Corona-Tests in Bayern bald für alle
28. Juni 2020Als erstes deutsches Bundesland will Bayern Corona-Tests für jedermann einführen - unabhängig davon, ob er oder sie Symptome hat oder einem besonderen Risiko ausgesetzt ist. Gesundheitsministerin Melanie Huml kündigte eine "Corona-Testoffensive" an. "Allen Bürgerinnen und Bürgern Bayerns wird deshalb zeitnah angeboten, sich bei einem niedergelassenen Vertragsarzt auch ohne Symptome testen zu lassen."
Ein besonderer Fokus soll auf stark gefährdeten Personengruppen in Pflege- und Altenheimen, in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen, in der ambulanten Eingliederungshilfe und in Krankenhäusern liegen. Gleiches gelte für Tests bei Lehrkräften, Erziehern und Betreuungsrichtern. Bereits in der kommenden Woche soll ein Testplan ausgearbeitet sein. Die Kosten will der Freistaat übernehmen, soweit sie nicht etwa von der Krankenkasse getragen werden.
Fokus auf Schlachthöfen und Fleischfabriken
Nach den gehäuften Infektionen beim Fleischverarbeiter Tönnies in Nordrhein-Westfalen soll auch in Bayern ein Schwerpunkt der Tests bei Schlachthöfen und Fleischverarbeitungsbetrieben liegen. Ziel sei es, "größerem Ausbruchsgeschehen wie in Gütersloh vorzubeugen". Getestet würden in Kürze insgesamt 33 weitere ausgewählte Fleischbetriebe. Darunter neun Schlachthöfe, zwölf Zerlegebetriebe sowie zwölf Betriebe, die vor allem Fleischerzeugnisse und Wurstwaren herstellen. "Dabei wollen wir auch herausfinden, ob die hohe körperliche Belastung oder die Arbeit bei ungünstigen Klimabedingungen mögliche weitere Risikofaktoren für eine Corona-Infektion darstellen", sagte Huml.
Bei den ersten umfassenden Reihentestungen der Mitarbeiter an 51 Schlachthöfen in Bayern waren laut Landesregierung insgesamt 110 infizierte Personen ermittelt worden. Insgesamt wurden 6407 Menschen auf SARS-CoV-2 untersucht. Darunter waren 100 positiv getestete Mitarbeiter eines Schlachthofs aus dem niederbayerischen Landkreis Straubing-Bogen, in dem es im Mai einen Corona-Ausbruch gegeben hatte.
Huml betonte: "Die Ergebnisse zeigen, dass die Reihentestungen ein richtiger Schritt waren." So sei es möglich gewesen, unerkannte erkrankte Personen zu entdecken und die Entstehung von Infektionsketten zu verhindern. Huml: "Aufgrund der Testergebnisse bestand keine fachliche Notwendigkeit für einen erneuten 'Lockdown' für die Allgemeinbevölkerung in einer der betroffenen Regionen."
Spahn reagiert zurückhaltend
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte angesichts der bayerischen Offensive: "Umfangreiches Testen ist sinnvoll, insbesondere um regionale Ausbrüche schnell einzudämmen." Der CDU-Politiker warnte aber vor zu hohen Erwartungen und sagte: "Ein Test ist immer nur eine Momentaufnahme. Er darf nicht in falscher Sicherheit wiegen."
Die CDU-Gesundheitsexpertin Karin Maag begegnet dem Vorstoß Bayerns mit Skepsis. Sie bezweifelt vor allem die Sinnhaftigkeit der Tests. "Wenn ich ganz frisch infiziert bin, schlägt der Test noch nicht an. Unmittelbar nach dem Test weiß ich, ob ich positiv beziehungsweise negativ getestet wurde, ich kann mich aber in den nächsten Tagen neu anstecken", sagte Maag der "Augsburger Allgemeinen". Aus ihrer Sicht sei es darum sinnvoller, weiter gezielt zu testen, "wo Menschen leben oder arbeiten, die besonders geschützt werden müssen".
Lauterbach fordert preiswertere Tests
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert eine zielgenaue Strategie bei der Ausweitung der Tests. Es sei grundsätzlich richtig, dass Bayern eine große Test-Offensive starte, sagte Lauterbach den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Allerdings müssen wir dafür sorgen, dass die richtigen Leute getestet und die Tests selbst billiger werden." Im Herbst seien Massentests nötig. "Neue Studien deuten daraufhin, dass es stärker auf die Häufigkeit der Tests ankommt, in welchen Abständen ich Risikopersonen regelmäßig teste."
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatte erst am Samstag vor einer zweiten Corona-Welle gewarnt. "Wir müssen wirklich aufpassen", sagte er in einer Videobotschaft. "Wir dürfen nicht riskieren, dass wir sogar noch schneller als befürchtet, vor dem Herbst, eine zweite Welle bekommen, eine schleichende Welle, und überall regionale Lockdowns bekommen." In der vergangenen Woche sei "unglaublich viel passiert", sagte er mit Blick auf neue Coronavirus-Ausbrüche im Kreis Gütersloh, in Niedersachsen oder Berlin. Darum sei es unangebracht, darüber zu streiten, "ob diese Maßnahmen zu viel oder zu wenig sind", sondern man müsse "handeln und entscheiden".
Test-Offensive in sensiblen Bereichen
Im Kampf gegen das Virus sind inzwischen in ganz Deutschland Tests auch ohne akute Krankheitsanzeichen auf breiter Front möglich - besonders in sensiblen Bereichen wie Kliniken, Pflegeheimen, Schulen und Kitas. Bundesgesundheitsminister Spahn hatte vor knapp drei Wochen eine Verordnung verkündet, die eine Reihe zusätzlicher Testmöglichkeiten auf Kassenkosten festlegt. Bis dahin gab es Tests auf Kassenkosten in der Regel nur bei Infektionsverdacht - also wenn man bereits an Symptomen wie Fieber, Husten, Halsschmerzen oder Geruchs- und Geschmacksstörungen litt.
In den Kreisen Gütersloh und Warendorf gelten wegen des Corona-Ausbruchs in dem Tönnies-Werk mit mehr als 1500 infizierten Mitarbeitern seit Mittwoch wieder verschärfte Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Alle Bürger können sich freiwillig testen lassen. Zum Start der Schulferien in Nordrhein-Westfalen nehmen viele Bürger das Angebot an, damit sie eine Bescheinigung bekommen, die ihnen Urlaub in anderen Bundesländern erlaubt. Da die verschärften Auflagen bis zum 30. Juni befristet sind, muss spätestens am Dienstag eine Entscheidung über Auslaufen oder Verlängerung fallen.
Nach den Vorfällen bei Tönnies muss die Fleischindustrie in Nordrhein-Westfalen künftig Beschäftigte auf eigene Kosten mindestens zwei Mal pro Woche testen lassen. Die neue Vorgabe gilt ab 1. Juli für Betriebe mit mehr als 100 Beschäftigten, wie das Landesministerium für Arbeit und Gesundheit mitteilte.
kle/uh (dpa, br.de)