Corona: Lage hat sich "deutlich verschärft"
27. Februar 2020"Nach dem Corona-Ausbruch in Deutschland hat sich die Lage deutlich verschärft", sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem für Gesundheit zuständigen Kollegen Jens Spahn. Ein auf Corona zugeschnittener nationaler Pandemieplan solle binnen Tagen fertiggestellt werden, sagte Minister Spahn. Auch Bundesländer, Rettungsdienste und sogar größere Unternehmen sind aufgerufen, sich auf weitere Coronafälle vorzubereiten. "Wir haben heute deutlich mehr Erkenntnisse als vor vier Wochen." Bislang sind in Deutschland 21 Fälle bestätigt. Zentral sei es, dass mögliche Fälle so schnell wie möglich erkannt werden, sagte Spahn. Inzwischen könnten medizinische Labore flächendeckend Speichelproben auf das Coronavirus testen - Deutschland sei eines der ersten Länder, die so weit seien. "Wenn der Arzt entscheidet, dass eine Testung auf Coronavirus notwendig ist, muss sie von den Kassen getragen werden", sagte Spahn.
Krisenstab angelaufen
In Deutschland koordiniert seit Mittwoch ein Krisenstab vor allem von Bundesinnen- und Gesundheitsministerium dem Umgang mit dem Virus. Aus Sicht des Gesundheitsministers steht das Land "am Beginn einer Epidemie", die Infektionsketten seien teilweise nicht mehr nachzuvollziehen. Trotzdem bemühen sich die Behörden um Zuversicht; man sei gut aufgestellt. In Deutschland grassiert parallel weiterhin auch eine Grippewelle - Spahn rief die Über-60-Jährigen zu Grippeimpfungen auf, auch um lebensbedrohliche Doppelerkrankungen zu vermeiden.
Spahn erklärte, dass nunmehr nicht nur Fluggäste aus China bei ihrer Ankunft in Deutschland Daten angeben müssten, sondern auch Passagiere aus Südkorea, Japan, Iran und Italien. Ähnliches sei auch für internationale Züge aus Italien angedacht. Innenminister Seehofer sagte, er habe die Bundesländer angewiesen, neu ankommende Asylbewerber ab sofort standardmäßig auf das Virus zu testen. Die Überstellungen von Asylbewerbern aus dem besonders betroffenen EU-Land Italien nach dem Dublin-Mechanismus sei bereits ausgesetzt.
NRW isoliert Hunderte Karnevalisten
Aus Sorge vor einem massenhaften Ausbruch des Coronavirus in Deutschland stellen deutsche Behörden Hunderte Menschen unter häusliche Isolation. Im Bundesland Nordrhein-Westfalen sind inzwischen fünf Fälle bestätigt, nachdem drei Personen aus dem Umfeld eines an der neuen Atemwegsinfektion COVID-19 erkrankten Ehepaares aus dem Landkreis Heinsberg positiv getestet wurden.
Die 46 und 47 Jahre alten Eheleute hatten am 15. Februar eine Karnevalssitzung mit etwa 300 Teilnehmenden besucht - auf der sich das Virus offensichtlich weiter verbreitet hat. Ein Bundeswehrsoldat, der bei der Flugbereitschaft am Kölner Flughafen stationiert ist, soll sich dort bei dem Ehepaar angesteckt haben. Alle Besucher der Veranstaltung sowie deren Partner, Kinder und andere Mitbewohner wurden aufgefordert, sich bei den Behörden zu melden und 14 Tage "in häuslicher Quarantäne" zu verbleiben, wie das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium schreibt. Der Kindergarten, in dem die 46-Jährige arbeitet, wurde vorsorglich geschlossen und Kinder mit ihren Eltern sowie das übrige Personal ebenfalls aufgefordert, zu Hause zu bleiben.
Deutsche Mailand-Rückkehrer sind stabil
Bei den Heinsbergern ist weiter unklar, woher sie sich angesteckt haben könnten. Diese Frage ist bei den drei Infizierten im südwestlichen Bundesland Baden-Württemberg leichter beantwortet: Sie waren zuvor im Urlaub in Norditalien, wo der schwerste Corona-Ausbruch Europas grassiert. Ein Paar Mitte 20 und der Vater der Frau liegen auf Isolierstationen, ihr Zustand wird als stabil beschrieben.
Japanerin zum zweiten Mal erkrankt?
Weltweit haben sich inzwischen laut Meldungen der jeweiligen nationalen Gesundheitsbehörden etwa 82.000 Menschen mit dem neuartigen Virus Sars-CoV-2 infiziert, die allermeisten in China. Mehr als 2800 Betroffene sind gestorben, davon allein 2600 in der chinesischen Provinz Hubei um die Stadt Wuhan. In rund vier von fünf Fällen verläuft die Erkrankung milde, mehr als 33.000 Patienten gelten als genesen. Darunter ist auch eine Frau aus Japan, die gut drei Wochen nach einem negativen Corona-Test nun wieder Symptome zeigt und erneut positiv getestet wurde. Der Fall ist ein Hinweis darauf, dass genesene Patienten nicht zwingend immun gegen eine erneute Ansteckung sein könnten.
Japan ist mit rund 190 Fällen hinter China und Südkorea (rund 1600) das am stärksten betroffene Land in Ostasien. Am Donnerstag ordneten die japanischen Behörden an, im Kampf gegen weitere Ausbreitung des Virus alle Schulen bis auf weiteres zu schließen.
Das Gesundheitsministerium des Iran vermeldete am Donnerstag einen kräftigen Anstieg der Fälle: Die Zahl der Infizierten habe sich innerhalb eines Tages annähernd verdoppelt und liege nun bei 245. Nach zwei weiteren Todesfällen seien inzwischen 26 Patienten gestorben. Die Regierung in Teheran ruft ihre Bürger dazu auf, nicht unbedingt notwendige Reisen abzusagen. Das Verbot von Kulturveranstaltungen, Konferenzen und Kinovorführungen wurde um eine Woche verlängert. Auch die Freitagsgebete wurden laut iranischem Staatsfernsehen abgesagt. Vorläufig dürfen chinesische Staatsbürger nicht in den Iran einreisen.
Weitere Verbreitung in Italien
Auch in Italien ist keine Entspannung der Lage in Sicht. Dort zählen die Behörden inzwischen 528 Infizierte - von denen seien jedoch 40 inzwischen wieder gesund, sagte der Chef des Zivilschutzes. Die Zahl der Toten erhöhte sich auf 14. Von den nördlichen Provinzen Lombardei und Venezien breitet sich das Virus auch weiter nach Süden aus: In der Emilia Romagna ist der Bürgermeister des Städtchens Borgonovo Val Tidone an COVID-19 erkrankt. Er wisse nicht, wo er sich angesteckt habe, sagte er der Nachrichtenagentur AFP: "Ich bin nicht in die Rote Zone gegangen, ich bin in meiner Provinz geblieben. Ich weiß es nicht."
Auf derlei Fragen will auch die Weltgesundheitsorganisation WHO mehr Aufmerksamkeit lenken - WHO-Sprecher Christian Lindmeier sagte der DW: "Wir müssen mehr darüber erfahren, wie wahrscheinlich Reisende ohne Symptome das Virus weiterverbreitet haben, sodass andere infiziert werden ohne direkte Verbindung zum Ursprung." Dazu würden derzeit Tests durchgeführt, sagte Lindmeier.
ehl/AR (dpa, afp, rtr, ap)