1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Airlines am Boden - Exodus in die Wüste

Andreas Spaeth
14. Mai 2020

Rund 17.000 oder über 60 Prozent aller Verkehrsflugzeuge weltweit stehen derzeit am Boden. Bloß: Wohin damit? Die großen Airports sind zu teuer. Doch natürlich gibt's auch da Spezialisten. Von Andreas Spaeth.

https://p.dw.com/p/3cAQw
Geparkte Flugzeuge in Alice Springs, Australien
Befördern derzeit keine Passagiere durch die Welt: Geparkte Flugzeuge auf Sandpisten in Alice Springs, AustralienBild: Steve Strike

Normalerweise starten die meisten Großraumflugzeuge ab Frankfurt nach Dubai, New York und Shanghai, den Top Drei-Langstrecken ab dem Rhein/Main-Flughafen. Doch neuerdings fliegen die riesigen Airbus A380 der Lufthansa häufig zu einem merkwürdig anmutenden Zielort, und zwar nur die einfache Strecke, ohne Rückkehr nach Frankfurt. Am Mittwoch startete zum siebten und vorerst letzten Mal ein solcher Flug mit der Flugnummer LH9924. Den findet man in keinem Flugplan, und die Destination dürfte selbst ausgefuchsten Reisefachleuten nichts sagen: Teruel.

Die 35.000-Einwohner-Stadt liegt in der Provinz Aragonien im Osten Spaniens, etwa auf halbem Wege zwischen Madrid und Valencia. Trotz UNESCO-Weltkulturerbe-Status der historischen Stadtarchitektur verirrt sich hierher kaum ein Tourist, schon gar nicht in Corona-Zeiten. Wegen Corona aber hat sich der Flughafen Teruel binnen Monaten zu einem Hotspot der europäischen Luftfahrt entwickelt - denn hier bietet die Firma Tarmac Aerosave auch in normalen Zeiten etwas, das jetzt auf einmal extrem gefragt ist: Abstellflächen, auf denen Verkehrsflugzeuge langfristig geparkt und gleichzeitig einsatzfähig gehalten werden können.

Weltläufige Provinz

Von der Lufthansa stehen hier neben jetzt sieben A380 auch noch ein halbes Dutzend vierstrahliger A340-600, die auch keine Zukunft mehr in der künftig kleineren Kranich-Flotte mehr haben. Auch Air France hat einige ihrer stillgelegten A380 hier geparkt, British Airways fünf Boeing 747.

Maschinen der Lufthansa auf der Nordwest-Landebahn des Frankfurter Rhein-Main-Airports
Maschinen der Lufthansa auf der Nordwest-Landebahn des Frankfurter Rhein-Main-AirportsBild: Imago Images/M. Lorenz

Inzwischen gibt man sich in der spanischen Provinz weltläufig: Die Landung von LH9926 am Mittwoch verkündete der Twitter-Account des Flughafens Teruel sogar auf Deutsch zum Video der Landung. "So viele Flugzeuge hatten wir hier noch nie", sagt Pedro Sáez, Direktor der Firma Tarmac-Aragón, derzeit sind es etwa 115, und damit sind die vorhandenen Kapazitäten asphaltierter Flächen so gut wie ausgereizt.

"Wir müssen jetzt provisorische Abstellplätze auf vorhandenen Freiflächen schaffen, indem wir Metallplatten auslegen", so Sáez. Etwa 20 bis 25 weitere Flugzeuge könnten dann noch aufgenommen werden, das Gelände ist in etwa so groß wie 140 Fußballfelder. Schon plant man die Verdoppelung des Areals - Platz ist genug in der weiten wüstenartigen Landschaft vor Bergkulisse, politisch wurde die Expansion bereits durchgewinkt. Zwar wird die Umsetzung noch einige Jahre dauern, doch Teruel könnte auch von den Spätfolgen der Corona-Krise profitieren, wenn vermutlich viele Flugzeuge endgültig ausgemustert werden. Und das Zerlegen und Recyclen nicht mehr benötigter Jets ist das Spezialgebiet von Tarmac Aerosave.

Trocken muss es sein - und groß

Entscheidende Kriterien für einen Abstellplatz sind die geringe Luftfeuchtigkeit, um damit die Korrosionsgefahr für die empfindliche Flugzeugstruktur minimieren, sowie möglichst wenig Wind gegen den Staub und genügend Platz. Noch nie waren auf der Welt so viele aktive Verkehrsflugzeuge am Boden wie in der Corona-Krise. Derzeit gibt es rund um den Globus etwa 26.000 aktive Verkehrsflugzeuge, die normalerweise im Durchschnitt 102.000 Flüge am Tag durchführen und dabei geschätzte sechs Millionen Menschen täglich befördern.

Etwa eine halbe Million Passagiere befinden sich in normalen Zeiten zu jeder Zeit irgendwo auf dem Globus an Bord eines Flugzeugs. Jetzt ist es fast niemand mehr. Nach Schätzungen des Branchendienstes Cirium standen Ende April knapp 17.000 Verkehrsflugzeuge aller Größen am Boden, etwa 64 Prozent der Gesamtflotte.

Die Fluggesellschaften haben ihre liebe Mühe, am Boden genügend Abstellplätze für ihre Flugzeuge zu finden. Die größten und bekanntesten sogenannten Boneyards befinden sich im Süden der USA, auf der Davis Monthan Air Force Base sowie in Marana bei Tucson und in Victorville in Kalifornien. Eine Überführung ihrer Flotten dorthin kommt für europäische Airlines derzeit jedoch kaum in Frage.

Hoffentlich nur vorrübergehend geparkt

Zunächst behalf man sich wie etwa in Frankfurt auf der für den Verkehr gesperrten Nordwest-Landebahn und nutzt sie als temporäre Abstellfläche. "Aber Frankfurt ist sehr teuer", weiß Lufthansa-Chef Carsten Spohr. Das Problem ist vor allem, dass nicht absehbar ist, wann wie viele Jets wieder gebraucht werden. Die Airlines hoffen, dass die Restriktionen der Corona-Krise bald weiter gelockert werden und der Betrieb stufenweise wieder starten kann, die meisten Fluglinien planen dies für Juli.

Dicht an dicht: Geparkte Maschinen in Tarbes-Lourdes am Rande der französischen Pyrenäen
Dicht an dicht: Geparkte Maschinen in Tarbes-Lourdes am Rande der französischen PyrenäenBild: picture-alliance/AP Images/B. Edme

Gleichzeitig stellt sie der nie erwartete Zwang zum Massen-Grounding vor ungeahnte Probleme: wohin mit den Flugzeugen, damit sie es warm und trocken haben und gleichzeitig schnell wieder abrufbar sind für den Wiederbeginn? In Europa ist der zweite große Abstellplatz neben Teruel der Flughafen Tarbes-Lourdes-Pyrénées im Südwesten Frankreichs, hier werden sowohl Abstellplatz als auch Wartungs- und Recycling-Einrichtungen ebenfalls von Tarmac Aerosave betrieben.

Tarbes verzeichnet ebenfalls starke Zuwächse, der Flughafen richtet sich bereits auf weitere Dauergäste ein und asphaltiert frische Pisten und Rollwege. In Luftfahrtkreisen gingen im vergangenen Jahr Fotos aus Tarbes viral, als hier die ersten beiden A380 zerlegt wurden, nachdem Singapore Airlines sie ausgemustert hatte.

Hotspot in Australien

British Airways parkt ihre A380-Flotte ebenfalls in Frankreich, die Riesen warten in Châteauroux in Zentralfrankreich auf bessere Zeiten. Swiss dagegen hat ihre Flotte zum Teil auf dem Militärflugplatz Dübendorf nahe ihres Heimatflughafens Zürich-Kloten untergebracht und einige Airbus-Jets jetzt längerfristig in die jordanische Hauptstadt Amman überführt.

Abgestellte Maschinen von Singapore Airlines in Alice Spings
Abgestellte Maschinen von Singapore Airlines in Alice SpingsBild: Steve Strike

Den größten Aufschwung als Abstellplatz weltweit erlebte der Flughafen Alice Springs im australischen Outback. Gegründet hatte die dortigen Abstelleinrichtungen erst vor wenigen Jahren Tom Vincent. Der ehemalige Analyst der Deutschen Bank wollte sich so seinen persönlichen Traum als Unternehmer verwirklichen.

Seit 2014 konnte seine Firma Apas bereits rund 40 Jets aufnehmen, aber die Corona-Krise lässt sein Geschäft durchstarten, denn für die Boom-Region Asien/Pazifik ist dies der einzige Abstellplatz in Reichweite. Und Flugzeug-Parkplätze können durchaus lukrativ sein - so erzielte Vincent mit einem 13-Monatsvertrag für eine Boeing 777 umgerechnet rund 300.000 Euro Umsatz. "Mein Telefon hört nicht auf zu klingeln, die Nachfrage ist explodiert", berichtete Vincent jetzt der Financial Times. Sein größter Coup war die Einlagerung von vier der neuesten A380 von Singapore Airlines im April. "Jetzt starten wir eine Erweiterung, so dass wir bald 70 bis 80 Flugzeuge aufnehmen können", freut sich Vincent.