Kubanische Ärzte warten auf ihre Chance
26. März 2020Der Arzt Raymond Garcia hat Erfahrung im Umgang mit Epidemien. Er behandelte Cholera-Fälle auf Haiti. Er kämpfte gegen den Influenza-Virus H1N1 in Venezuela und gegen Ebola in Guinea Bissau. Er kennt Zika, den Chikunguya-Virus, die Chagas-Krankheit. Während sich das Coronavirus weltweit ausbreitet, ist er in Brasilien. Und seine Hände sind gebunden - weil er Kubaner ist.
"Wenn ich helfe, könnte ich verhaftet werden", sagt Garcia. "Man fühlt sich überflüssig. Auch wenn man weiß, was zu tun ist." Garcia ist einer von rund 1800 kubanischen Ärzten, die in Brasilien nicht mehr als Mediziner arbeiten dürfen. Sie verloren ihre Zulassung, nachdem das Programm, das sie hergebracht hatte, ausgelaufen war.
Kubanische Ärzte sind weltweit begehrt; im Kampf gegen die schlimmsten Epidemien stehen sie oft in der ersten Reihe. Die "Armeen in den weißen Kitteln" sind schon im Einsatz gegen das Coronavirus - in Ländern wie Italien, Venezuela und Nicaragua.
Die Regierung des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro hatte Anfang März angekündigt, die Arbeitserlaubnis einiger der kubanischen Ärzte zu erneuern. Darauf warten die Kubaner noch immer. Die Zahl der Todesfälle, die auf das Coronavirus zurückgehen, steigt unterdessen stark an. Doch die Ärzte können sich noch nicht einmal freiwillig melden.
"Mehr Ärzte", die nicht mehr arbeiten dürfen
Die Ärzte kamen im Rahmen eines Programms, das sich "Mais Medicos" ("Mehr Ärzte") nannte. Kuba hatte die Mediziner geschickt, um die Versorgung in ländlichen, schlecht ausgestatteten Gegenden Brasiliens zu verbessern.
Im Jahr 2018 endete das Programm abrupt, nachdem Jair Bolsonaro nach seiner Wahl zum neuen Präsidenten dem kommunistisch regierten Kuba vorwarf, die medizinischen Fachkräfte auszubeuten - sie würden "Guerilla-Gruppen" bilden, behauptete er. Kuba reagierte und zog mehr als 8000 Ärzte zurück. Garcia musste eine schwere Entscheidung treffen: Er konnte nach Kuba zurückgehen und seine Frau und sein Baby zurücklassen - oder er konnte in Brasilien bleiben, das er erst seit zwei Jahren kannte, und seinen Beruf aufgeben. Er entschied sich für seine frisch gegründete Familie und ließ sich auf der Insel Marajó im Mündungsbereich des Amazonas nieder.
"Mein Sohn war nicht mal ein Jahr alt. Wenn ich nach Kuba gegangen wäre, hätte er seinen Vater nicht gekannt - nur von Fotos", sagt Garcia. "Kuba ließ mir keine Wahl." Die Entscheidung war aus vielen Gründen sehr schwierig. Garcia kann nicht mehr in sein Heimatland zurückkehren. Er ließ seine Mutter und weitere Verwandte auf Kuba zurück. Und er konnte seinen Traumberuf nicht mehr ausüben, nachdem er so viele Jahre studiert und sich dabei spezialisiert hatte.
"Ich bekam eine Depression", sagt Garcia. Wie viele Kubaner, die in Brasilien blieben, musste er bei Null anfangen. Er verkaufte Essen auf der Straße, arbeitete als Maurer. In den vergangenen sechs Monaten war er in einer Apotheke angestellt. Dennoch nannten ihn die Brasilianer stets "Doktor" und holten sich medizinische Ratschläge bei ihm.
Brasilianische Ärzte haben Vorrang
Garcia will die Hoffnung nicht aufgeben. Aber er bezweifelt, dass er noch als Arzt gegen die Corona-Pandemie kämpfen wird. Vergangene Woche startete die brasilianische Regierung einen öffentlichen Aufruf, wonach in dieser Notlage 5800 Ärzte gebraucht würden. Das Auswahlverfahren in mehreren Runden läuft so, dass in jeder Runde so viele freie Stellen wie möglich mit erwünschten Ärzten besetzt werden. In den darauffolgenden Runden kämpfen die verbliebenen Kandidaten um die übriggebliebenen Plätze. Kubanische Ärzte können sich erst in einer dritten Bewerbungsrunde anmelden, die laut einer E-Mail des Gesundheitsministeriums im April anstehen dürfte.
Am zweiten Tag nach dem Aufruf hatten sich bereits mehr als 5200 Kandidaten gemeldet, heißt es in einer Pressemitteilung des Gesundheitsministeriums. "Am Ende ist es immer so, dass die Kubaner aus diesen Dingen rausgehalten werden" sagt Garcia.
In einem zerfallenden Gesundheitssystem
Garcia sorgt sich nicht nur darum, dass die brasilianische Regierung einige ihrer erfahrensten Fachkräfte ignoriert. Er fürchtet außerdem, dass sie nicht schnell genug handelt. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sind mehr als 2200 Brasilianer positiv auf das Coronavirus getestet worden, 47 Patienten starben. Die Zahl der durch COVID-19 verursachten Todesfälle habe sich alle zwei Tage verdoppelt.
Präsident Bolsonaro hat das tödliche Virus mehrfach als "kleine Grippe" heruntergespielt, die von den Medien über Gebühr aufgeblasen würde. Doch Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta warnte, dass brasilianische Gesundheitssystem könne bis Ende April zusammenbrechen.
Garcia macht sich vor allem über die Menschen in den ländlichen Gegenden Sorgen, in denen er während des "Mais Medicos"-Programms gearbeitet hatte. Das Virus verbreitet sich zwar in dicht besiedelten Städten schneller. Doch wenn erst ärmere, abgelegene Regionen betroffen sind, dürften die einfachsten Ressourcen fehlen, um die Patienten zu behandeln.
Während seiner Arbeit als Arzt in Nordbrasilien hatte Garcia heruntergekommene Krankenhäuser ohne angemessene Ausstattung oder Medizin gesehen. Die Hygiene war nicht ausreichend. Manchmal musste er ein Boot nehmen, um Patienten an besonders entfernten Orten zu erreichen.
Umso wichtiger seien Ärzte mit großer Erfahrung im Umgang mit Epidemien, meint Garcia - Mediziner, die dabei mit wenigen Mitteln auskommen mussten. Deshalb würde er gerne aufbrechen und dort arbeiten, wo er in Brasilien besonders gebraucht wird. Er hat keine Angst, sich selbst mit dem Coronavirus anzustecken.
"Wenn du stirbst, stirbst du. Aber immerhin stirbst du bei dem, was du gerne tust", sagt Garcia.