"Opium" von Philippe Jaroussky
20. April 2009Das Album wird mit Reynaldo Hahns "A Chloris" eröffnet, einem an Händel erinnernden Liebeslied, das Jaroussky in feinem, schlankem Ton singt. Chloris ist die griechische Göttin der blühenden Natur. Ihr Geliebter ist Zephyros, der Westwind, der im Frühjahr die Blumen zum Leben erweckt. Erstaunlicherweise klingt dieser männliche Wind in der Stimmlage Jarousskys zwar eher weiblich, dennoch hat es nichts von Travestie. Er klingt zweideutig, zwielichtig, aber nicht peinlich. Der weibliche Stimmklang Jarousskys, der ansonsten vor allem barocke Kastratenpartien singt, wirkt auch in diesem überraschend ungewohnten Repertoire im Kern männlich, wenn auch eher knabenhaft.
Duftende Opiate am Wegesrand
Ernest Chausson Lied "Le colibri" ist eine der stark duftenden Blüten des späten 19. und frühwelken 20. Jahrhunderts, die Jaroussky auf seiner neusten CD singt. Es sind Melodien von schwerem, süßem Parfüm, Orchideen von Massenet, Debussy, Chausson, Fauré, Hahn, Saint-Saens und anderen, heute zum Teil vergessenen Meistern der französischen "mélodie" aus dem Treibhaus des "fin de siècle". Abseits seines eigentlichen Terrains, der Barockmusik, begibt sich Jaroussky auf Abwege und sucht die nostalgischen, die sehnsüchtigen Opiate künstlicher Paradiese, ohne sich in ihnen zu verlieren. Dafür sorgen auch Jérôme Ducros am Klavier, der Flötist Emmanuel Pahud, der Cellist Gautier Capuçon und der Geiger Renaud Capuçon, der den Zündfunken zu dieser Aufnahme lieferte, indem er Jaroussky einlud, auf seinem Festival de Bel Air dieses Repertoire zu singen.
Seltene Vögel, Schmetterlinge und Blumen
Philippe Jaroussky, der weiß, dass der Klang seiner Counterstimme wahrscheinlich ein völlig anderer ist, als der, den die Kastraten des 18. Jahrhunderts hatten, sagte sich zurecht: Warum sich nicht in Musikwelten wagen, die für einen Counter von heute geeignet sind. Und französischen Lieder galt seine Liebe, wie er bekennt, seit Anbeginn seines Musikstudiums. Elegischen Liedern vom Herbst und der Vergänglichkeit, Liedern von seltenen Vögeln, von Schmetterlingen, Blumen und vom stark duftenden Flieder. Camille Saint-Saëns hat in seinen "Persischen Melodien" sogar das Gedicht eines Opiumtraums von Armand Renaud vertont, das den CD-Titel inspiriert hat. Kreisende Sechzehntelnoten beschreiben das Abdriften in den Drogenrausch. Philippe Jaroussky gibt sich ihm hin, aber ohne sich ihm zu ergeben.
Schmerzen stillen ohne Suchtgefahr
Opium stillt bekanntlich Schmerzen, es beruhigt, hypnotisiert und macht süchtig. Nicht bei Philippe Jaroussky. Er setzt der Lebensbedrohlichkeit des Opiums eine ungefährliche Alternative entgegen, gestalterisch klug disponiert, natürlich artikuliert und sehr gepflegt gesungen. Das Grenzüberschreitende, das Dramatische oder Exzessive ist seine Sache eher nicht. Die geschickte Auswahl der zwei Dutzend Lieder nimmt denn auch darauf Rücksicht. Wie bei den meisten Countertenören ist auch das Klangfarbenspektrum Jarousskys nicht sehr groß. Die verträumten Lieder von der Liebe und der Sehnsucht liegen ihm und seiner klaren, helltimbrierten Stimme daher am meisten. Diesen Liedern, wie beispielsweise Massenets "Elégie", weiß er unwirkliche, schillernd exotische Facetten abzugewinnen, jenseits aller Suchtgefahr, aber durchaus faszinierend.
Autor: Dieter David Scholz
Redaktion: Gudrun Stegen