Erholung nach tieferer Corona-Delle in Sicht
16. Dezember 2020Die verschärften Corona-Einschränkungen sind ein Dämpfer für die wirtschaftliche Erholung in Deutschland. Darin sind sich mehrere Forschungsinstitute in ihren am Mittwoch veröffentlichten Konjunkturprognosen zwar einig. Unterschiedliche Ansichten gibt es aber zu der Frage, ob es nun im kommenden Jahr schneller oder langsamer aufwärts gehen könnte als bisher gedacht.
"Wegen des neuerlichen Shutdowns bei uns und in anderen Ländern verschiebt sich die Erholung nach hinten. Erst Ende 2021 wird die Produktion von Waren und Dienstleitungen ihr Vorkrisenniveau erreichen", sagte Timo Wollmershäuser vom Münchner Ifo-Institut am Mittwoch. "Das laufende Jahr dürfte als Folge des Shutdowns mit einem abermaligen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts enden."
Gleichzeitig hat das Institut seine Konjunkturprognose für das kommende Jahr gesenkt. Statt von 5,1 Prozent gehen die Forscher nun von einem Wirtschaftswachstum von 4,2 Prozent aus. Erst Ende 2021 werde die Krise wirtschaftlich überwunden sein. Ihre Vorhersage für das Jahr 2022 hoben die Forscher von 1,7 Prozent auf 2,5 Prozent an.
Dem Online-Handel sei Dank
Für ihre Prognose nahmen die Forscher an, dass die seit November geltenden Infektionsschutzmaßnahmen unverändert bis März 2021 in Kraft bleiben. Ab April werden dann die bestehenden Infektionsschutzmaßnahmen allmählich gelockert und bis zum Sommer vollständig aufgehoben. Nicht berücksichtigt ist dabei allerdings die kürzlich beschlossene Schließung von Teilen des Einzelhandels.
Allerdings werde die neuerliche Schließung des stationären Nichtlebensmittel-Einzelhandels den Konjunktureinbruch am Ende dieses Jahres verstärken, weil der Dezember der gewöhnlich umsatzstärkste Monat im Einzelhandel ist, in dem knapp zehn Prozent des Jahresumsatzes erwirtschaftet werden. Es sei aber damit zu rechnen, dass der Online-Handel einen bedeutenden Teil der Umsatzausfälle kompensieren dürfte.
Was das nächste Jahr betrifft, so blickt das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen (RWI) etwas zuversichtlicher in die Zukunft als die Münchner Kollegen: Für 2021 prognostiziert das RWI statt 4,5 nunmehr 4,9 Prozent Wirtschaftswachstum. Die Ökonomen des Leibniz-Instituts in Halle (IWH) gehen für 2021 von 4,4 Prozent Wachstum aus und rechnen damit, dass "die Erholung ab dem Frühjahr langsam wieder in Gang kommt". In Ostdeutschland fällt demnach sowohl der Rückgang als auch der Wiederanstieg der Wirtschaftsleistung deutlich geringer aus.
Das ifo-Institut bezifferte die wirtschaftlichen Folgekosten der seit November geltenden verschärften Einschränkungen für die deutsche Wirtschaft auf knapp 40 Milliarden Euro verlorene Wertschöpfung. Doch ohne Verschärfung in diesem Winter wären nach Einschätzung der Münchner Ökonomen die Folgekosten in der Zukunft noch höher. Einig sind sich die Institute auch darin, dass die derzeitige Schließung großer Teile des Einzelhandels weniger gravierende Folgen haben wird als der erste Shutdown im vergangenen Frühjahr. Ein Hauptgrund: Im Unterschied zur ersten Corona-Welle läuft die Industrieproduktion weiter.
Kräftiger Aufschwung nach Rekordeinbruch
Auch das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) rechnet im kommenden Jahr mit einem kräftigen Aufschwung in Deutschland. Das Bruttoinlandsprodukt werde um voraussichtlich 4,9 Prozent wachsen, geht aus der am Mittwoch veröffentlichten Prognose des IMK hervor. Im zu Ende gehenden Jahr dürfte es zu einem Corona-bedingten Rekordeinbruch von 5,0 Prozent kommen.
"Die wirtschaftliche Erholung wird durch die zweite Infektionswelle und die notwendigen Gegenmaßnahmen unterbrochen. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben", sagte der wissenschaftliche IMK-Direktor Sebastian Dullien. "Die wirtschaftliche Grunddynamik ist stark genug, und die Stützungspolitik von Regierung und Europäischer Zentralbank wirkt."
Tiefe Rezession drohe nicht
Da der seit diesem Mittwoch geltende harte Lockdown Gastronomie, Freizeiteinrichtungen, Reisen und Teile des Handels erneut lahmlegt, sieht das Institut das Risiko einer "Mini-Rezession" über den Jahreswechsel - also zweier aufeinanderfolgender Quartale mit leicht schrumpfender Wirtschaftsleistung.
Dass aus diesem Dämpfer keine erneute tiefe Rezession werde, liege vor allem an der recht stabilen Entwicklung der Industrie. Dort sei mit einem erneuten Zusammenbruch von Lieferketten wie bei dem Lockdown im Frühjahr nicht zu rechnen. Hinzu komme die wirksame staatliche Stabilisierung - etwa durch Kurzarbeit. Schließlich dürfte zumindest der Internethandel weiter expandieren, mit zunehmender Verbreitung von Impfschutz auch weitere Dienstleister.
Statistiker beobachten stabile Aufwärtsentwicklung
Auch das Statistische Bundesamt in Wiesbaden sieht bisher keine Anzeichen für ein abruptes Ende der wirtschaftlichen Erholung. "Zumindest im Oktober und teilweise auch schon im November war gesamtwirtschaftlich weiterhin eine stabile Aufwärtsentwicklung zu beobachten", fassten die Wiesbadener Statistiker die jüngsten Konjunkturdaten zusammen. Dass dies nun abrupt zum Erliegen komme, habe die Behörde "noch nicht wahrgenommen", sagte Peter Schmidt, Leiter der Abteilung Unternehmen, Verdienste, Verkehr.
Dass es im kommenden Jahr wieder aufwärts gehen dürfte, zeigt auch der von vielen großen Unternehmen genau beobachtete internationale Einkaufsmanagerindex des Forschungsunternehmens IHS Markit. Dieser ist im Vergleich zum Vormonat um 4,5 Punkte auf 49,8 Zähler gestiegen, wie Markit in London mitteilte. Nicht nur die Gesamtstimmung besserte sich zum Jahresende. Sowohl in der Industrie als auch unter Dienstleistern war die Konjunkturlaune besser.
dk/hb (rtr, dpa, afp, Ifo-Institut)