Corona trifft die Lieferketten: Wie geht es weiter?
24. Dezember 2021Vor allem die erste Hälfte des Jahres 2020 war geprägt von pandemiebedingten Lockdowns und gerissenen Lieferketten. Mit den im Frühjahr angelaufenen Impfkampagnen keimte auch die Hoffnung auf, die Weltwirtschaft könnte sich rasch erholen. Und in der Tat zog das globale Wachstum an, um dann aber bald wieder an Fahrt zu verlieren. Zum einen stieg die Nachfrage nach bestimmten Produkten kräftig an, zum anderen kam das Angebot nicht hinterher, weil in der Schifffahrt Chaos herrschte und globale Lieferketten gestört waren.
Viele Menschen konnten ihr Geld nicht mehr wie bisher ausgeben. Da Reisen beschränkt waren, Restaurant- und Kinobesuchen ebenfalls, kauften sie massenweise Waren und überraschten damit die von der Rezession gebeutelten Unternehmen. Dieser beispiellose Nachfrageschub fiel mit erneuten Schließungen einiger der größten chinesischen Häfen und Exportdrehkreuze in Südostasien zusammen, wodurch sich das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage noch verschärfte. Auf der ganzen Welt kämpften Verbraucher und Unternehmen mit Engpässen bei vielen Produkten: von Fahrrädern über Autos, Spielzeug, Smartphones bis hin zu Stahlbeton und Computerchips.
"Die stark gestiegene Nachfrage ist an die physischen Grenzen der Häfen gestoßen", erklärt Coleman Nee, leitender Wirtschaftswissenschaftler bei der Welthandelsorganisation (WTO), gegenüber DW. Selbst der Transport per Luftfracht, wie er bei Halbleitern oft üblich ist, sei schwierig gewesen, da aufgrund der Reisebeschränkungen weniger Flugzeuge unterwegs gewesen seien. Fracht wird oft in normalen Passagiermaschinen zugeladen.
Preise für Container stark gestiegen
Besonders in den USA bestellten viele Verbraucher mehr Waren und die Unternehmen versuchen ihre Lagerbestände wieder aufzustocken. Große Staus in den US-amerikanischen und europäischen Häfen führten jedoch dazu, dass die Schiffscontainer einfach stecken blieben und an anderer Stelle dann fehlten. Zum Teil dauerte es Wochen, bis gefüllte Container entladen werden konnten, wodurch es zu wenig leere Container gab. Noch im November warteten rund 400 bis 500 Containerschiffe darauf, an Häfen abgeladen zu werden, darunter etwa 70 allein in Los Angeles.
Der Mangel an Containern ließ die Containerpreise auf ein Rekordhöhen steigen. Auch wenn die Transportkosten in den letzten Monaten wieder gesunken sind, sind sie doch nach wie vor exorbitant hoch: Laut dem Marktforschungsunternehmen Drewry Shipping haben sich die Containerpreise im Vergleich zum Vorjahr etwa vervierfacht.
"Es ist wie auf der Autobahn, die plötzlich von drei auf zwei Spuren reduziert wird. Dann wird der gesamte Verkehr langsamer und staut sich, und es dauert sehr lange, bis er wieder normal fließt", erläutert Jan Hoffman, Leiter des Bereichs Handelslogistik bei der UNCTAD die Situation. Im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie verbringe nun ein typischer Container fast 20 Prozent mehr Zeit im Transit, sagte er der DW. "Man braucht also 20 Prozent mehr Container und die haben wir nicht."
Nach Angaben der UNCTAD hat der Containermangel die Verbraucherpreise um 1,5 Prozentpunkte in die Höhe getrieben. Darunter leiden kleinere, vom Handel abhängige Volkswirtschaften besonders. "Es gibt Familien und Gemeinden, deren Realeinkommen stark gesunken sind durch die Lieferkettenprobleme," soHoffmann.
Chipmangel trifft Autoindustrie hart
Mit am stärksten betroffen ist die Autoindustrie. Der Mangel an Computerchips, die zu einem wichtigen Bestandteil moderner Autos mit Touchscreens, Navigationssystemen und anderen Autoteilen geworden sind, hat viele Autobauer gezwungen, einige ihrer Produktionsstätten vorübergehend stillzulegen.
Dabei sind nicht nur Transportprobleme Schuld am Chipmangel. Zusätzlich hat die gestiegene Nachfrage nach elektronischen Gütern wie Laptops, Smartphones und Spielkonsolen dazu geführt, dass die Halbleiterhersteller weniger Chips an die Automobilindustrie geliefert haben.
Die Fahrzeugproduktion ist in der Eurozone in den ersten neun Monaten des Jahres um mehr als ein Viertel, in Deutschland sogar um 30 Prozent, gegenüber dem gleichen Zeitraum des Jahres 2019 zurückgegangen. So haben die geringere Verfügbarkeit von Neuwagen und niedrige Lagerbestände dazu geführt, dass die weltweiten Autoverkäufe zwischen April und September dieses Jahres um 20 Prozent zurückgegangen seien, nach Angaben der OECD.
Nee von der WTO meint, dass die Probleme der Autobranche durch mehr Halbleiterexporte der führenden Hersteller in Asien im nächsten Jahr gemildert werden könnten. "Die Menschen haben bereits ihre Großbildfernseher gekauft, sie haben ihre Computer aufgerüstet. Ich denke, dass wieder mehr Chips für die Automobilindustrie zur Verfügung stehen werden," glaubt Nee. Dafür gebe es bereits erste Hinweise.
Ariane Curtis, Wirtschaftsexpertin des Analysehauses Capital Economics, meint zudem, dass die Automobilindustrie auch von der Aufhebung der COVID-bezogenen Beschränkungen in wichtigen Exportländern wie Vietnam und Malaysia profitieren dürfte. "Trotzdem führt das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei Halbleitern weiterhin zu einer Knappheit," so Curtis. "Die Bestellungen von Halbleitern übersteigen weiterhin die Exporte in Taiwan, was zu einem hohen Auftragsbestand führt, der abgearbeitet werden muss", wie Curtis in einer Mitteilung an Kunden sagt. Zwar würde mehr in die Halbleiterproduktion investiert, die Produktion nehme aber viel Zeit in Anspruch, so dass die Lieferengpässe noch sechs bis zwölf Monate andauern könnten.
Wie lange werden Engpässe in der Lieferkette noch dauern?
Die Krise in den Lieferketten hat sich als hartnäckiger erwiesen als von den meisten Experten vorhergesagt. Es scheint unwahrscheinlich, dass die Engpässe in absehbarer Zeit verschwinden werden. Der Ausbau der Seetransportkapazitäten braucht ebenso Zeit wie die Bemühungen, Lieferketten widerstandsfähiger zu machen, beispielsweise durch Verlegung von Betrieben oder Lieferanten näher an die Endmärkte.
"Wann sich die Probleme in den Lieferketten auflösen, ist nicht genau vorauszusagen", urteilte Angel Talavera von Oxford Economics in einer Mitteilung. "Aber wir denken, dass eine Verbesserung der Gesundheitssituation, die Ausweitung der Kapazitäten und eine globale Umstellung von Waren auf Dienstleistungen den Druck auf die Lieferketten im nächsten Jahr verringern dürften", so Angel Talavera von Oxford Economics in einer Mitteilung. Es sei denn, das mutierende Coronavirus würde die Pandemie-Situation wieder verschärfen.