Das Elsass und Goethe
15. August 2017Er hat gefeiert. Er hat sich verliebt. Mit Anfang Zwanzig verbrachte Johann Wolfgang Goethe auf Geheiß des Vaters ein Jahr in Straßburg und Umgebung. Er sollte sein Französisch verbessern und weiter Jura studieren. Und nahm - wie zuvor in Leipzig - alles mit, was das Studentenleben für ihn bereithielt. "Das war sein Erasmus-Jahr", sagt die Straßburger Touristenführerin Annie Dumoulin.
Im Herbst lernte Goethe im etwa 40 Kilometer entfernt gelegenen Dorf Sessenheim die Pfarrerstocher Friederike Brion kennen. Und verbrachte fortan mehr Zeit mit ihr als mit juristischen Studien. Er ritt zur Geliebten und dichtete: "Es schlug mein Herz; geschwind zu Pferde!" ("Willkommen und Abschied").
Fast 250 Jahre ist das her und in Sessenheim doch unvergessen. Der Ort auf der französischen Rheinseite hat aus dem Liebesidyll herausgeholt, was geht. Es gibt bislang: eine Goethe-Gedenkstätte, Goethe-Hügel und -Eiche, einen Goethe-Wanderweg. Selbstverständlich Straßen benannt nach den beiden. Und Friederike ist zudem Namenspatronin der Schule.
"Sessenheim, das ist Goethe", sagt Dumoulin. Wer mitten im Ort mit deutschem Kennzeichen parkt und sich kurz umguckt, bekommt sofort die Geschichte von Goethe und "seinem Liebchen" erzählt. Unaufgefordert.
Das Liebesidyll fasziniert über Generationen
Profitiert hat von dem Liebesleben des deutschen Dichters auch die "Auberge au Boeuf". Der Familienbetrieb pflegt seit 1890 eine private Goethe-Sammlung. Im Fenster des Ausstellungsraums steht eine Büste des Autors. Dahinter, auf der anderen Straßenseite, die Kirche. Dort hielt Friederikes Vater einst seine Predigten, mit Goethe unter den Zuhörern: "Wo ich denn, an ihrer (Friederikes) Seite, eine etwas trockene Predigt des Vaters nicht zu lang fand", schrieb er in dem autobiografischen Werk "Dichtung und Wahrheit".
Eine Erstausgabe des Buches steht aufgeschlagen in einer Vitrine des Museums. Daneben ein Sammelsurium aus alten Schätzen: Briefe, ein Bibliotheks-Leihzettel von Goethe, Bibelausgaben von 1589 und 1656. An den Wänden hängen Schwarz-Weiß-Aufnahmen des Ortes, alte Karten der Rheinebene, eine Galerie mit den bekanntesten Frauen aus Goethes Liebesleben.
Zusammengestellt hat die Sammlung Wilhelm Gillig - ein Schreinermeister, der "fasziniert war von dieser Geschichte des Liebesidylls", sagt Christiane Charneau über ihren Großonkel. Die 66-Jährige hat die "Auberge au Boeuf" selbst in dritter Generation betrieben und mittlerweile an ihren Sohn abgegeben.
Sie hat Gäste aus dem Schwarzwald, die kommen jedes Jahr an Goethes Geburtstag. "Es gibt noch Goethe-Fans, also richtige", sagt die Elsässerin.
Nur wenige Schritte von Gaststätte und Kirche entfernt hat die Stadt eine Gedenkstätte errichtet. Vor der kleinen Überdachung bringt sich eine Gruppe älterer Herren im Radfahrer-Dress in Position für ein Erinnerungsfoto. Ihr nächstes Ziel: Meißenheim, auf der deutschen Seite des Rheins. "Da soll Goethe noch eine Geliebte gehabt haben", flüstert einer der Radler. Tatsächlich ist es aber Friederike, die in Meißenheim ihre letzten Jahre verbrachte und dort begraben liegt.
Am Ortsausgang von Sessenheim liegt "Friederikens Ruhe" - eine Lichtung, zu der das Liebespaar regelmäßig spazierte und wo das "Heidenröslein" entstanden sein soll. "Wir haben als Kinder immer gesagt "der Goethe-Hügel", weil das der einzige Hügel hier ist", erinnert sich Charneau. Der "Hügel" ist eher eine kleine Erhebung, in dem ansonsten flachen Land, wo man schon von weitem über Kornfelder hinweg den Zwiebelturm der Kirche sieht. Die Stadt hat dort einen groben Holzpavillon aufgebaut - er hat den Charme einer Schutzhütte für Wanderer.
Hoch hinaus in Straßburg
Anders als in Sessenheim muss man in Straßburg, seinem Studienort, nach den Spuren Goethes suchen. Vor der Universität steht eine Statue, im Botanischen Garten eine Büste, am ehemaligen Wohnhaus am Alten Fischmarkt hängt eine Plakette - das war's.
Gästeführerin Dumoulin sagt trotzdem: "Sagen Sie mir nicht, es gebe hier nicht viel über ihn." Goethe sei immerhin der einzige Schriftsteller in der Stadt mit einer Statue! Fasziniert war Goethe vom Straßburger Münster. In "Dichtung und Wahrheit" widmet er sich ausführlich dem Bauwerk, auf dessen Turm er regelmäßig gestiegen sein soll, um seine Höhenangst zu bekämpfen.
1771 brachte Goethe wie vorgesehen seine Doktorprüfung hinter sich und reiste ab. Damit endete die Liebesgeschichte zwischen dem Mädchen vom Land und dem Mann, der einer der bedeutendsten deutschen Dichter werden sollte. "Auch wenn er sehr verliebt war in sie", sagt Dumoulin. "Aber sie hat eben nicht in seine Karrierepläne gepasst."
Acht Jahre später machte Goethe noch einmal einen Abstecher nach Sessenheim. Aber: "Le charme était rompu", sagt Charneau - der Zauber war gebrochen.
Claudia Kornmeier (dpa)