Corona: Prinzip Hoffnungslosigkeit vermeiden
21. Dezember 2021Rahel arbeitet in einem kleinen Humusladen am Rande der Altstadt Bonns. In dem verwinkelten Restaurant gilt wie überall sonst die 2G-Regel: Herein darf nur, wer geimpft oder genesen ist. "Wir achten da sehr genau drauf, kontrollieren auch die Personalausweise. Viele Gäste sagen ausdrücklich, wie dankbar sie sind, dass wir das so ernst nehmen", erzählt Rahel am Telefon. "Es gibt aber auch immer noch Leute, die sich in riesigen Gruppen bei uns treffen."
Es ist ein wenig, als würde sich in dem kleinen Humusladen widerspiegeln, was in ganz Deutschland gerade passiert: Es gibt die Vorsichtigen und es gibt jene, die sich dank Impfung oder überstandener Corona-Infektion wieder sicherer fühlen und zumindest ein wenig so wie vor der Pandemie leben wollen. Und vermutlich gibt es noch jede Menge Menschen, die irgendwo dazwischen liegen.
Sorgen bereitet die Corona-Pandemie in jedem Fall noch immer. Laut der Befragung der Cosmo-Studie, die regelmäßig die Stimmung der Bevölkerung seit Beginn der Pandemie misst, steigt momentan die Belastung wieder an. Mitte Dezember gaben 50,8 Prozent an, sich belastet zu fühlen. Im Oktober waren es noch 34 Prozent.
Omikron verändert die Lage
"Wir haben alle nach wie vor Schwierigkeiten zu verstehen, was gerade vor sich geht", sagt der Sozialpsychologe Ulrich Wagner. "Allerdings jetzt aus anderen Gründen als zuvor." Denn nach zwei Jahren Pandemie - und noch mitten in der vierten Welle - zeichnet sich bereits das Anrollen der nächsten, der fünften, Corona-Welle ab. Diesmal droht die noch ansteckendere Omikron-Variante des SARS-Cov-2-Virus. Und die Politik berät erneut über verschärfte Maßnahmen - unter anderem Kontaktbeschränkungen auch für Geimpfte, obwohl monatelang ein Lockdown für Geimpfte ausgeschlossen worden war.
"Wir hatten bislang immer die Kommunikation: Wenn es gelingt, genügend Menschen zu impfen, dann ist die Pandemie vorüber", sagt Wagner. "Diese Botschaft hat sich mit Omikron verändert. Jetzt ist die Information: Wenn wir dies tun, dann verhindern wir das Schlimmste. Das ist psychologisch betrachtet eine sehr ungünstige Situation." Denn damit entstünde ein Problem: Es gibt keinen erkennbaren Endpunkt der Pandemie mehr. "Niemand kann sagen, wie es weitergeht, wenn es gelingt die fünfte Welle zu brechen. Was ist im Sommer? In der sechsten, siebten, achten Welle? Da braucht es Szenarien. Wenn das auf Dauer nicht kommt, dann entsteht Hilflosigkeit."
Genervt von der Pandemie
Hilflosigkeit ist Sven Dettmann schon begegnet. Er verantwortet den Spandauer Weihnachtsmarkt in der mittelalterlichen Zitadelle im Westen Berlins. Bei uriger Atmosphäre treffen sich die Menschen hier zu Glühwein und Bratwürsten. In Gesprächen mit seinen Gästen stellt er, ähnlich wie Rahel aus Bonn, beides fest: Begeisterung, auch in der Pandemie etwas Abwechslung zu erleben, aber auch Ratlosigkeit. "Die meisten Besucher, mit denen ich sprechen konnte, sind genervt und können ein Ende der Pandemie kaum erwarten. Die größte Frustration wird aber dadurch erreicht, dass kein Ende absehbar ist beziehungsweise ob es jemals eine Normalität wie vor der Pandemie geben wird", antwortet Dettmann auf DW-Anfrage.
Was bei Frustration und Desillusion helfen könnte, ist Krisenkommunikation. Damit kennt sich Frank Roselieb aus. Der Krisenforscher leitet das Kieler Instituts für Krisenforschung und berät die schleswig-holsteinische Landesregierung bei ihren Corona-Maßnahmen. "Bei länger laufenden Krisen erwarten Menschen, dass sie immer neue Horizonte gezeigt bekommen", sagt Roselieb. Zwei Horizonte habe die Pandemie schon gehabt: den Impfstoff und dann, sobald er verfügbar war, das Impfen selbst. Nun stelle sich die Frage: Was ist der dritte Horizont? "Die Politik muss sich überlegen, wie sie Storytelling betreiben, wie sie die Geschichte weitererzählen will, worauf es hinauslaufen soll."
Das Restrisiko ansteuern
Der nächste Schritt könnte eine allgemeine Impfpflicht sein. Das könnte auch das klare Aufzeigen von konkreten Szenarien sein mit den entsprechenden Konsequenzen. Hoffnungslosigkeit dürfe man erst gar nicht aufkommen lassen, so Roselieb. "Man muss dazu kommen, dass man sagt: Ja, die Situation ist kritisch, aber sie ist nicht hoffnungslos. Die Infektionen durch das Virus werden irgendwann zu einem Restrisiko und auf das Restrisiko steuern wir zu. Es wird nie wieder alles gut werden, aber viel besser als jetzt. Also haltet noch ein bisschen durch", sagt Roselieb. Was aber nicht helfe, sei Panik.
Roselieb kritisiert deshalb einen Passus, der sich in einem Papier fand von Experten, die die Bundesregierung beraten und in dem von einer ernsten Gefahr für die kritische Infrastruktur, also etwa Feuerwehr und Polizei, durch eine rasante Ausbreitung der Omikron-Variante die Rede war. "Hier fehlen mir die Fußnoten", sagt Roselieb. "Mit Blick auf die Versorgungsengpässe in Großbritannien mag das passen. Dort sind aber auch gleich zwei Krisen zu bewältigen - neben der Corona-Pandemie auch noch die Folgen des holprigen Brexit". Diese Gefahr bestünde beim Blick nach Dänemark oder in die Niederlande mit ebenfalls hohen Omikron-Anteilen bei den Positivfällen nicht und sei, so seine Meinung, "Panikmache. Die hat da nichts zu suchen".
Bisher hat immer ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland härtere Maßnahmen mitgetragen. Laut der Cosmo-Studie lehnen aber jetzt mehr als die Hälfte der Befragten Kontaktbeschränkungen für Geimpfte ab. Sozialpsychologe Wagner rechnet allerdings damit, dass sich dieser Wert verändern könnte, wenn die Gefahr, die von Omikron ausgeht, mehr Menschen bewusst werde.
Für die Zukunft plädiert auch Wagner für konkrete Szenarien, die wieder einen Weg aus der Pandemie aufzeigen. Das sei wichtig, um die Bevölkerung auch im nächsten Pandemie-Winter mitzunehmen. "Diese Zukunftsszenarien müssen nicht so simpel sein, wie sie in der Vergangenheit waren", sagt Wagner. "Die Menschen können durchaus auch verstehen, wenn man ihnen sagt, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit bestimmte Lockerungen möglich sind. Die Strategie, so Wagner, werde komplexer sein: Impfen plus Kontaktbeschränkungen und weitere Maßnahmen. Das mache auch die Kommunikation komplexer.
Ob es die Politik schafft, die richtige Kommunikation zu finden, werde mit darüber entscheiden, ob die Bevölkerung die Maßnahmen auch im zweiten Pandemie-Winter mitträgt - statt in Hoffnungslosigkeit zu versinken.