Büchner-Preisträger gestorben
5. Oktober 2006Der Lyriker und Lautmaler Oskar Pastior, ein "Poet der Moderne" und "Dada-Nachfahre", starb im Alter von 78 Jahren. Er galt als einer der renommiertesten Lyriker der Gegenwart.
Am 21. Oktober, einen Tag nach seinem 79. Geburtstag, sollte ihm in Darmstadt der mit 40.000 Euro dotierte Georg-Büchner-Preis überreicht werden. Der Preis wird ihm jetzt posthum verliehen. Als ihn im Mai die Nachricht über die Zuerkennung des Preises erreichte, war Pastior "total überrascht" und hatte zugegeben, erst einmal "ein paar Tränchen verdrückt" zu haben, danach gab es auch "ein bisschen Champagner".
Ausnahme-Erscheinung
Pastior war eine außergewöhnliche Erscheinung unter den deutschsprachigen Schriftstellern. Besonders bekannt wurde er mit seiner vom Dadaismus geprägten experimentellen Lyrik und Prosa, seinen "Lautmalereien". Der "Großmeister des Wortgebrauchs" und "linguale Neutöner" mit Kultstatus in der Lyrikszene, in der auch die Grenzen zur Nonsens-Dichtung überschritten werden dürfen, hatte dem beinahe musikalischen Lautgedicht eine neue Beliebtheit im deutschen Sprachraum verschafft.
Er selbst fühlte sich dem "sprachmagischen Ansatz" Georg Büchners verpflichtet. "Was Poesie ist, weiß ich nicht", sagte er zu seinem Verhältnis zur Sprache, deren Zwischentöne und Vernetzung ihn zu immer neuen subversiven Sprachkompositionen reizten. Besonders gern spielte er mit Anagrammen (Wortumbildungen) und Palindromen, also Wortfolgen, die vor- wie rückwärts gelesen Sinn ergeben - wie zum Beispiel Sarg oder Reittier. Auch Redewendungen stülpte er fantasie- und lustvoll und mit Augenzwinkern um. Damit huldigte er der alten Weisheit, Dichtung müsse auch nützlich und unterhaltsam sein, aber auch einer spannenden "Unterhaltung des Wissens".
"Erotische Zuneigung zur Sprache"
Die Einengungen der deutschen Sprache versuchte der Sprachklangvirtuose mit seiner ungewöhnlichen Wortakrobatik immer neu zu überwinden. Manche sagten ihm sogar eine "erotische Zuneigung" zur Sprache nach. Der eigenwillige Autor hatte auch als Petrarca-Übersetzer Anerkennung gefunden.
Pastior wurde am 20. Oktober 1927 als Angehöriger der deutschen Minderheit im rumänischen Hermannstadt (Siebenbürgen) geboren, wo er später zum Ehrendoktor ernannt wurde. Seit 1969 lebte er in Berlin, wo er zuletzt gemeinsam mit der ebenfalls aus Rumänien stammenden Schriftstellerin Herta Müller an einem autobiografischen Roman schrieb.
"Ich sitze stumm und kraule das Kleinhirn"
1969 erschien sein erster Gedichtband in der Bundesrepublik, "Vom Sichersten ins Tausendste", in dem es heißt: "Ich sitze stumm und kraule/Das Kleinhirn zwecks Belebung/Die Sprache zwecks Bestrebung/Und die bewegt sich doch" Zu Pastiors Werken gehören ferner die Bände "Ein Tangopoem und andere Texte", "Anagrammgedichte", "Kopfnuß Januskopf. Gedichte in Palindromen" und "Das Hören des Genitivs".
1945 war Pastior als Gymnasiast für fünf Jahre in sowjetische Arbeitslager deportiert worden. Nach seiner Entlassung und einem Germanistikstudium arbeitete er in den 1960er-Jahren beim deutschsprachigen Rundfunk in Bukarest und wurde mit den beiden Lyrikbänden in deutscher Sprache "Offene Worte" (1964) und "Gedichte" (1966) bekannt. Er nutzte 1968 einen Studienaufenthalt in Wien zur Flucht und zog 1969 nach Berlin.
Betroffenheit in Berlin
Pastior war Mitglied der Berliner Akademie der Künste und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Die Akademie zeigte sich "tief erschüttert" über den Tod Pastiors. "Wir haben einen unvergleichlichen Magier der Sprache verloren", sagte der Generalsekretär der Akademie, Bernd Busch.
Kulturstaatsminister Bernd Neumann würdigte Pastior als "einen der bedeutendsten Schriftsteller unserer Zeit" und eine "besonders eindrückliche, unverwechselbare Stimme" in der deutschen Literatur. Er sei "ein Erkunder und Erforscher" gewesen, "der ganze Kontinente unserer Sprache neu entdeckt hat". (ina)