Auswärtiges Amt Geschichte
29. Oktober 2010Der Andrang war groß im Haus der Kulturen der Welt in Berlin am Donnerstag Abend (28.10.2010). Hunderte Bürger waren gekommen, um bei der Vorstellung eines fast 900 Seiten dicken Buches dabei zu sein. Es ist das Werk von vier Historikern: Eckart Conze und Norbert Frei aus Deutschland, Peter Hayes aus den USA und Moshe Zimmermann aus Israel. Es beschäftigt sich mit der Geschichte des Auswärtigen Amtes. Norbert Frei, Professor an der Universität Jena, fasste das Ergebnis der Untersuchung in einem kurzen Satz zusammen: "Das Auswärtige Amt im Dritten Reich war das Auswärtige Amt des Dritten Reiches."
Das Amt in der Berliner Wilhelmstraße habe die Politik der Nazis mitgetragen und nach außen vertreten. Deutsche Diplomaten hätten sich dabei auch schlimmer Verbrechen schuldig gemacht. Sie hätten sich, so ergänzte der israelische Historiker Moshe Zimmermann, zum Beispiel aktiv an der Debatte über den Umgang mit den europäischen Juden beteiligt. Der Chef des sogenannten Judenreferats Franz Rademacher habe in seinem Dienstreiseantrag ganz offen die Liquidation von Juden als Reisegrund angegeben.
Für den ehemaligen Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier, SPD, ist der Bericht der Historiker das Buch des Jahres. Es zeige, wie bereitwillig sich deutsche Diplomaten in den Dienst der Nazipolitik gestellt hätten, sagte er. Vom Wegschauen über das stille Komplizentum bis zur Mittäterschaft reiche die Bandbreite der Verstrickung. "Die Banalität des Bösen gab es nicht nur in Uniform. Sie trat auch in Frack und Nadelstreifen auf."
Keine "Entnazifizierung" unter Diplomaten
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele dieser Diplomaten in den auswärtigen Dienst der jungen Bundesrepublik übernommen. Widerständler dagegen hatten es schwer, wieder Fuß zu fassen. Nur jeder fünfte Diplomat nach dem Krieg war ein Verfolgter des Naziregimes. Vierzig Prozent dagegen waren ehemalige Nazis.
Als der frühere Bundesaußenminister Joschka Fischer es untersagte, ihnen nach dem Tod im Amtsblatt des Auswärtigen Amtes einen ehrenden Nachruf zu widmen, entzündete sich daran eine heftige Debatte, die der Grünen-Politiker lange nicht verstehen konnte.
"Warum legt diese Generation einen solchen Wert auf einen Nachruf im Amtsblättchen des Auswärtigen Amtes?" fragte der ehemalige Außenminister bei der Diskussion im Haus der Kulturen der Welt noch immer kopfschüttelnd und fügte hinzu: "Heute weiß ich es: offensichtlich geht es hier um den letzten über den Tod hinausreichenden Persilschein."
Fischer war es, der im Jahr 2005 die Historiker-Kommission einsetzte, um zu klären, wie das Auswärtige Amt in die Verbrechen der Nazizeit verstrickt war und wie es den diplomatischen Eliten nach dem Krieg gelungen war, diese Verstrickung zu verleugnen. Noch heute ist für ihn die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ein zentrales auch außenpolitisch bedeutsames Thema. Deutschland sei eine wunderbare Demokratie geworden, gerade weil sich die Gesellschaft der Last ihrer Vergangenheit gestellt habe, sagte er. Für die Bundesrepublik sei es wichtig, hier keine Zweideutigkeiten aufkommen zu lassen, denn viele der engsten Freunde und Verbündeten hätten unter der deutschen Herrschaft und dem von Deutschland angezettelten Krieg furchtbar gelitten. Das Vertrauen, das Deutschland heute genieße, gründe mit auf der deutschen Auseinandersetzung mit der Geschichte.
Pflichtlektüre für den Nachwuchs
Vier Historiker und zwei ehemalige Außenminister – nur einer fehlte an diesem Abend im Haus der Kulturen der Welt: der jetzige Bundesaußenminister Guido Westerwelle, FDP. Er wollte sich an der Diskussion mit seinen Amtsvorgängern nicht beteiligen. Aber er hatte den Bericht der Historikerkommission am Nachmittag zuvor offiziell in Empfang genommen. Und auch er hatte die Bedeutung des Buches in unzweideutigen Worten unterstrichen. Das Auswärtige Amt sei ein aktiver Teil der verbrecherischen Politik des sogenannten Dritten Reiches gewesen, sagt er. Es sei über die verbrecherischen Methoden der deutschen Kriegsführung informiert und an der systematischen Vernichtung der europäischen Juden mit administrativer Kälte beteiligt gewesen.
Für den diplomatischen Nachwuchs werde das Buch der Historiker Pflichtlektüre, versprach Westerwelle. Seine Erkenntnisse würden Eingang finden in die Diplomaten-Ausbildung.
Autorin: Bettina Marx
Redaktion: Silke Wünsch