Corona: Die Wut auf TUI wächst
9. Mai 2020Seit Wochen schon haben die rund 2900 Besatzungsmitglieder an Bord des Kreuzfahrtschiffes "Mein Schiff 3" niemanden aus der Außenwelt gesehen. "Das Leben ist wirklich langweilig, wie im Gefängnis", fasst ein Betroffener die Situation für die DW zusammen. "Die Besatzung ist sichtlich unglücklich."
Diese Unzufriedenheit ist auch auf Teilen des Schiffes sichtbar. Fotos dokumentieren Löcher in der Decke und an der Rezeptionstheke - Spuren gewalttätiger Ausbrüche. Ein Video, das der DW vorliegt, zeigt einen frustrierten Mitarbeiter, der im Empfangsbereich Gegenstände umstößt. Nach eigenen Angaben musste Anfang Mai sogar die Cuxhavener Polizei eingreifen.
Mittlerweile sei die Atmosphäre an Bord wieder ruhiger geworden, sagen manche Mitarbeiter. Der Betreiber des Schiffes, TUI Cruises, hatte dafür gesorgt, dass einige aus der Crew das Schiff verlassen können. Die Nachrichtenagentur dpa meldete am Freitag, dass Busse mit rund 170 Besatzungsmitgliedern vom Terminal in Cuxhaven zum Flughafen in Hamburg unterwegs seien. Doch viele andere Besatzungsmitglieder verbleiben zunächst an Bord - und fragen sich, warum sie so lange auf dem Schiff festsitzen.
Gestrandet an Bord
Das Kreuzfahrtschiff liegt seit dem 28. April im norddeutschen Hafen Cuxhaven, zuvor hatte der Ferienkonzern alle Passagiere nach Hause geschickt. Üblicherweise sind auf der "Mein Schiff 3" rund 2500 Gäste und rund 1000 Besatzungsmitglieder. Dass sich nun 2900 Besatzungsmitglieder auf dem Schiff befinden, liegt daran, dass Crewmitglieder von anderen Schiffen der TUI-Cruises-Flotte dazukamen. Diese sollen von Deutschland aus in ihre Heimatländer geflogen werden.
Die Organisation der Rückflüge wird allerdings erschwert von Reisebeschränkungen, die viele Länder schon verhängten, bevor das Schiff in Cuxhaven ankam.
Am 30. April wurde dann eine Person an Bord positiv auf COVID-19 getestet, das Schiff so zur Quarantänezone. Der Arbeitgeber TUI Cruises sagt, er wisse nicht, wie das Virus an Bord gekommen sei. Mittlerweile sind insgesamt neun Besatzungsmitglieder positiv auf das Virus getestet worden. Ein Erkrankter wurde in die Helios-Klinik in Cuxhaven gebracht, die übrigen auf dem Schiff isoliert.
"Zusammengebrochene Kommunikation"
Das vorherrschende Gefühl an Bord ist Enttäuschung. "Ich hatte immer eine positive Meinung von TUI, aber was jetzt gerade passiert und wie sie mit dieser Situation umgegangen sind, ist wirklich schlimm", sagt ein Catering-Mitarbeiter gegenüber der DW. Ein anderer Kollege schreibt: "Sie brachten uns auf das Schiff und sagten, es würde die Rückführung erleichtern. Es war ein Fehler, so viele Besatzungsmitglieder an einem Ort unterzubringen, vor allem, wenn sie das Risiko kannten." Ein anderer Mitarbeiter berichtet von "zusammengebrochener Kommunikation": "Die meisten Informationen bekommen wir von Kollegen oder aus dem Internet."
Auch den gebotenen Abstand zu halten, ist an Bord nicht leicht. Obwohl die Isolierten auch in Gästekabinen schlafen dürfen, erhält nicht jeder ein eigenes Zimmer. Auch beim Anstehen für Mahlzeiten oder Zigaretten gibt es Gedränge. Langeweile ist ein weiteres Problem. "Es gibt kein Theater, keinen Alkohol, auch in Gruppen zusammenstehen, ist nicht erlaubt, aber nicht alle respektieren dies", erzählt ein Besatzungsmitglied. Auch das Internet sei zu langsam, beklagen einige. Kontakt mit der Heimat zu halten, ist schwierig.
Sorgen um den Lohn
Mehrere Besatzungsmitglieder sind auch um ihre Bezahlung besorgt. Da es keine Gäste mehr gibt, wurde die Besatzung gebeten, zu einem Grundgehalt zu wechseln. "Wir sind über viele Dinge frustriert, angefangen bei den Verträgen, die auf ein Grundgehalt umgestellt wurden", sagte ein Mitglied des Housekeeping-Teams.
Besatzungsmitglieder berichteten der DW, dass sie sogar weniger als das Grundgehalt erhielten. Ob sie bis zur Rückkehr der Touristen weiterhin ihr volles Gehalt, einen reduzierten Betrag oder gar nichts erhalten würden, wurde ihnen nicht mitgeteilt. "Unsere normalen Verträge sind 'eingefroren'", schreiben sie, "also Geld, das ich verdient habe, bekomme ich vielleicht im September oder im nächsten Jahr oder gar nicht."
TUI Cruises "versucht wirklich", die Mitarbeiter zu informieren
Als TUI Cruises mit den Beschwerden der Besatzung konfrontiert wird, betont das Unternehmen, dass das Personal auf einen gewerkschaftlich vereinbarten Vertrag umgestellt worden sei. Das Unternehmen gab auch an, dass die Entscheidung, die gesamte Besatzung von Cuxhaven aus nach Hause zu schicken, aufgrund globaler Reisebeschränkungen getroffen worden sei.
Der Konzern fügte hinzu, dass die sich ändernden Umstände es schwieriger machten, konkrete Informationen zu erhalten, die an die Mitarbeiter weitergegeben werden könnten. "Wir wissen, wie unbefriedigend das manchmal für die Besatzungsmitglieder ist. Das tut uns sehr leid. Wir versuchen wirklich, die Besatzung umfassend und sofort zu informieren, wenn es neue Entwicklungen gibt." Die Crew hat noch immer viele Fragen. Sie hofft, dass TUI künftig antworten kann.
Mitarbeit: Michael Altenhenne.