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Corona, Bundesliga und 50+1

Matt Ford
10. Mai 2020

Nachdem die Corona-Krise deutlich gezeigt hat, wie abhängig die Bundesligaklubs von Fernsehgeldern sind, ist die Debatte um die 50+1-Regel in Deutschland wieder aufgeflammt. Wären die Vereine ohne die Regel sicherer?

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Fußball 50+1 Protest | VfB Stuttgart -  FC Bayern München
Bild: picture-alliance/augenklick/firo Sportphoto/S. El-Saqqa

Trotz aller Diskussionen über die logistischen, medizinischen, sozialen und ethischen Aspekte einer Wiederaufnahme der Bundesliga-Saison war die Entscheidung letztlich finanziell begründet. 13 der 36 deutschen Profivereine wären ohne die vierte und letzte Rate der TV-Rechtegelder angeblich in ihrer Existenz bedroht gewesen. Daher blieb der Deutschen Fußball Liga (DFL) keine andere Wahl, als zu versuchen, die Saison irgendwie zu beenden.

Nachdem die Bundesregierung nun grünes Licht für die Wiederaufnahme des Spielbetriebs gegeben hat, haben die übertragenden Sender bezahlt, und die Vereine sind vorerst sicher, müssen aber wegen des Verzichts auf Zuschauer ohne die gewohnten Spieltagseinnahmen auskommen. Während der zweimonatigen Corona-Zwangspause sind die Finanzen des deutschen Fußballs in den Fokus des Interesses geraten. Angesichts der immer offensichtlicher werdenden Abhängigkeit der Branche von Fernsehgeldern ist eine Grundsatzdebatte neu entbrannt.

Umstrittene Regel

"Man muss ja auch mal als Fakt sehen, dass die 50+1-Regel jetzt bestimmten Vereinen nicht geholfen hat. Insofern muss man das natürlich auch überdenken", sagte Bayern Münchens Präsident Herbert Hainer im ZDF. "Ich bin der Meinung, dass man es den Vereinen selber überlassen sollte, wie viele Anteile sie abgeben wollen." 

Die so genannte 50+1-Regel ist seit 1998 in den Bundesliga-Statuten festgeschrieben. Sie besagt, dass ein deutscher Fußballklub die Mehrheit der eigenen Stimmrechte besitzen muss, um in der Bundesliga antreten zu dürfen. Die Regel verhindert damit Übernahmen durch externe Investoren, wie sie in England üblich sind. Die Krux an Hainers Argument ist, dass deutsche Vereine, wenn sie Mehrheitsbeteiligungen verkaufen könnten, möglicherweise reiche Geldgeber gehabt hätten, die bereit gewesen wären, in der aktuellen Krise einzuspringen und die Finanzlücke zu schließen.

Deutschland München |  FC Bayern Vereinspräsident | Herbert Hainer
Bayern Münchens Präsident Herbert Hainer möchte die Verantwortung in die Hände der Klubs gebenBild: picture-alliance/dpa/A. Warmuth

Die Äußerungen Hainers haben sicherlich das Interesse von Martin Kind geweckt, dem ehemaligen Präsidenten des Zweitligisten Hannover 96. Er ist ein erklärter Kritiker der 50+1-Regel. Im Jahr 2018 scheiterte Kind bei dem Versuch, eine Ausnahme von der Regel durchzusetzen. "Ich werde die Debatte aufmerksam verfolgen", sagte der 76-Jährige gegenüber dem Fernsehsender Sky und wiederholte seine seit langem vertretene Ansicht, dass die Vereine mit eher korporativen Strukturen finanziell besser dastehen. "Ich persönlich empfehle, dass die [50+1]-Regel fällt", sagte er Ende März. "Für mich sind Bundesliga-Vereine kommerzielle Unternehmen, und die Corona-Krise hat aktuelle Schwächen offenbart."

Aber würde eine Anpassung, Lockerung oder gar Abschaffung der 50+1-Regel überhaupt helfen? Und zu welchem Preis? "Sicherlich ist die 50+1-Regel aus Einnahmensicht restriktiv", sagt Kieran Maguire, ein Experte für Fußballfinanzierung an der Managementschule der Universität Liverpool. "Sie ist jedoch aus guten Gründen restriktiv. Würde sie Investoren den Zugang ermöglichen, wenn die Regel abgeschafft würde? Ja. Aber dann würden die Vereine nicht mehr den Fans gehören. Sie würden den Hedge-Fonds oder dem Staatsfonds oder wem auch immer gehören."

Wem gehört der Fußball?

Die deutschen Fußballfans setzen sich vehement für die 50+1-Regel ein und gehen schnell auf die Barrikaden, wenn die Gefahr besteht, dass sie doch kippen könnte. Im März 2018, als der Übernahmeversuch von Kind in Hannover noch in der Schwebe war, überreichte die Aktion "50+1 bleibt!" der DFL vor ihrer Jahreshauptversammlung eine 30 Meter lange Petition, die von über 3.000 Fangruppen aus dem ganzen Land unterzeichnet wurde.

"50+1 ist aus Sicht der Fans die Regel, die dem Fußball in Deutschland irgendwie noch zeigt, wo er hingehört, dass ein Verein seinen Fans und Mitgliedern gehören muss, nicht einer Einzelperson oder einem Unternehmen", sagte Manuel Gaber, Sprecher der Kampagne "50+1 bleibt!"

Deutschland Frankfurt | DFL-Mitgliederversammlung | Reinhard Rauball
Fanvertreter Manuel Gaber (r.) bei der Übergabe der Unterschriftenliste an DFL-Präsident Reinhard Rauball (l.)Bild: picture-plliance/dpa/A. Dedert

"Ich bin gerne Fan meines Vereins, weil ich auch Mitglied und Teil des Vereins sein kann. Ich weiß nicht, ob ich Teil eines Vereins wäre, wenn ich wüsste, er gehört eigentlich einer reichen Einzelperson, einem Unternehmen oder einem Land, das geopolitische Ziele verfolgt."

Abgesehen von Staatsfonds wie dem Staatlichen Investitionsfonds Saudi-Arabiens sieht Fußballfinanzierungsspezialist Maguires auf dem aktuellen Markt nicht viele potenzielle milliardenschwere Käufer von Fußballklubs. "Wenn Sie ein vermögender Privatmann sind, wollen Sie dann wirklich den Ärger haben, einen Fußballklub zu besitzen?", fragt Maguire. "Wenn man es nicht genau richtig macht, kann es eine sehr teure und schmerzhafte Angelegenheit sein."

Nicht verhandelbar

Dennoch gibt es neben Martin Kind und Herbert Hainer auch innerhalb von Liga und Verband Stimmen, die weiterhin für die Regel sind. "Die 50+1-Regel steht nicht zur Disposition", sagt DFB-Schatzmeister Dr. Stephan Osnabrügge gegenüber der DW. "Sie ist in unserer Verfassung verankert. Sie ist eine Geschäftsgrundlage, und das hat sehr gute Gründe. Sie bewahrt die Vereine vor solchen Fällen, wie sie in Ländern aufgetreten sind, in denen es keine 50+1-Regel gibt, dass ein großer Investor kommt, einen Fußballklub kauft, ihn im Wettbewerb mit viel Geld top aufstellt, und nach zwei Jahren das Geld wieder rauszieht, woraufhin der Klub drei Klassen absteigt, weil nicht nachhaltig gewirtschaftet wurde."

Die Frage der Nachhaltigkeit wurde im Zuge der Corona-Krise auch von organisierten Fan-Gruppen aufgeworfen, die sich wunderten, wie eine mehrere Milliarden Euro schwere Industrie plötzlich am Rande des Zusammenbruchs stehen kann. "Man sieht jetzt einfach, dass der Fußball in der Vergangenheit viel falsch gemacht hat, dass in vielen Vereinen schlecht gewirtschaftet worden ist", sagt Fanvertreter Manuel Gaber. "Aber das hat nichts mit 50+1 zu tun, weil es auch eingetragene Vereine gibt wie den SC Freiburg, die auch ohne Investoren hervorragend dastehen." 

Deutschland Freiburg | Fussball Bundesliga | SC Freiburg vs.1. FSV Mainz 05
Die große Mehrheit der Fans des SC Freiburg möchte die 50+1-Regel unbedingt beibehalten Bild: picture-alliance/dpa/G. Gruendl

Der SC Freiburg, derzeit Achter der Bundesliga, hat in den vergangenen zwei Jahren insgesamt 18 Millionen Euro Gewinn gemacht und gilt als einer der bestgeführten Vereine Deutschlands. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage stellten die Ultras des Klubs fest, dass 92,4 Prozent der Freiburger Fans die 50+1-Regel befürworten, während nur 1,8 Prozent die Abschaffung wünschen.

"50+1 ist ein Kernelement des deutschen Fußballs", sagte der Finanzdirektor des Vereins, Oliver Leki, dem deutschen Fußballmagazin "Kicker". "Es muss uns endlich gelingen, diese Regel mit aller Konsequenz und eventuell nötigen Anpassungen so abzusichern, dass sie auch einer rechtlichen Überprüfung standhalten würde. Das fordern wir vom SC schon seit Jahren", so Leki.

Auch der Vorstandsvorsitzende von Borussia Dortmund, Hans-Joachim Watzke, lehnte es ab, auf 50+1 zu verzichten - jedenfalls solange die laufende Bundesliga-Saison zu Ende gespielt wird und die Vereine finanziell abgesichert sind. "Die Leute rufen mich seit Jahren an und bieten mir hunderte Millionen Euro an, wenn wir die 50+1-Regel abschaffen, damit sie dann eine Mehrheitsbeteiligung kontrollieren können", sagte er im April der "BILD"-Zeitung. "Beim BVB kommt das nicht in Frage, aber je mehr Vereine unter existenziellen finanziellen Druck geraten, desto wahrscheinlicher könnte es werden."

Veränderungen im Gange?

Mit der Wiederaufnahme der Bundesliga-Saison am 16. Mai sind die deutschen Vereine vorerst finanziell abgesichert. Dennoch hat die zweimonatige Pause dem deutschen Fußball genügend Zeit beschert, sich Gedanken über seine Führung zu machen. DFL-Geschäftsführer Christian Seifert hat vorgeschlagen, eine Task Force einzurichten, die mögliche zukünftige Veränderungen untersuchen soll.

Fußball DFL Christian Seifert
DFL-Geschäftsführer Christian SeifertBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

"Da geht es um Spielergehälter, schamlos zur Schau gestellten Reichtum, Ablösesummen sowie Berater, die Millionen kassieren für einen Musterarbeitsvertrag, den sie bei uns aus dem Internet herunterladen können. Und das einfach nur deshalb, weil sie den richtigen Dreiundzwanzigjährigen kennen", ärgerte sich Seifert kürzlich in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). "Das sind für uns alle die neuralgischen Punkte. Wir brauchen dafür Lösungen, die im Alltag tragen", sagte er. "Wenn wir den Mut und die Ausdauer haben, über Veränderungen im Profifußball nachzudenken und diese langfristig umzusetzen, kann vielleicht etwas Positives aus dieser Krise entstehen.

Doch welche Veränderungen auch immer als Folge der Coronavirus-Krise vorgenommen werden, die 50+1-Regel scheint jedemfalls vorerst sicher.