Coronavirus: Solidarität - aber wie?
14. März 2020"Wir müssen unseren Alltag ändern, nicht allmählich, sondern jetzt", so der eindringliche Appell von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Solidarität mit Angehörigen von Risikogruppen - alten und chronisch kranken Menschen - sei "die Aufgabe der Stunde", sagte er am Donnerstag nach einem nach einem Treffen mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und dem Präsidenten des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, in Berlin. "Das Virus fordert auch jeden Einzelnen von uns", so der Bundespräsident.
Einen ähnlichen Ton hatte am Vortag bereits Bundeskanzlerin Angela Merkel angeschlagen. "Unsere Solidarität, unsere Vernunft und unser Herz füreinander sind auf eine Probe gestellt, von der ich mir wünsche, dass wir sie auch bestehen", erklärte Merkel während einer Pressekonferenz.
Experten zufolge bleiben Deutschland wenige Wochen Zeit, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Auch mit Blick auf die Forschung an Impfstoffen und möglichen Therapien gilt es, Zeit zu gewinnen. Nach bisherigen Erkenntnissen erkrankt eine von fünf infizierten Personen schwer.
Wenn man die Situation nicht ernst nehme, müsse man davon ausgehen, dass es bei Senioren Sterberaten im Bereich von 20 bis 25 Prozent geben werde, warnte Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité, im NDR. Von Behörden angeordnete und von Unternehmen beschlossene Maßnahmen können zu einer Verlangsamung der Ausbreitung beitragen. Hier lesen Sie, was Privatpersonen darüber hinaus tun können - und vielfach schon tun.
In der Freizeit zu Hause bleiben
Die Entscheidung, ob man eine Konferenz besuchen, ins Konzert gehen, sich im Stadion live ein Fußballspiel anschauen oder auf die Arbeit gehen sollte, wird den Menschen in Deutschland in diesen Tagen vielfach abgenommen. Ob sie Freunde in einem anderen Bundesland besuchen, auf die Wohnungs-Einweihungsparty der Nachbarn oder abends an der Bar statt auf dem Sofa sitzen, ist ihnen - noch - selbst überlassen.
Schon am vergangenen Montag hatte Gesundheitsminister Spahn an die Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger appelliert: "Es ist sicher leichter, auf Konzerte und Fußballspiele zu verzichten als auf den Weg zur eigenen Arbeit." Das Bundesgesundheitsministerium mahnt in einem FAQ: "Wenn die Möglichkeit besteht, sollte auf Reisen verzichtet, öffentliche Verkehrsmittel gemieden und von zu Hause aus gearbeitet werden. Im Allgemeinen sollten jegliche Kontakte reduziert werden." Dazu riet am Donnerstag auch Kanzlerin Merkel.
Virologe Drosten fordert die Menschen ebenfalls auf, im Privatleben verantwortungsbewusst zu handeln. "Jeder hat da seine Familie, jede Familie ist natürlich speziell. Aber viele Regeln sind eben gleich", sagte er im NDR. Dazu gehöre unter anderem, Kinder "bis zum September oder Oktober nicht mehr bei Oma und Opa zur Betreuung abgeben, sondern stattdessen für Oma und Opa einkaufen, dass die nicht ständig in den Supermarkt müssen. Das ist ein Dienst, den wir alle leisten müssen."
Risikogruppen aktiv helfen
Einkaufen für Oma und Opa - und für andere: Zu den positiven Effekten des Virusausbruchs zählt eine neue Art der Nachbarschaftshilfe. Unter dem Hashtag #Nachbarschaftschallenge rufen Social-Media-Nutzer dazu auf, älteren oder an einer Immunkrankheit leidenden Menschen in der Nachbarschaft etwa durch Einkäufe und andere Erledigungen zu unterstützen.
Eine Schülergruppe aus Österreich bietet über einen eigenen Instagram- und Twitter-Account sowie über eine E-Mail-Adresse Erledigungen für Angehörige von Risikogruppen an. Auch in Facebook-Gruppen schließen sich Menschen zusammen, um in ihrem Stadtteil Hilfsangebote zu koordinieren. Über https://gegen-den-virus.de und andere Webseiten lassen sich Vorlagen für entsprechende Aushänge herunterladen.
Die Aktionen bekommen im Netz prominente Unterstützung - etwa von Bundesaußenminister Heiko Maas.
Auch die deutsche Journalistin Dunja Hayali schrieb auf Twitter, es sei "jetzt die Zeit zu helfen, sich solidarisch zu zeigen". Zum Beispiel könne jeder "einfach Nachbarn fragen, ob sie Hilfe brauchen". Der Brüssel-Korrespondent der österreichischen Tageszeitung "Der Standard", Thomas Mayer, twitterte: "Hab heute schon mit drei Freunden telefoniert, die ihren alten Nachbarn die Einkäufe erledigen, damit die zu Hause bleiben können. So geht's!"
Ein etwas anderes Hilfsangebot kam von der schweizerisch-US-amerikanischen Stand-Up-Comedian Hazel Brugger und der TV-Moderatorin Aline von Drateln. Unter bestimmten Bedingungen könnten sie Kinder anderer Berufstätiger in ihrem Stadtteil betreuen, schrieben sie auf Twitter.
(Überschüssige) Lebensmittel spenden
Corona-Hamsterkäufe sorgen nicht nur in Supermärkten für Engpässe. Auch mehrere Tafeln für Bedürftige in Deutschland hätten zuletzt deutlich weniger Lebensmittelspenden erhalten, sagte der Verbandsvorsitzende Jochen Brühl Anfang der Woche der "Osnabrücker Zeitung". Nach eigenen Angaben versorgen die Tafeln regelmäßig 1,6 Millionen Menschen mit Lebensmitteln. Der Deutschen Presse-Agentur sagte Brühl, die Lage normalisiere sich wieder. Dennoch appellierte er an die Bevölkerung, auch an die Menschen zu denken, die wenig Geld hätten. "Wer merkt, dass er zu viele Lebensmittel gekauft hat, kann sich gern an die Tafeln wenden und sie spenden."
Auch die Grünen rufen zu Lebensmittelspenden an die Tafeln auf. "Gerade Arme sind jetzt auf Solidarität angewiesen", heißt es in einem unter anderem von den Bundestags-Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter unterzeichneten Aufruf.
Und auch ein anderes Problem macht den Tafeln zu schaffen: Die Ausbreitung des Coronavirus führe zu immer mehr Schließungen von Tafeln im ganzen Land - auch, weil rund 90 Prozent der Ehrenamtlichen ältere und damit gefährdete Menschen seien -, heißt es in einer Pressemitteilung des Tafel Deutschland e.V. Der Verband ruft zu einer "Welle der Solidarität" auf. So könnten Tafeln "Unterstützung brauchen, um Lieferdienste einzurichten oder auszuweiten sowie Lebensmittel in Tüten oder Pakete zu packen und im Hof unter freiem Himmel auszugeben." Zudem erhielten die Tafeln zum Teil noch immer deutlich weniger Spenden.
Auf die hoffen auch andere: Ein entsprechender Aufruf der Initiative Foodsharing Bremen auf Twitter wurde innerhalb weniger Tage mehr als 1400 Mal retweetet.
Blut spenden
Mehrere Blutspendedienste des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) appellieren an Bürgerinnen und Bürger, "auch in Zeiten der Grippewelle, grassierender Erkältungen und des Coronavirus (Sars-CoV-2)" Blut zu spenden. Derzeit würden Termine in bereits gebuchten Spendenlokalen vermehrt abgesagt, heißt es auf der Webseite des DRK-Blutspendedienstes West, der Krankenhäuser und Arztpraxen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland mit Blutpräparaten versorgt.
"Dies kann unter Umständen dazu führen, dass wir unseren Versorgungsauftrag nicht mehr erfüllen können, denn ein öffentlich zugängliches Spendenlokal ist der erste Grundpfeiler in einer empfindlichen Kette der Versorgung von Patienten mit Blut in Therapie und Notfallversorgung."
Ein mobiler Blutspendetermin könne nicht mit einem Konzert, einem Sportevent oder einer anderen Veranstaltung gleichgesetzt werden. "Hier kommen deutlich weniger Menschen auf einmal zusammen, die darüber hinaus im Regelfall gesund sind", so der Dienst. Wer sich krank fühle, solle schlicht kein Blut spenden. "Darüber hinaus erfolgt die Durchführung der Blutspendetermine stets unter ärztlicher Aufsicht und bei Berücksichtigung höchster Hygiene- und Sicherheitsstandards. So wird bei sämtlichen Spendewilligen unter anderem unmittelbar vor dem persönlichen Arztgespräch die Körpertemperatur festgestellt. Sollte es hier zu etwaigen Auffälligkeiten kommen, würde entsprechend der geltenden Vorgaben gehandelt."
Auch die Universitätskliniken in Bonn und Essen verzeichnen einen deutlichen Rückgang von Blutspenden. Im Vergleich zum Vorjahr seien nach Karneval 30 Prozent weniger Spender zum Blutspendedienst gekommen, heißt es in einer Mitteilung der Uniklinik Bonn. In Essen kämen aktuell 20 Prozent weniger Spender, berichtet Radio Essen.
Es sei davon auszugehen, "dass sich die Situation in den anderen Bundesländern in gleicher Weise entwickelt und wir mit einem länger anhaltenden Problem konfrontiert werden", wird Dr. Jochen Hoch, Oberarzt am Bonner Universitäts-Institut für Experimentelle Hämatologie und Transfusionsmedizin, in der Mitteilung der Uniklinik zitiert. Aktuell werden demnach Reiserückkehrer aus China, Iran, Südkorea, Italien und Teilen von Frankreich sowie Personen, die Kontakt zu an Corona-Erkrankten und Verdachtsfällen hatten, für vier Wochen von der Blutspende zurückgestellt. Blutspenden sei trotz des Coronavirus ungefährlich, die Sicherheit von Spendern und Empfängern habe oberste Priorität.
Ob Spende, Social-Media-Kampagne oder Selbstbeschränkung: Die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, zu wie viel Solidarität die Menschen in Deutschland angesichts der Gefahr durch das Coronavirus bereit sind.