Afrika plant die Impfstoff-Revolution
2. Juli 2021Die dritte Corona-Welle rollt in weiten Teilen Afrikas - und sie könnte die bislang schwerste der Pandemie werden, fürchten Experten. Die Ausgangsbedingungen auf dem Kontinent könnten schlechter nicht sein: Denn die ansteckendere und wohl auch gefährlichere Delta-Variante des SARS-CoV-2-Virus, die bereits in Indien verheerenden Schaden angerichtet hat, breitet sich inzwischen auch in Afrika aus und trifft dort auf eine weitgehend ungeimpfte Bevölkerung.
Laut der Seuchenschutzbehörde Africa CDC der Afrikanischen Union (AU) sind gerade einmal etwas mehr als ein Prozent der afrikanischen Bevölkerung vollständig geimpft, rund zweieinhalb Prozent haben zumindest die erste Dosis erhalten. Zum Vergleich: In der Europäischen Union haben laut Statistikportal "Our World in Data" der Universität Oxford inzwischen gut 50 Prozent der Bevölkerung die erste Dosis bekommen, jeder Dritte hat bereits den vollständigen Impfschutz.
"Ein Weckruf" für Afrika
Dieses Missverhältnis bei der Versorgung mit Impfstoffen gegen COVID-19 sorgt bei vielen afrikanischen Politikern für Ärger und Unverständnis. "Der Egoismus in dieser Welt ist schlecht", sagte etwa Ugandas Präsident Yoweri Museveni vergangene Woche auf dem Weltgesundheitsgipfel in Kampala. Doch er nutzte seine Eröffnungsrede auch für eine Mahnung an seine afrikanischen Kollegen: Die aktuelle Situation sei ein Weckruf, so Museveni. "Es ist eine Schande, dass der afrikanische Kontinent schläft und darauf wartet, von anderen gerettet zu werden."
Tatsächlich sind afrikanische Länder bislang nahezu vollständig auf Impfstoffe-Importe aus Nordamerika, Europa und Asien angewiesen - nicht nur im Kampf gegen COVID-19, sondern auch gegen Krankheiten wie Masern, Tetanus oder Tuberkulose. Lediglich rund ein Prozent aller auf dem Kontinent verabreichten Impfstoffe werden in Afrika hergestellt, in Betrieb befindliche Produktionsstätten gibt es derzeit nur in Tunesien, Algerien, Südafrika und im Senegal.
Genau das soll sich nun ändern. Gleich mehrere afrikanische Länder arbeiten aktuell daran, die lokale Produktion von Impfstoffen voranzutreiben. Das ausgegebene Ziel der Afrikanischen Union: Bis 2040 sollen 60 Prozent der in Afrika benötigten Impfstoffe aus eigener Produktion stammen - und schon möglichst bald sollen afrikanische Impfstoffe auch die COVID-19 Pandemie zurückdrängen.
Doch warum steigt Afrika erst jetzt in die Impfstoffproduktion ein? Welche Schwierigkeiten gibt es beim Aufbau der Produktionsstrecken? Und wie schnell können die Pläne überhaupt umgesetzt werden? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Warum werden in Afrika bislang kaum Impfstoffe produziert?
Grundsätzlich gilt: Die technischen Hürden für die Herstellung von Impfstoffen sind sehr hoch. Nicht nur der Aufbau von spezialisierten Produktions- und Abfüllanlagen ist extrem teuer, auch die Aus- und Weiterbildung von qualifiziertem Personal ist aufwendig. Selbst in hochindustrialisierten Ländern wie den USA oder Deutschland werden die Entwicklung und Produktion von Impfstoffen deshalb mit gigantischen staatlichen Investitionen gefördert.
Diese können sich viele afrikanische Regierungen schlicht nicht leisten. Es ist daher kein Zufall, dass die wenigen bereits existierenden Produktionsanlagen in Afrika, etwa die der Pasteur Institute im Senegal, in Tunesien und Algerien zu großen Teilen durch Entwicklungszusammenarbeit finanziert werden. Finanziell weniger gut ausgestatteten Projekten, beispielsweise in Nigeria oder Äthiopien, ist es trotz jahrelangen Anstrengungen bis heute nicht gelungen, die Impfstoffproduktion zur Marktreife zu bringen.
Was hat sich durch die Pandemie geändert?
Seit Beginn der Pandemie, insbesondere aber seit Beginn der Impfkampagnen im Globalen Norden, steht der Aufbau lokaler Impfstoffkapazitäten ganz oben auf der Agenda vieler afrikanischer Länder. Zahlreiche Projekte stecken bereits in der Pipeline, von Vorstößen einzelner Unternehmen oder Staaten bis zum Aufbau sogenannter "Regionaler Impfstoff-Hubs", an denen mehrere Länder beteiligt sind.
Finanziert und unterstützt werden diese Initiativen unter anderem durch die EU, die Weltbank und weitere internationale Geldgeber. Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte bei einem Besuch in Südafrika im Mai Hilfen von bis zu 50 Millionen Euro zugesichert.
Wie genau sehen die Projekte aus und wie schnell können sie umgesetzt werden?
Die meisten angekündigten Projekte zielen auf die lokale Produktion oder Abfüllung von bereits zugelassenen Vakzinen in bestehenden Produktionsanlagen. Da dafür abgesehen von den Lizenzverhandlungen lediglich die Produktionsstrecken angepasst und die Rohmaterialien besorgt werden müssen, lassen sich diese Projekte relativ schnell realisieren.
Das südafrikanische Unternehmen Aspen Pharmacare hat am schnellsten reagiert und ist bisher das einzige auf dem Kontinent, das einen COVID-19-Impfstoff herstellt - im Auftrag des US-Konzerns Johnson & Johnson. Das ägyptische Unternehmen VACSERA will in den kommenden Wochen mit der Herstellung des chinesischen Sinovac-Impfstoffs beginnen. Ähnliche Kooperationsverträge zwischen afrikanischen Pharmaunternehmen und den internationalen Impfstoffherstellern gibt es außerdem in einigen weiteren Ländern, etwa im Senegal oder in Algerien.
Weniger schnell umzusetzen sind Pläne, bei denen die passenden Produktions- oder Abfüllanlagen erst noch errichtet werden müssen. Rund 18 Monate dauere es, eine sogenannte Fill-&-Finish-Produktionsstrecke einzurichten, sagt Simon Agwale, Biotech-Unternehmer und Direktor der African Vaccine Manufacturers Alliance (AVMI).
Und es gebe noch ein Problem: "Aufgrund der Pandemie gibt es gerade eine lange Warteliste bei den Herstellern solcher Anlagen." Er glaube daher nicht daran, dass die ambitionierten Zeitpläne einiger Regierungen einzuhalten sind, die noch für dieses Jahr lokal produzierten Impfstoff angekündigt haben.
Dazu kommt: Auch die Finanzierung solcher Projekte ist komplizierter und langwieriger. "Alle sprechen gerade darüber, Fabriken für die Herstellung von COVID-19-Impfstoffen zu bauen. Aber was passiert nach COVID?", so Agwale. Es brauche einen konkreten Plan, wie beispielsweise mRNA-Produktionsanlagen, die für die COVID-19-Impfstoffe von BioNTech oder Moderna nötig sind, später auch für andere Impfstoffe genutzt werden könnten. In Südafrika entsteht gerade ein Technologietransferzentrum für mRNA-Impfstoffe, das frühestens ab Sommer 2022 einsatzbereit sein soll.
Weitere Herausforderungen
Die Herausforderungen für den Aufbau einer eigenen Impfstoff-Infrastruktur in Afrika sind immens. Neben den üblichen Schwierigkeiten wie der Finanzierung und fehlendem technischen Know How sind auch die seit vielen Monaten diskutierten Fragen rund um den Patentschutz immer noch nicht geklärt. Fraglich ist auch, ob das Gros der aktuell in Afrika verfolgten Projekte den Kontinent tatsächlich unabhängiger von den Pharmakonzernen aus dem Globalen Norden macht.
Laut AVMI-Direktor Simon Agwale handelt es sich bei den meisten Projekten um Abfüllanlagen, die auf die Anlieferung von Rohmaterialien durch die Impfstoffhersteller angewiesen sind. Das sei zwar grundsätzlich begrüßenswert, aber: "Wenn nicht auch in die Herstellung der eigentlichen Substanzen investiert wird, haben wir am Ende zahllose Abfüllanlagen, aber kein Produkt, das abgefüllt werden kann."