Prinzip Hoffnung in Mexiko
14. Januar 2021Mexiko durchlebt die zweite Welle der Coronakrise wie ein Wechselbad voller Gegensätze und politischer Spannungen. Da gibt es auf der einen Seite randvolle Touristenflieger aus der ganzen Welt, die Cancún und das Karibische Meer ansteuern. Auf der anderen Seite stehen erschöpfte Ärzte und Bestattungsinstitute am Rande der Kapazitätsgrenzen. Auch von den Regierenden kommen widersprüchliche Signale: Während der Chefvirologe Hugo López Gatell ohne Mundschutz in einem Strandrestaurant beim Weihnachtsurlaub gesichtet wurde, verboten Gouverneure wie der in Puebla den Alkoholausschank, um Partys zu verhindern oder setzten die Corona-Warnampel auf rot wie Mexiko-Stadt, womit die meisten Geschäfte und Einrichtungen schließen mussten. Das wiederum brachte die Unternehmer in Rage. "Wir öffnen oder sterben", lautet die Parole der Gastronomie, die sich der Schließungsanordnung widersetzt.
"Unsere Betten sind voll"
Die Zahl der Pandemieopfer klettert derweil weiter - am Dienstag waren es laut offiziellen Angaben 14.395 Neuinfektionen und 1314 Tote in 24 Stunden. "Unsere Betten sind nahezu voll belegt mit 170 Schwerkranken und 113 künstlich beatmeten Covid-Patienten", sagte der Direktor des wichtigsten Lungenhospitals von Mexiko-Stadt (INER), Jorge Salas Hernández, den lokalen Medien.
Präsident Andrés Manuel López Obrador von der linksnational-populistischen Sammelbewegung Morena trat derweil wie jeden Morgen ohne Mundschutz gut gelaunt vor die Presse, ordnete die Notzulassung des russischen Impfstoffs Sputnik an. Bis Ende April sollen in Mexiko 15 Millionen Rentner geimpft werden. Das erklärte Ziel der Regierung: die COVID-19-Sterberate um 80 Prozent zu senken. Seiner Parteifreundin Claudia Sheinbaum, Bürgermeisterin der Hauptstadt, ist das Lachen hingegen vergangen. Den Optimismus des Präsidenten teilt Sheinbaum nicht und verweist auf die aktuelle Lage in den Krankenhäusern. Nur noch zehn Prozent der Betten seien verfügbar.
Kritik aus den Regionen
Die Pandemie habe Spannungen zwischen der Regierung und den Gouverneuren - auch denen aus der Regierungskoalition - verschärft, konstatiert der Journalist Raymundo Riva Palacio. "Für die Gouverneure sind die Toten keine Statistik, sondern haben Namen und Gesichter", schrieb er in der Zeitung "El Financiero". Auch in der Unternehmerschaft, besonders im Mittelstand, wächst der Unmut über die Coronapolitik.
"Wir haben alle Hygieneauflagen umgesetzt, die Kapazität unserer Restaurants auf 30 Prozent heruntergeschraubt, messen Fieber, verteilen Desinfektionsgel und müssen trotzdem wieder zumachen. Das informelle Gewerbe auf den Straßen geht derweil weiter, ohne dass jemand dort fehlenden Mundschutz oder das Gedränge bemängelt", klagte Raúl Ramírez, Inhaber der Restaurantkette El Bajío, gegenüber der DW. "Wir haben unser Kapital aufgezehrt, Kredite bekommen wir auch nicht mehr, aber das ist den Politikern egal. Hauptsache es sieht so aus, als würden sie etwas tun. Wir fühlen uns als Sündenböcke", so Ramírez.
Machtfaktor Pandemie
Restaurantbesitzer Ramirez geht alleine für Mexiko-Stadt von 600.000 Jobs aus, die am Gastronomiegewerbe hängen. Für die Eigentümer gebe es keinerlei Unterstützung, bemängelt er. Rund 100.000 Angestellte hätten vom Staat eine Einmalhilfe von knapp 100 Euro erhalten. "Es wäre sinnvoller, sie arbeiten zu lassen und die knappen Steuergelder in die Erhöhung der Bettenkapazität der Krankenhäuser zu stecken", argumentiert der Gastronom.
Für die Senatorin und Gesundheitsexpertin Alejandra Reynoso von der konservativen Oppositionspartei PAN hat Präsident López Obrador keine Gesundheitsstrategie, sondern sieht die Pandemie im Brennglas seiner politischen Ambitionen. "Er nutzt sie zum Ausbau seiner Macht", sagte sie der DW. "Sie kommt ihm gelegen, weil sie Millionen von Mexikanern in die Armut und damit in die Abhängigkeit von Regierungsalmosen treibt."
Ein Beispiel sei die gerade angelaufene Impfkampagne. Diese werde von Spots begleitet, in denen der Impfstoff als Geschenk der Präsidenten-Partei Morena präsentiert werde. Die Impfung werde auch nicht vom Gesundheitsministerium koordiniert, sondern von den Regionaldelegierten von Morena. Mit ihnen hat López Obrador zu Anfang seiner Amtszeit eine politische Parallelstruktur zu den Gouverneuren geschaffen, um die Sozialhilfen der Zentralregierung auszuzahlen und die Wählerbasis zu verbreitern. Bereits im Juni werden in Mexiko das Parlament, 15 Gouverneure und fast 2000 Bürgermeister gewählt. Vielerorts hat sich die Opposition zusammengeschlossen, um die Vorherrschaft von Morena zu brechen. "Die Pandemie wird mit politischen Kriterien gemanagt, nicht unter gesundheitspolitischen", glaubt Reynoso.