ourworldindata" hinter Portugal, Malta, Island, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Qatar, und Singapur an siebter Position weltweit.

Trauer um die Toten der Pandemie

Epidemiologe Daniel López-Acuña vermutet, dass die große Bereitschaft, sich impfen zu lassen, auch auf die Trauer um verstorbene Freunde und Familienmitglieder zurückzuführen ist. "Alle haben während der Pandemie Angehörige verloren", erklärte er gegenüber spanischen Medien. "Ich habe meinen Vater verloren, der 94 Jahre alt war."

Dramatische Lage in Spanien

Spanien gehört zu den Ländern mit einer der höchsten COVID-19-Todesraten. Nach einer im Juli dieses Jahres veröffentlichten Studie des Konsortiums C-Mor der Universität Oviedo wurde 2020 im Vergleich zu den Jahren 2015 bis 2019 eine erhöhte Sterblichkeit im Land registriert.

Der Anteil an oder mit Corona Verstorbenen an dieser sogenannten Übersterblichkeitsrate lag in Spanien bei 68 Prozent, in den USA bei 80 Prozent und in Großbritannien bei 96 Prozent.

Schwieriger Endspurt

Auch wenn die Sterblichkeitsrate in Spanien dank Impfungen stark gesunken ist, genauso wie die Anzahl der gemeldeten Infektionen - die Immunisierung der noch ungeimpften Bevölkerung sehen Experten als Herausforderung.

"Bisher haben wir immer neue Impfberechtigte zugelassen, wenn sich in einer Gruppe das Tempo verlangsamte", erklärt Jaime Jesús Pérez Martín, Sprecher der Impfgesellschaft AEV. Diese Möglichkeit sei jetzt ausgeschöpft, in den meisten Städten und Gemeinden seien schon die 12- bis 19-Jährigen dran.

"Das Impftempo wird sich verlangsam", sagt Pérez. "Die letzten 30 Prozent sind zwar keine Impfgegner, aber sie haben es nicht eilig".