Deutschland: Heimliche Überwachung teils verfassungswidrig
1. Oktober 2024Welche Personen darf das Bundeskriminalamt (BKA) überwachen und welche Methoden dürfen dabei zum Einsatz kommen? Diese Frage musste das Bundesverfassungsgericht beantworten. Geklagt hatten die durch Spenden finanzierte Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und mehrere Personen, die ihre Grundrechte durch das geltende BKA-Gesetz verletzt sahen.
Das Urteil ist ein Teilerfolg für die Klägerinnen und Kläger: Insbesondere die Art der Erhebung und die Speicherung personenbezogener Daten kann verfassungswidrig sein. Im Fokus stehen dabei Betroffene, die als sogenannte Kontaktpersonen Verdächtiger bislang ebenfalls überwacht werden können. Diese pauschale Regelung geht dem Gericht jedoch zu weit. Deshalb muss das Gesetz bis spätestens Ende Juli 2025 reformiert werden.
Rückschlag für Innenministerin Faeser und BKA-Chef Münch
Die für Sicherheit in Deutschland zuständige Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und BKA-Präsident Holger Münch halten die jetzt verworfenen Befugnisse für die zentrale deutsche Polizeibehörde für unentbehrlich - vor allem im Kampf gegen Terrorismus. Faeser verweist auf das Versagen der Sicherheitsbehörden im Falle des rechtsextremistischen "Nationalsozialistischen Untergrunds". Der NSU hatte zwischen 2000 und 2007 aus rassistischen Motiven neun Männer mit migrantischen Wurzeln und eine Polizistin ermordet.
Polizei und Verfassungsschutz stocherten lange im Dunkeln. Erst 2011 flog die Terrorgruppe auf. Deshalb sei der Austausch von Daten zwischen dem BKA und den Polizeibehörden der Bundesländer so wichtig, sagte Faeser: "Weil wir beim NSU gesehen haben, dass dort dieser Abgleich nicht stattgefunden hat und jahrelang terroristische Organisationen im Untergrund arbeiten konnten. Und das darf nicht mehr passieren."
Art der Überwachung "Eingriff von erheblicher Schwere"
Gerichtspräsident Stephan Harbarth sieht allerdings keinen Widerspruch zwischen dem staatlichem Sicherheitsbedürfnis und individuellen Grundrechten. Ihm kommt es darauf an, bei Überwachungsmaßnahmen die Balance zu wahren: Das Erstellen einzelner Fotos oder einer zeitlich begrenzten Beobachtung könne ein eher geringes Gewicht haben. Aber die langfristige heimliche Aufzeichnung des gesprochenen Wortes und Bildes einer Person sei ein "Eingriff von erheblicher Schwere", begründete Harbarth die Entscheidung.
Das Bundesverfassungsgericht gibt damit unter anderem zwei klagenden Strafverteidigerinnen recht, zu deren Mandanten Terrorverdächtige gehören. Von dem Urteil könnten aber auch zwei Fußballfans profitieren, die in Datenbanken der Polizei gelandet sind. Ohne sich in relevanter Weise strafbar gemacht zu haben, wie es in der nunmehr teilweise erfolgreichen Verfassungsbeschwerde heißt.
Fußball-Fanhilfe hält Datensammlung für rechtswidrig
Der Dachverband der Fußball-Fanhilfen fordert nun grundsätzlich eine Reform der Datei "Gewalttäter Sport". Darin werden Personen erfasst, die im Rahmen von Fußballspielen und anderen Sportveranstaltungen durch Gewalt- oder Straftaten aufgefallen sind. "Diese umfangreiche Datensammlung ist nicht datenschutzkonform, mit dem heutigen Urteil erwiesen rechtswidrig und dringt tief in die Privatsphäre von Fußballfans ein", sagte die Rechtsanwältin Linda Röttig. Sie ist Mitglied im Vorstand der Fanhilfe.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte ist mit dem Urteil zufrieden. Ihr Verfahrensbevollmächtigter Bijan Moini erwartet nun von der Bundesregierung, auch auf weitere geplante Gesetzesverschärfungen im Anti-Terror-Kampf zu verzichten. Das Sicherheitspaket gehe wieder einmal weit über die Grenzen des Grundgesetzes hinaus, kritisiert Moini. "Aus Respekt vor der Verfassung müssen diese grundrechtswidrigen Verschärfungen dringend zurückgestutzt werden - bevor es das Bundesverfassungsgericht wieder tut", fordert der Jurist.
Schon 2016 wurde ein BKA-Gesetz gekippt
Bereits 2016 hatte das Bundesverfassungsgericht Nachbesserungen am BKA-Gesetz verlangt. Das Ergebnis war nach Überzeugung der Gesellschaft für Freiheitsrechte so schlecht, dass sie 2019 dagegen Verfassungsbeschwerde einlegte. Darüber wurde aber erst im Dezember 2023 verhandelt. Bis zum jetzt ergangenen Urteil ist fast ein weiteres Jahr vergangenen. Das lange Warten hat sich aber für die GFF und Betroffene unverhältnismäßiger Überwachung gelohnt.