Corona-Leugner - Hetze, Hass und Gewalt
29. September 2021Das Ziel der Kritiker der deutschen Corona-Politik war optimistisch: 30 Prozent der Wählerstimmen wollten die Anhänger der neuen Partei "Die Basis" bei der Bundestagswahl gewinnen. Ihre Programm: Schluss mit dem Maskenzwang, Ende aller Corona-Beschränkungen und die Ablehnung der Corona-Impfungen.
Gereicht hat es am Ende zu knapp 1,4 Prozent der Wählerstimmen. Das bescheidene Ergebnis befeuerte in der Szene umgehend Verschwörungstheorien von einem Wahlbetrug, berichtet das Berliner Institut Cemas, das die Verbreitung von Verschwörungsideologien und Antisemitismus in den sozialen Medien beobachtet und analysiert.
"Bei einer Umfrage auf Telegram mit bisher 65.000 abgegebenen Stimmen votierten 95% dafür", so eine auf Twitter veröffentlichte Recherche des Instituts. Belege für die Betrugsvorwürfe gibt es nicht - es ist dasselbe Schema wie nach der Wahlniederlage des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump.
700.000 Euro Unterstützung vom Staat
"Die Basis" verfehlte den Einzug in den deutschen Bundestag und bleibt damit politisch bedeutungslos. Ein Erfolg war die Wahl für sie dennoch: Für jede Wählerstimme bei der Bundestagswahl erhält sie vom Staat einen Euro Zuschuss, insgesamt rund 700.000 Euro. So will es die deutsche Parteienfinanzierung.
Geld, das in eine zunehmend gefährliche Szene fließt, warnen zahlreiche Beobachter. Denn aus den Reihen der selbsternannten "Querdenker" hat es in den vergangenen Monaten immer wieder gefährliche Angriffe gegeben.
Tragischer Höhepunkt war der Tod eines Kassierers einer Tankstelle in Rheinland-Pfalz. Der hatte einen Kunden aufgefordert, eine Maske zu tragen und wurde anschließend von diesem erschossen. Der Täter sagte der Polizei, dass er die Corona-Maßnahmen ablehne.
Neue Dimension von Angriffen gegen Journalisten
Der Fall ist der Höhepunkt einer ganzen Serie von gewalttätigen Vorfällen in den vergangenen Monaten. So gab es mehrere Brand- und Sprengstoffanschläge auf Impfzentren und das Robert-Koch-Institut, das in Deutschland für die Pandemieüberwachung zuständig ist. Außerdem hat die Zahl der Angriffe auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bahn stark zugenommen, die in den Zügen die Maskenpflicht kontrollieren müssen.
Und auch die Gewalt gegen Journalisten in Deutschland hat 2020 eine "noch nie dagewesene Dimension erreicht", so Reporter ohne Grenzen. Die Mehrheit der Angriffe habe sich am Rande von Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen ereignet.
Für die Cemas-Geschäftsführerin Pia Lamberty ist die Eskalation wenig überraschend. In einem Interview mit dem "Tagesspiegel" sagte sie: "Die Ideologen der Szene betreiben permanent eine Dehumanisierung. Das heißt, vermeintlichen Feinden wird das Menschsein abgesprochen." Wie auch andere Experten warnt sie vor einer weiteren Zunahme der Gewalt.
Studie: Abgrund an Antisemitismus
Angeheizt werden Hass und Hetze vor allem in den sozialen Medien. Insbesondere die Plattform Telegram bietet antisemitischer Propaganda, falschen Informationen und den Gewaltphantasien vieler Corona-Leugner eine große Bühne. Kommunikationswissenschaftler der Universität Passau haben sich die Szene näher angeschaut. Sie analysierten 1.800 Posts von einflussreichen Personen aus der deutschen Szene der Corona-Kritiker. "Wir haben in einen tiefen Abgrund geblickt", bilanziert Studienleiter Ralf Hohlfeld düster.
Vor allem auf Telegram seien viele Veröffentlichungen eine "krude Mischung aus Geschichtsklitterung, Herabsetzung, Hetze, Aufwiegelung und Antisemitismus." Besonders alarmierend: bei jedem dritten Fall von Hassrede haben die Studienmacher konkrete Handlungsaufforderungen gefunden, zumeist gegen staatliche Maßnahmen.
Das Millieu der Verschwörungsideologen ist dabei weit gestreut. Der Soziologe Oliver Nachtwey hatte im Rahmen der Corona-Proteste 1.150 Interviews mit Teilnehmern geführt. Er sieht den Protest als eine Bewegung, die "zum Teil von links kommt, aber eher nach rechts geht".
Verschwörungsideologen: Abgrenzung statt Dialog
Um eine weitere Eskalation von Hetze und Hass zu verhindern, fordern Experten von der deutschen Politik eine viel stärkere Abgrenzung von Verschwörungsideologen. Dass der CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet gesagt hatte, man müsse mit sogenannten Querdenkern reden, findet Pia Lamberty zum Beispiel falsch.
In einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk fordert sie: "Was wir brauchen, ist eine schnelle Verfolgung von Straftaten." In der Vergangenheit hatten vor allem Journalistinnen und Journalisten immer wieder beklagt, dass Angriffe gegen sie am Rande der Corona-Proteste von der Polizei zu wenig ernst genommen würden.