Coronavirus: Düstere Aussichten in Gaza
19. März 2020Es gibt auf dieser Welt Orte, die aus eigener Kraft kaum eine Chance haben, auf den globalen Ausbruch des Coronavirus angemessen zu reagieren und Menschen vor katastrophalen Folgen zu schützen. Zu diesen Orten zählt der Gazastreifen.
Die palästinensische Küstenenklave am Ufer des östlichen Mittelmeers, kontrolliert von der radikal-islamischen Hamas, ist weltweit eines der dichtest bevölkerten Gebiete. Das Virus könnte sich dort besonders schnell übertragen. Israel blockiert den Gazastreifen, für die Einfuhr von Gütern gibt es strikte Auflagen. UN-Beamte sprechen mit Blick auf Armut, schlecht ausgestattete Krankenhäuser und die schwierige politische Lage von einer Krise, die auf ihren eigenen Ausbruch warte.
Zwar haben die Gesundheitsbehörden im Gazastreifen offiziell noch keinen Fall des Coronavirus "Sars-CoV-2" gemeldet. Beobachter gehen allerdings davon aus, dass dies nur eine Frage der Zeit ist, schließlich sind auch die Nachbarn Ägypten sowie das infrastrukturell stark fortgeschrittene Israel bereits deutlich betroffen und haben nach anfänglichem Zögern inzwischen teils drastische Maßnahmen ergriffen.
"Wir sind ernsthaft besorgt, da die allgemeine Gesundheitsstruktur in Gaza aufgrund der wiederholten Konflikte und wegen der fast 14-jährigen Blockade ohnehin bereits schwach ist", sagt Tamara Alrifai, die Sprecherin des Hilfswerks der Vereinten Nationen (UNRWA), im Gespräch mit der DW.
Drohende Krise
Die wiederkehrenden militärischen Konflikte mit Israel haben im Zusammenspiel mit der Blockade dazu geführt, dass die lokalen Gesundheitsbehörden auf einen Ausbruch größeren Ausmaßes denkbar schlecht vorbereitet sind: Der Gazastreifen benötigt laut UNRWA vor allem dringend Desinfektionsmittel und Schutzausrüstung für das medizinische Personal sowie lebensrettende Medikamente.
Aufgabe der UN-Organisation ist es, den palästinensischen Flüchtlingen Hilfe und Schutz zu bieten. Doch die von der Trump-Administration in den USA angestoßenen Mittelkürzungen haben sie in eine schwierige Lage gebracht.
Nun hat die Organisation angesichts der globalen Zuspitzung der Corona-Krise und in Befürchtung eines Ausbruchs in Gaza 14 Millionen Dollar (12,8 Millionen Euro) für Notfallvorsorge und Reaktionsmaßnahmen in dem Gebiet beantragt.
"Das ist nicht viel - angesichts der möglichen humanitären Katastrophe", sagt UNRWA-Sprecherin Alrifai. "Wir hoffen, dass es keinen Ausbruch in Gaza geben wird oder dass er sich abwenden lässt. Aber uns ist natürlich ebenfalls klar, dass die Blockade des Gebiets den Virus nicht daran hindert, nach Gaza zu gelangen."
"Verantwortung Israels"
Im Zusammenhang mit einem möglichen Ausbruch der Krise schauen einige Beobachter auch Richtung Israel. Für sie liegt die Verantwortung für den Umgang mit einem möglichen Ausbruch des Coronavirus aufgrund des völkerrechtlichen Status der israelischen Behörden als "Besatzungsmacht" bei der Regierung in Jerusalem. Allerdings ist der Begriff "Besatzungsmacht" politisch hoch umstritten: Zwar findet er sich in entsprechenden Resolutionen der UN. Doch die israelische Regierung erklärt ihn für unzutreffend. Israel ist im Gazastreifen seit Jahren weder militärisch noch durch Siedler präsent. Allerdings riegelt es den Gazastreifen weiterhin ab, ebenso wie der Nachbar Ägypten.
Vor diesem Hintergrund rief die Völker- und Menschenrechtsanwältin Shannon Maree Torrens Anfang dieser Woche in der in Tel Aviv erscheinenden Zeitung "Haaretz" die Regierung in Israel - wie auch die örtlichen Behörden und die internationale Gemeinschaft - dazu auf, Verantwortung für "eine der am meisten gefährdeten Bevölkerungen der Welt" zu übernehmen.
Tue Israel dies nicht, müsse das benachbarte Ägypten eingreifen, fordert Torrens im Gespräch mit der DW. So müsse die Regierung in Kairo etwa den Grenzübertritt für diejenigen ermöglichen, die eine intensive medizinische Betreuung benötigen. Allerdings sind die ägyptischen Behörden vollauf mit dem Ausbruch des Virus in ihrem eigenen Land beschäftigt, den sie anfangs eher kleingeredet hatten.
"Im Moment liegt die Verantwortung für die Situation im Gazastreifen aber in erster Linie in Israels Händen", meint Torrens. "Israel muss dabei helfen, dass die Menschen im Gazastreifen getestet werden und sich mit der palästinensischen Führung abstimmen, um betroffene Personen medizinisch zu unterstützen." Die palästinensische Führung residiert jedoch im Westjordanland und steht in Konkurrenz zur Hamas im Gazastreifen, die ihrerseits Israel als Feind betrachtet.
Israelisch-palästinensische Zusammenarbeit
Tatsächlich werden auf israelischer Seite bereits einige Vorsorgemaßnahmen getroffen. Der zum Verteidigungsministerium gehörende Koordinator für Regierungsaktivitäten in den palästinensischen Autonomiegebieten (COGAT) hat bis zur Fertigstellung dieses Artikels zwar nicht auf eine Bitte der DW um präzise Auskünfte zu diesem Thema reagiert. Allerdings erklärte der COGAT-Leiter für zivile Angelegenheiten, Oberst Sharon Biton, bereits in der vergangenen Woche, sein Büro und die Palästinensische Autonomiebehörde arbeiteten "eng und effektiv zusammen, um den Ausbruch des Virus zu bewältigen", auch in Gaza. Das Coronavirus kenne keine geographischen Grenzen, merkte Biton an.
Bislang haben die israelischen Behörden 200 Corona-Testkits für Gaza gespendet. Für den Fall eines Ausbruchs des Virus haben sie angekündigt, die Menge zu erhöhen. Die Hamas hat derweil Schulen, Moscheen sowie ihre Landgrenze zu Ägypten geschlossen. Die bange Frage lautet: Wird das reichen?
Beobachter sind sich einig: Ein Corona-Ausbruch größeren Ausmaßes wäre ein Worst-Case-Szenario für die rund 1,8 Millionen Menschen im Gazastreifen. Eine schwere humanitäre Krise wäre ohne internationale Hilfe kaum abwendbar.