Das Ende von Air Berlin
27. Oktober 2017Fast 40 Jahre nach dem Start der ersten Air-Berlin-Maschine in Berlin-Tegel landet dort am Freitagabend der letzte Flieger der insolventen Airline. Der ausgebuchte Flug AB 6210 bringt die Passagiere von München in die Hauptstadt, planmäßige Ankunft ist 22.45 Uhr. Der Flughafen Tegel will anlässlich des letzten Fluges der Airline die Besuchertrasse länger öffnen, die normalerweise um 20.00 Uhr schließt.
Die 1979 gestartete Air Berlin hatte Mitte August Insolvenz angemeldet und soll zu großen Teilen von der Lufthansa übernommen werden. Arbeitnehmervertreter sorgen sich vor allem um das Schicksal Tausender Mitarbeiter, denen wegen der gescheiterten Verhandlungen zur Bildung einer umfassenden Transfergesellschaft schon bald die Kündigung droht.
Marktbereinigung wird weitergehen
Das Ende von Air Berlin wird den Luftverkehrsmarkt in Deutschland und Europa weiter verändern. Drei Pleiten hat es in diesem Jahr in Europa schon gegeben - neben der bisherigen Nummer Zwei in Deutschland hatte im Mai Alitalia Insolvenz angemeldet - sie wird derzeit nur von italienischen Staat am Leben gehalten - und Anfang Oktober die britische Ferienfluggesellschaft Monarch Airlines.
"Es wird in den nächsten Jahren zu einer stärkeren Konsolidierung kommen", ist Lufthansa-Chef Carsten Spohr seit langem überzeugt: Dabei sieht er sein Unternehmen jetzt wieder in der Offensive. Zunächst wird sich der Markt in Deutschland verändern, wie der dann wirklich aussehen wird, dürfte man aber erst im Laufe des kommenden Jahres wirklich erkennen können. Denn erst wenn die EU-Wettbewerbsbehörden die Übernahme von Teilen der Air Berlin genehmigt haben, kann Lufthansa die Integration vorantreiben. Dann erst fallen auch die zugehörigen Slots, die Start- und Landerechte, wirklich an die Kranichlinie. Die übrigen werden im November auf einer regelmäßigen Slot-Konferenz der Internationalen Airline-Organisation (IATA) abgestimmt werden, sie werden erst mit dem kommenden Sommerflugplan ab Ende März in Kraft treten. Bis dahin könnte es immer wieder Verschiebungen geben, hatte Spohr erst am Mittwoch (25.10.2017) erläutert.
Deutscher Markt im Umbruch
Das Interesse auch ausländischer Fluggesellschaften dürfte groß sein. Deutschland ist einer der wichtigsten Wirtschafts- und damit auch Luftverkehrsstandorte weltweit - allerdings mit einer anderen Wirtschaftsstruktur als in Frankreich oder Großbritannien. Dort gebe es jeweils nur ein großes Wirtschaftszentrum, in Deutschland jedoch viele verschiedene, die jeweils auch verkehrstechnisch angebunden werden müssten, erklärt Eric Heymann, Analyst der Deutschen Bank Research. Die größten deutschen Fluggesellschaften sind nach dem Ende von Air Berlin neben der Lufthansa-Gruppe Condor, Tuifly und Germania.
Der deutsche Markt hat sich in den letzten Jahren schon stark verändert. Viele kleine Fluggesellschaften haben aufgegeben, wie etwa Augsburg Airways oder die Cirrus Airlines, die zuvor etwa auch im Auftrag der Lufthansa geflogen waren. "Das regionale Fliegen mit kleinen Flugzeugen in Europa, vor allem zwischen den verschiedenen Ballungsräumen, ist so gut wie verschwunden", sagt der Luftfahrtexperte Cord Schellenberg. Stattdessen füllen Billigfluggesellschaften innereuropäisch nun größere Flugzeuge. Eine solche Wirtschaftlichkeit und Effizienz habe man früher im Regionalverkehr nicht darstellen können, meint Schellenberg. "Das geschieht auch über günstige Tarife, Zusatzverkäufe, kurze Bodenzeiten und hohe Effizienz."
Konkurrenz von der Insel schwächelt
Diese 'Low-Cost'-Gesellschaften verdrängen also immer stärker die kleinen Fluggesellschaften - und üben Druck auf die Großen aus. Und doch hätten sie in Deutschland nur einen unterdurchschnittlichen Marktanteil, sagt Michael Gierse, Luftverkehrsexperte von Union Investment. In England etwa dominierten sie den Markt schon mit 70 Prozent. "Die deutschen Fluggesellschaften haben lange versucht, den deutschen Markt abzuschotten, sodass es für Ryanair und Easyjet schwieriger ist, hier einzudringen." Die Konkurrenz abzuwehren war ein Grund, warum Lufthansa sich zunächst an Eurowings beteiligt und diese schließlich übernommen hatte, so wie 2009 schon die Eurowings-Tochter Germanwings. Die aktuelle Schwäche der beiden englischen bzw. irischen Konkurrenten kommt Lufthansa jetzt entgegen: Beide leiden unter der Ungewissheit wegen des Brexit, sie fürchten um ihren Marktzugang in Europa, Ryanair machen zudem die Fehlplanungen bei seinen Piloten zu schaffen.
Neben den Billigfluggesellschaften aber werden auch künftig die drei großen Gruppen der traditionellen Fluggesellschaften, die sogenannnten Netzwerkcarrier den europäischen Markt unter sich aufteilen: Seit 2004 sind Air France und KLM zusammen, 2011 wurde die IAG gegründet mit British Airways und Iberia, zu der inzwischen auch die irische Aer Lingus und die spanische Vueling gehören. Die dritte Gruppe ist der Lufthansa-Konzern, der sich in den vergangenen Jahren Austrian Airlines, Swiss und Brussels Airlines einverleibt hat - und künftig womöglich die Alitalia. Im Mai hatte sie Insolvenz angemeldet, die Schwäche haben einige andere Fluggesellschaften genutzt, um Marktanteile zu gewinnen, vor allem die irische Ryanair. Doch auch hier will Lufthansa wieder Boden gutmachen: Vorstandschef Spohr ist an einer neu aufgestellten Alitalia interessiert und könnte sich vorstellen, in Rom ein fünftes Drehkreuz aufzubauen. Teile des weltweiten Netzverkehrs der Alitalia könnten die Kernmarke Lufthansa stärken, Direktverbindungen innerhalb Europas könnte die Eurowings übernehmen. Angeblich soll dem Vorstand das eine halbe Milliarde Euro wert sein.
Blick nach Fernost
Schon jetzt decken In Europa die größten fünf, also Lufthansa, Air France-KLM, IAG, Easyjet und Ryanair etwa zwei Drittel des Marktes ab. Das aber ist kaum vergleichbar mit der Lage in den USA: Dort halten vier Fluggesellschaften vier Fünftel Marktanteile: "In Amerika hat das dazu geführt, dass die Flugpreise im Durchschnitt gestiegen sind und damit auch die Margen der Fluggesellschaften", erläutert Michael Gierse von Union Investment. In Europa haben die Ticketpreise zwar in den letzten Wochen wieder etwas angezogen: "Aber langfristig gehen wir weiter von sinkenden Ticketpreisen aus", erklärte Lufthansa-Chef Spohr erst kurzem. Denn die Konkurrenz am Markt bleibt durch die Billigflieger weiter hoch. Sie haben in Europa einen Anteil von zwei Fünftel.
Doch die Kapazitäten im Luftverkehr sind groß - auch dafür sind die Insolvenzen der letzten Monate ein Zeichen. Auch außerhalb Europas ist das zu spüren: Die Airlines vom Persischen Golf (Emirates, Ethiad, Qatar), die in den letzten Jahren die traditionellen Fluggesellschaften so bedrängt haben, schwächeln auch gerade. Sie leiden zudem darunter, dass die Gelder in den Golfstaaten wegen der gesunkenen Ölpreise nicht mehr so sprudeln. Die Zeiten sind also günstig, die Schwächephase der Golf-Airlines könnte Lufthansa ausnutzen. Und auch über die Grenzen schauen: Inzwischen hat sich der Verkehr Richtung Asien zwar wieder erholt. Doch da könnte mehr geschehen, vor allem auf dem wachsenden Markt in China. Da hat die Lufthansa zwar eine Kooperation mit Air China, aber die europäische Konkurrenz ist da schon weiter. So plant Air France-KLM Kapitalbeteiligungen mit ihren Partnern der Sky Team-Allianz wie Delta Airlines oder China Eastern. Wer also als global agierende Fluggesellschaft künftig im europäischen Heimatmarkt vorn liegen will, sollte den Blick auch über die Grenzen Europas hinaus richten.