Dankbarkeit - auch wenn's schwer fällt
9. April 2020"Die gesündeste aller menschlichen Emotionen ist die Dankbarkeit". Diese Worte stammen nicht etwa vom Dalai Lama, sondern von Mediziner und Stressforscher Hans Selye. Das Zitat ist Teil eines Vortrages von Gesundheitspsychologe Dirk Lehr, der an der Leuphana Universität in Lüneburg zur Förderung von Dankbarkeit forscht und lehrt.
Dankbarkeit und Wertschätzung sind -meiner persönlichen Beobachtung nach- zwei ebenso unterschätzte wie für die psychische Gesundheit essentielle emotionale Haltungen. Trotzdem kommen sie oftmals zu kurz. Gerade in schwierigen Momenten oder nach Schicksalsschlägen fällt es uns schwer, das Positive zu sehen.
Für mich war die Zeit der Trennung vom Vater meines Kindes besonders düster. Vor einiger Zeit habe ich allerdings festgestellt: Es gibt trotz allem Schmerz Dinge, die gut sind. Sie zu beachten, lohnt sich enorm!
"Wer dankbar ist, ist in der Lage, das Positive im Leben zu sehen und wertzuschätzen", sagt Lehr und erklärt damit gleichzeitig, wie die beiden Begriffe zusammenhängen. Wer die guten Dinge achtet, dem geht es natürlich auch besser. Deshalb habe ich mich entschieden, es mit der Dankbarkeit zu versuchen.
Ganz klein anfangen
Dankbar zu sein funktioniert relativ gut, wenn alles nach Plan läuft. Doch selbst dann entgehen unserer Aufmerksamkeit viele Dinge, die uns unauffällig und ohne Glanz durch unseren Alltag begleiten. Die so selbstverständlich sind, dass wir sie oft erst dann bemerken, wenn sie plötzlich nicht mehr da sind.
Vielleicht ist das die Crux mit der Dankbarkeit: Sie kommt leichter zu dem, der lernt, auf Details zu achten. Doch die empfinden wir, wie das freundliche Lächeln, oft als nebensächlich – vor allem dann, wenn sonst alles schief läuft.
Gleichzeitig ist es viel einfacher, Dankbarkeit für die kleinen Dinge im Leben zu kultivieren, gerade WENN alles schief läuft. Wenn nichts da zu sein scheint, wofür sich Dankbarkeit lohnen würde. "Ich sage jemandem, der so empfindet: Lass uns einen Versuch machen und anfangen, auf Kleinigkeiten zu achten", sagt Gesundheitspsychologe Dirk Lehr, der auch als Psychotherapeut arbeitet.
Er und sein Team an der Uni Lüneburg haben eine Dankbarkeits-App entwickelt, eine Art digitales Tagebuch, mit dessen Hilfe die kleinen, schönen Momente des Lebens festgehalten werden können. Mit Hilfe von Fotos oder Notizen sollen "Erinnerungsknoten" geknüpft werden, sagt Lehr. Je schärfer der Blick für Details, desto weiter öffnen wir der Dankbarkeit Tür und Tor.
Kann man alles üben
Meine Beobachtungsgabe hat sich in den letzten Wochen verändert. Ich kann mich jetzt über die Sonne freuen, die auf dem Rhein glitzert. Vogelgezwitscher hebt meine Laune. Wenn ich morgens durch die sich langsam erwärmende Frühlingsluft jogge, bin ich glücklich, dass mein Körper einwandfrei funktioniert. Alles keine Selbstverständlichkeiten, im Gegenteil.
Wer sich vor allem auf das fokussiert, was fehlt, dem kann es nicht besonders gut gehen. Natürlich sei es wichtig, auch mal zu jammern, sagt Dirk Lehr. Der Ballast muss schließlich auch irgendwo hin. "Problematisch wird es dann, wenn der Blick auf die Defizite zur Grundhaltung wird."
Die gute Nachricht: Für den Psychotherapeuten Lehr ist ein Perspektivwechsel und die Besinnung auf schöne Momente eine bewusste Entscheidung, die jeder treffen kann. Aber diese bewusste Entscheidung muss man üben, üben, üben. Dankbarkeit sei wie ein Muskel, der trainiert werden könne, sagt er. Ein Training, das sich vor allem in schlechten Zeiten auszahlt.
Dieser Artikel wurde seit seiner Erstveröffentlichung 2019 aktualisiert