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PolitikEuropa

Corona: Tanzen für die Forschung

21. März 2021

Totenstille in den meisten Konzerthallen, Theatern und Clubs. Alle geschlossen wegen Corona. In den Niederlanden sucht man nach einem Ausweg - mit einer Reihe von Großversuchen unter Live-Bedingungen.

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Niederlande | Back to Life Festival in Biddinghuizen
Bild: Lucia Schulten/DW

Housebeats dröhnen über das Gelände. Die mehr als tausend Festivalbesucher tanzen gemeinsam. Viele haben engen Kontakt, ohne eine Maske zu tragen, trinken gemeinsam mit Freunden ein Bier. Das sind keine Szenen aus Vor-Corona-Zeiten, sondern von diesem Samstag aus Biddinghuizen in den Niederlanden. Und zwar mit offizieller Genehmigung der Regierung.

Das Dance-Festival ist ein Probelauf: Forscher wollen herausfinden, ob und wie auch große Veranstaltungen trotz Corona möglich sind. In Biddinghuizen heißt das für die Festivalbesucher: Am Eingang wird die Temperatur genommen, sie müssen ein Ticket und einen negativen Corona-Test vorzeigen. Jeder bekommt einen Sensor um den Hals gehängt, der permanent die Bewegung übers Festivalgelände aufzeichnet. Und die Party kann beginnen.

Besucher brechen in Jubel aus

Nach der Einlasskontrolle beim Back-to-Live-Festival fallen sich viele der Besucher erst einmal aus lauter Vorfreude in die Arme. Einige brechen in Jubel aus, andere singen. Die Stimmung ist fröhlich an diesem Samstagvormittag in Biddinghuizen, einem kleinen Ort mit bekanntem Festivalgelände.

Beschwingt machen sich auch Nienke und Lara auf den Weg zu einer der Bühnen: "Wir freuen uns riesig, endlich da zu sein." Beide sind zum ersten Mal seit einem Jahr auf so einem Event. Die 22-Jährigen waren vor der Corona-Krise fleißige Festivalbesucherinnen und haben jetzt für "Back to Live" zwei der begehrten 1500 Tickets ergattert.

Reinier Zonneveld
DJ Zonneveld: "Es ist großartig"Bild: Lucia Schulten/DW

Auch der DJ Reinier Zonneveld kann sein Glück nach einem Jahr wieder vor Publikum aufzutreten fast nicht fassen: "Es ist schon großartig, dass ich hier auflegen darf. Ich kann es kaum erwarten. Als sie mich gefragt haben, konnte ich kaum glauben, dass das wirklich passiert."

Es ist ein Experiment

Dieses Festival ist Teil der Fieldlab-Events-Versuchsreihe. Gemeinsam mit der Regierung sucht der niederländische Veranstaltungssektor Wege, Konzerte, Theateraufführungen und Sportereignisse in Zeiten der Corona-Krise zu ermöglichen. Es sei bereits die siebte Veranstaltung, berichtet Programm-Manager Pieter Lubberts stolz. Darunter waren zwei Fußballspiele, ein Konzert und eine Konferenz.

Vor zwei Wochen bei der letzten Tanzveranstaltung in einer geschlossenen Location, seien die Besucher in sechs Gruppen eingeteilt worden. Jede Gruppe habe eigene Vorgaben gehabt, von der Pflicht, eine Maske zu tragen, bis zur absoluten Bewegungsfreiheit. Die Forscher haben dabei zwischen den Gruppen Unterschiede in Dynamik und Verhalten beobachtet. Diese würden auch mit anderen Veranstaltungen verglichen, sagt Programm-Manager Lubberts. In Biddinghuizen gib es nur die Vorgabe: Maske auf und Sensor tragen. Die erste Regel wird von vielen Test-Tänzern allerdings bald vergessen: Schnell fallen viele Masken.

Andreas Voss
Forscher Voss: "Ein wenig nervös"Bild: Lucia Schulten/DW

Eine Einteilung der Probanden in Gruppen gibt es diesmal auch nicht: "Alle 1500 Teilnehmer können theoretisch miteinander in Kontakt kommen, aber wir haben bei den anderen Veranstaltungen gesehen, dass sie normalerweise in einer kleinen Gruppe bleiben", sagt Andreas Voss, Professor für Infektionskontrolle an der Radboud-Universität in Nijmegen und beteiligt an den Versuchen. Ein bisschen nervöser als sonst sei er bei diesem Event aber schon, gibt Voss zu.

Vorheriger Corona-Test als Vorsichtsmaßnahme

"Alle Besucher haben einen Coronatest 48 Stunden vor dem Festival gemacht. Nur mit einem negativen Ergebnis darf man aufs Gelände. Das ist die Hauptvorsichtsmaßnahme", sagt Programm-Manager Lubberts.

Fünf Tage nach jeder Veranstaltung werden alle Besucher wieder getestet. Von den ersten sechs Events liegen die Testergebnisse also bereits vor: "Von den mehr als sechstausend Personen, die auf den Veranstaltungen waren, wurden nur fünf währenddessen oder in deren zeitlicher Nähe mit dem Virus angesteckt", sagt Mikrobiologe Voss.

Für die finale Datenauswertung, auf deren Grundlage man mit den Behörden sprechen wolle, sei es noch zu früh, aber die ersten Resultate seien laut Pieter Lubberts "recht positiv".

Tanzen ohne Abstand und Maske

Dass sie Teil eines Experimentes sind, merkt man den Besuchern aber nicht an. Tessa und Suban sind auf einen Betonpfeiler geklettert und tanzen von dort mit Blick auf die Menge. So wie viele andere Besucher haben sie ihre Masken nicht auf. Suban findet das aber nicht schlimm: "Wir wurden alle vorher getestet, also sind hier alle negativ. Das ist beruhigend."

Festivalbesucherinnen Tessa und Suban
Festivalbesucherinnen Tessa und Suban: Tanzen ohne MaskeBild: Lucia Schulten/DW

"Während der Party werden die Leute unvorsichtiger, sie nehmen ihre Masken ab. Wahrscheinlich haben sie etwas getrunken und machen Party wie früher", sagt Forscher Voss. Das Verhalten der Festivalbesucher deckt sich also mit den Erfahrungen des Wissenschaftlers bei den letzten Veranstaltungen. Man werde nicht eingreifen und wegen der vorangegangenen Tests sei die Ansteckungsgefahr ohnehin "extrem niedrig".

Hoffnung für den Sommer

Der 25-jährige Wesley hatte sich bereits im Januar mit Corona angesteckt und war zur gleichen Zeit krank wie die meisten seiner Freunde. Er hofft zwar, dass die Situation bald wieder normal sei, denkt aber, dass es noch dauert. Besonders bedauert Wesley, dass den 20-Jährigen die Chance genommen wird, sich "auszuprobieren und jung" zu sein.

Hoffnung für alte und junge Festivalfans verbreitet Pieter Lubberts: "Wir denken, dass Sommerfestivals in den kommenden Monaten stattfinden werden. Wie groß und mit wie vielen Leuten, das ist die große Frage." Er hält es auch für möglich, dass es andere Veranstaltungen wie Fußballspiele und Konzerte geben wird mit mehr Besuchern als derzeit möglich.

Letztlich werden Politiker auf der Basis ihres Berichtes entscheiden müssen, sagt Wissenschaftler Voss. Ein Bericht, der sich auch auf die Daten der Bewegungsabläufe von Wesley, Nienke, Lara, Tessa und Suban stützen wird.

DW Mitarbeiterin Lucia Schulten
Lucia Schulten Korrespondentin in Brüssel