Wundererde "Terra Preta"
21. Januar 2015Abgelegen hinter einem alten Metallfabrikgebäude, in einem Industriegebiet in Ost-Berlin, kümmert sich Dennis Rätzel um die Pflanzen in seinem Gemüsegarten. Er geht jedes einzelne der 40 Hochbeete aus alten Holzkisten durch, untersucht die Gewächse sorgfältig. "Diese hier werden 'Tomatillos' genannt. Grüne Tomaten aus Mexiko. Wir haben auch Mais und Kürbisse", sagt er.
Dieser städtische Garten mag zwar wie jeder andere in Berlin aussehen, tief im Boden aber ist etwas, das anders ist. Rätzel, eigentlich Physiker, arbeitet hier derzeit an einem Projekt, "Undune", in das er viel Hoffnung legt. "Terra Preta ist eine Alternative, weil sich damit sehr, sehr effizient Gemüse oder Nahrung anbauen lässt."
Seit Jahrtausenden bekannt
Terra Preta bedeutet auf Portugiesisch "schwarze Erde". Im Amazonasbecken ist ihre Nutzung in der Landwirtschaft schon seit Jahrhunderten - oder sogar Jahrtausende - gang und gäbe.
Die indigenen Menschen vermischten Holzkohle und organische Stoffe, um ihren Boden fruchtbarer zu machen. "Und das hat funktioniert", sagt Thomas Thornton vom Environmental Change Institute an der Universität Oxford. "Der Terra-Preta-Gartenbau wird seit tausenden von Jahren in kleinen landwirtschaftlichen Gesellschaften auf der ganzen Welt genutzt und hat sich als ein sehr erfolgreiches Mittel zur Verbesserung der Böden und für die Produktion von bestimmten Pflanzenarten erwiesen."
Der wichtigste Inhaltsstoff von Terra Preta ist Holzkohle. Denn sie speichert Kohlenstoff für eine sehr lange Zeit und erhöht die Fruchtbarkeit saurer Böden. Der andere Bestandteil ist organisches Material. Küchenabfälle zum Beispiel, die für nährstoffreichen Humus sorgen. "Das ist eine sehr effiziente Low-Cost- und Low-Tech-Lösung, die gleichzeitig die biologische Vielfalt unterstützt", so Thornton.
Deshalb haben Rätzel und sein Projektpartner Gregor Pieplow beschlossen, ihre eigenen fruchtbaren Terra-Preta-Böden für ihre Gärten herzustellen. Direkt neben ihrem Stadtgarten liegt ein Künstleratelier mit großer Gemeinschaftsküche. Hier werden die Küchenabfälle in Eimern gesammelt. Sobald einer voll ist, werden das organische Material und die Holzkohle in einem Behälter geschichtet und für etwa einen Monat warm und luftdicht gelagert. Dann wird das Gemisch in den Garten gebracht und mithilfe von Würmern und anderen Organismen schließlich in Terra Preta umgewandelt.
"Das würde eigentlich direkt im Müll landen. Aber jetzt produzieren wir guten Boden für unseren Garten - und kochen unserer selbst angebautes Gemüse. Damit haben wir einen Kreislauf geschaffen", sagt Rätzel.
Der nächste Schritt
Nun will der Physiker aber noch eine neue Zutat zu seiner Mischung hinzufügen: Er möchte nährstoffreichen Boden aus dem gewinnen, was bei uns täglich die Toilette hinunter gespült wird. "In unseren Exkrementen ist all das enthalten, was wir brauchen, um Gemüse zu züchten. Und wir spülen es einfach den Abfluss hinunter! Damit sage ich nicht, dass die Leute ihr Geschäft ab sofort in Eimer verrichten sollen, aber wir sollten uns zumindest dieser Tatsache bewusst sein."
Experten wie Thomas Thornton stimmen dem zu. Wenn man die Erde vor Ort produziere, könnten die negativen Auswirkungen, die Verpackung und Transport auf die Umwelt haben, reduziert werden. "Das hinterlässt einen viel kleineren CO2-Fußabdruck. Außerdem ist das eine tolle Möglichkeit, innerhalb der lokalen Wirtschaft zu recyceln - Müll reduzieren und reichhaltigere Böden schaffen", sagt Thornton.
Alternative zu Phosphat-Dünger
Außerdem müssten Landwirte nicht mehr zu Phosphat als Mineraldünger greifen, wenn sie ihre eigene Terra Preta vor Ort produzieren, sagt Thornton - ein wichtiger Punkt, wenn man bedenkt, dass Phosphat eines Tages zur Neige gehen wird. "Es gibt bestimmte Handlungsgrenzen, in denen wir Menschen leben müssen, und wenn wir diese zu überschreiten beginnen - zum Beispiel durch die Freisetzung von Treibhausgasen auf zu hohem Niveau - werden wir das System, in dem wir leben, katastrophal ändern. Das kann sich auf die menschliche Gesellschaft in der ganzen Welt auswirken. Bei den Ressourcen spielen auch Stickstoff und Phosphat mit. "
In einigen Teilen Deutschlands ist die Wunderboden-Methode bereits in Gebrauch: Am Hamburger Hauptbahnhof wurde eine öffentliche Terra-Preta-Toilette schon 2012 eingeführt. Sie sieht zwar genauso aus wie jede andere öffentliche Toilette auch, funktioniert aber anders. Denn sie trennt die Fäkalien vom Abwasser. Der Kot wird dann genutzt, um Dünger zu produzieren. Also: Was in der Toilette am Hamburger Hauptbahnhof hinunter gespült wird, landet wahrscheinlich als Dünger auf den umliegenden Feldern - allerdings nicht völlig unbehandelt.
Ralf Otterpohl, Abwasserexperte an der Technischen Universität Hamburg, war an der Einführung des Terra-Preta-WC im Hauptbahnhof beteiligt. "Bei der Methode werden Nährstoffe wiederhergestellt und auch kleine Verunreinigungen beseitigt, Arzneimittelrückstände zum Beispiel. Das System stellt so Düngemittelkomponenten in einer sehr sauberen Form her."
Im Moment aber ist die Terra-Preta-Toilette in Hamburg noch in der Testphase. Es gibt noch einige Dinge zu tun. "Wir empfehlen, den fäkalen Kompost nicht gleich für Nahrungsmittel zu verwenden. Der eignet sich eher für den Anbau von Bäumen und andere Non-Food-Zwecke. Denn es gibt noch immer ein hygienisches Restrisiko. Im Kot haben wir eine große Menge von Stoffen, die nicht dafür geeignet sind, wieder in den menschlichen Kreislauf zurück gebracht zu werden. Hartnäckige Parasiten, Eier oder Zysten können zum Beispiel noch Jahre später - auch nach gutem Kompostieren - da sein."
Ein klassisches Imageproblem
Aber das wird Terra Pretas Imageproblem wohl nicht beseitigen. "Es ist ein Tabuthema. Die Menschen haben ein Problem damit, über ihre Ausscheidungen - und wie damit umgegangen wird - zu reden. Schaffen wir es, das zu ändern, könnten wir viele Dinge nachhaltiger gestalten", so Dennis Rätzel. Thornton stimmt dem zu. Statt es als unsicher und unhygienisch anzusehen, sagt er, muss die Gesellschaft umdenken und Abfall als etwas sehen, was gut für die Erde ist.
Und dieses Umdenken versucht Rätzel anzustoßen. Er und sein Projektpartner Gregor Pieplow haben einen Film über Terra Preta gemacht, in dem ein Astronaut auf der Suche nach dem besten Weg ist, mit unseren menschlichen Abfällen umzugehen. "Wir machen den Film, weil die Leute sehen sollen, wie einfach es ist, Terra Preta zu produzieren." Mit dem Film möchten sie das Tabu brechen, das mit dem Thema einhergeht.