"Wenn er es wünscht, wird er unser Kandidat"
16. Januar 2019Am Dienstag endete der Prozess gegen den ehemaligen ivorischen Präsidenten Laurent Gbagbo und seinen Jugendminister Charles Blé Goudé vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag mit Freisprüchen für beide Angeklagten. Die Anklage hatte die beiden für die rund 3000 Todesopfer im monatelangen Machtkampf um das Präsidentenamt nach der Wahl Ende 2010 verantwortlich gemacht, konnte dem Gericht jedoch nicht genügend Beweise vorlegen. Beobachter halten den Ausgang des Verfahrens für einen schweren Rückschlag im Kampf gegen Menschenrechtsverbrechen.
Affi N'Guessan, der Vorsitzende von Laurent Gbagbos Partei der ivorischen Volksfront (Front Populaire Ivoirien, FPI), kommentiert im DW-Interview die Freisprüche und Gbagbos politische Ambitionen.
DW: Herr N'Guessan: Wie ist Ihre erste Reaktion auf die Freilassung von Laurent Gbagbo und Charles Blé Goudé?
Affi N‘Guessan: Wir sind natürlich sehr froh und erleichtert über diese Entscheidung. Wir haben lange darauf gewartet, denn wir haben niemals an der Unschuld von Laurent Gbagbo und Charles Blé Goudé gezweifelt. Diese Entscheidung des Gerichtes erlaubt uns, den Versöhnungsprozess in der Elfenbeinküste wieder anzustoßen. Das wird sicher auch die interne Krise unserer Partei FPI beenden und ihr eine Chance geben, bei den Wahlen 2020 wieder an die Macht zu kommen.
… und Herrn Gbagbo bekommt die Chance, Vorsitzender der FPI zu werden?
Präsident Gbagbo war nicht Vorsitzender der FPI. Ich bin seit 17 Jahren Chef der FPI. Die Frage nach dem Vorsitz der FPI stellt sich im Moment nicht. Sie ist zweitrangig. Die wichtigste Frage ist die nach der Einheit der Partei, die nach der Wiedereroberung der Macht, die nach der nationalen Versöhnung. Es geht um die Interessen der Nation. Es ist keine Posten-Frage, sondern die fundamentale Frage danach, was der Côte d'Ivoire nützt.
Derzeit ist die FPI in zwei Flügel gespalten. Sie wollen also dafür kämpfen, dass diese beiden Flügel sich versöhnen?
Natürlich! Aber ich glaube fest daran, dass sie sich versöhnen werden, denn das spaltende Element war ja die Haft von Monsieur Gbagbo – und diese Situation ist ja jetzt nicht mehr aktuell. Es gibt in der Elfenbeinküste auch keine politischen Häftlinge mehr: Unsere Brüder und Schwestern konnten nach der Entscheidung vom Amnestie vom 6.8.2018 nach Hause gehen. Es gibt also keinen Grund mehr für die Anhänger der FPI, gespalten zu sein. Sie werden sich wieder zusammentun, wie schon vor der Krise 2011, und den Kampf wieder aufnehmen.
Und Laurent Gbagbo ist der geborene Kandidat der FPI für die Präsidentenwahl im Jahr 2020?
Wenn er es wünscht, wird er selbstverständlich unser Kandidat sein. Falls er aber andere Pläne für seine politische Karriere hat, werden die Parteiorgane sich für jemand anders entscheiden.
Manche Opfer fühlen sich durch das Urteil des Internationalen Strafgerichtshofes übervorteilt.
Das haben wir auch bemerkt. Es gab nach der politischen Krise von 2010/2011 Opfer auf allen Seiten. Die Krise nach der Wahl hatte ein solches Ausmaß, dass man die Lösung für Frieden und Einheit der Elfenbeinküste keinesfalls darin finden kann, ein einziges politisches Lager zu bestrafen. Wir müssen uns alle an einen Tisch setzen, um die Opfer zu entschädigen und ihnen zu erlauben, das zu verarbeiten, was sie erlebt haben. Nur so kann die Côte d'Ivoire einen neuen Anfang machen für den Prozess der nationalen Versöhnung. Man muss die beruhigen und bestärken, die frustriert sind. Ihnen sagen, dass ihr Schmerz nicht ignoriert wird. Dass alle, egal, welcher Seite sie angehörten, im Rahmen der Versöhnung berücksichtigt werden. Wir sind alle Brüder und Schwestern. Selbst wenn wir Momente des Bruchs, des Konfliktes, der Konfrontation haben, müssen wir die Fähigkeit haben, diese Momente zu überwinden und uns wieder zu vereinen, zu versöhnen.
Wer muss die Opfer entschädigen?
Das muss der Staat sein. Der Staat ist das Symbol der Einheit. Er muss zur begangenen Gewalt ermitteln, alle Opfer identifizieren und entscheiden, welche Kompensation und Entschädigung die Opfer bekommen müssen, und zwar symbolisch, materiell und finanziell. Sowohl individuell wie auch kollektiv – denn es gibt sowohl ganze Gemeinschaften als auch Individuen, die gelitten haben. Der Staat muss also Maßnahmen ergreifen, damit unser Land seinen Frieden und seine Stabilität wiedererlangt.
Interview: Eric Topona, Übersetzung: Dirke Köpp