Digitalisierung des Unterrichts
2. Mai 2013Wenn der Geschichtslehrer Karl-Otto Kirst seinen Schülern einen Film zeigen wollte, war das immer mit viel Aufwand verbunden. "Dann mussten wir entweder im Klassenzimmer die gesamte Technik aufbauen oder gleich in den Computerraum gehen." Nicht einmal zehn Jahre ist das her. Heute steht ein Whiteboard im Klassenraum, die Filmpräsentation ist nur wenige Klicks entfernt.
Die Digitalisierung macht vor Deutschlands Klassenzimmern nicht Halt. Natürlich nicht. Schüler recherchieren für Referate und Klausuren im Internet, Lehrer nutzen die digitalen Medien für ihre Unterrichtsvorbereitung. Und wo die Schüler vor zwanzig Jahren noch flehend "Bitte nicht wegwischen!" an die Tafel kritzelten, um das mühsam niedergeschriebene Tafelbild vor dem nassen Schwamm zu bewahren, da speichern Schüler und Lehrer heute das gemeinsam erarbeitete Wissen kurzerhand digital.
Manfred Spitzers These von der "digitalen Demenz" wirkt nach
Das klingt so einfach wie naheliegend. Doch seit der Hirnforscher Manfred Spitzer in seinem Bestseller "Digitale Demenz" im letzten Jahr seine Kritik an den modernen Medien einem größeren Lesepublikum vorgelegt hat, wird das Thema in Deutschland besonders engagiert diskutiert. Spitzers These, Smartphones und Computer ließen Kinder verdummen, lenkt die Aufmerksamkeit auch auf die Frage, welchen Stellenwert digitale Medien in der Schule haben sollen und wie sich die Schulen der digitalen Lebenswelt der Schüler anpassen können.
"Digitale Medien spielen eine große Rolle im Alltag der Schüler", sagt Dagmar Missal, pädagogische Mitarbeiterin bei der Medienberatung NRW, einer Einrichtung von Schulministerium und Landschaftsverbänden, die Schulen bei der Mediennutzung unterstützt. "Genau da sollte die Schule anknüpfen." Wenn die Digitalisierung überall eine wachsende Rolle spiele, müsse sie auch in die Lernkultur an den Schulen einfließen. Eine Lernkultur, die digitale Medien nicht nur kritisch reflektiert, sondern auch als Lern- und Lehrmittel einsetzt.
"Technische Ausstattung der Schulen ist dürftig"
Doch die Schulen in Deutschland sind technisch unterschiedlich ausgerüstet. "An vielen ist die Ausstattung dürftig", sagt Christian Spannagel, Mathematikprofessor an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und Leiter des Instituts für Datenverarbeitung und Informatik. Spannagel zählt das computerunterstützte Lernen zu seinen wichtigsten Fachgebieten. Dabei sind Gymnasien oft besser ausgestatt als etwas Haupt- und Realschulen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Allensbach-Umfrage im Auftrag der Deutschen Telekom Stiftung.
Doch die mangelnde Ausstattung sei nicht die Schuld der Schulen. Viele könnten es sich finanziell schlichtweg nicht leisten, immer die neuesten Geräte bereitzustellen, die eigentlich für zeitgemäßen Unterricht notwendig wären. Denn die Schulen in Deutschland sind abhängig von der finanziellen Situation der Kommunen. Und die sieht nicht immer rosig aus.
Dabei liegen die didaktischen Möglichkeiten für Christian Spannagel auf der Hand. Ein gutes Beispiel sei sein Fachgebiet, die Mathematik. In der dynamischen Geometrie etwa müsse man verstehen, was mit geometrischen Figuren passiert: "Wenn ich diese Gerade hier verschiebe, was passiert dann mit dem Winkel dort drüben?" Was man mit Papier und Stift aufwendig zeichnen müsste, lässt sich am Computer schnell und einfach simulieren.
"Bring Your Own Device"
Doch auch wenn die Vorteile offensichtlich sind, werde die Informationstechnologie erst dann verstärkt in den Schulen Einzug halten, wenn die Schüler ihre eigenen Geräte verwenden dürften, Smartphones, Notebooks, Tablet-Computer. Davon ist Christian Spannagel überzeugt. "Bring Your Own Device", kurz BYOD, heißt die Devise, die der Gesamtschullehrer Karl-Otto Kirst in seinem Geschichtsunterricht längst anwendet. "Bei uns gibt es einen Passus in der Schulordnung, der besagt, dass Handys und Smartphones im Unterricht ausgeschaltet sein müssen." Es sei denn, der Lehrer erlaubt den Einsatz ausdrücklich. Mit dieser Regelung sei er gut gefahren, erzählt Karl-Otto Kirst. "Die Schüler sind motiviert und fühlen sich ernst genommen."
Mehr Experimentierfreude und weniger Angst
Aber nicht jeder ist so technikaffin wie der Lehrer Karl-Otto Kirst und der Dozent Christian Spannagel. Die meisten Lehrer nutzen die Hard- und Software vor allem, um Filme oder Präsentationen zu zeigen, hat die Deutsche Telekom in ihrer Umfrage herausgefunden. "Die Bearbeitung von Fachinhalten durch die Schüler sowie die Erstellung von Hörspielen, Podcasts oder Filmen zu Unterrichtsthemen bleiben noch die Ausnahme." Dagmar Missal von der Medienberatung NRW stellt immer wieder fest, dass Lehrer unsicher und ängstlich im Umgang mit der neuen Technik sind.
Christian Spannagel, der in Heidelberg künftige Lehrerinnen und Lehrer ausbildet, wünscht sich deshalb mehr Fortbildungen in diesem Bereich. Denn Lehrer hätten einen stressigen Alltag und deshalb kaum Zeit, auf der Höhe der aktuellen Entwicklungen zu bleiben. "Aber ich wünsche mir auch eine andere Haltung, mehr Experimentierfreude und weniger Angst, Fehler zu machen."
Neben einer guten technischen Ausstattung der Schulen und einem soliden Know-how der Lehrer seien aber auch ausgereifte pädagogische Konzepte wichtig. Da gebe es noch Nochholbedarf, so Christian Spannagel. "Wie setze ich das gescheit im Unterricht um? Da stehen wir tatsächlich noch am Anfang."