Corona: Jugend fürchtet um ihre berufliche Zukunft
29. April 2021Die Zahl ist alarmierend: Zwei von drei Jugendlichen in Deutschland beklagen, dass sich ihre Chancen auf dem Ausbildungsmarkt durch Corona verschlechtert haben. Bei jungen Menschen mit niedriger Schulbildung sind es sogar 78 Prozent. Zu diesem Ergebnis kommt eine vom Meinungsforschungsinstitut iconkids & youth im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung durchgeführte Umfrage.
"Ausbildungsperspektiven im zweiten Corona-Jahr" heißt die Studie, für die zwischen Mitte Februar und Anfang März dieses Jahres 1.700 repräsentativ ausgewählte 14- bis 20-Jährige online und in Video-Konferenzen befragt wurden. Es ist bereits die zweite Umfrage dieser Art; die Erste fand im Juli 2020 statt. Im direkten Vergleich der beiden Studien hat sich die Zahl derjenigen, die sich um ihre berufliche Zukunft Sorgen machen, um zehn Prozent erhöht.
Wer studieren will, ist zuversichtlicher
Die Corona-Krise verunsichert junge Menschen zunehmend. Allerdings gibt es erkennbare Unterschiede: Ausbildungsplatzsuchende klagen weitaus häufiger über Schwierigkeiten als angehende Studierende. Von ihren glaubt nur ein Viertel aller Befragten, dass die Chancen auf einen Studienplatz durch Corona beeinträchtigt sind. Das ist nicht verwunderlich, denn Studienplätze sind in der Pandemie nicht weggefallen. Nur das Studium selbst ist mühsamer, da es komplett online läuft.
Für Jörg Dräger, Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung sind die Unterschiede in der Beurteilung der beruflichen Zukunft auch aus einem anderen Grund nachvollziehbar: "Wer das Abitur hat, besitzt quasi eine Studiengarantie", sagt er. "Jugendliche mit niedrigeren Schulabschlüssen lassen wir in Krisenzeiten allein. Das ist nicht gerecht."
Berufliche Ausbildung leidet in der Krise
Im Gegensatz zum Studienplatzangebot hat sich der Ausbildungsmarkt in der Corona-Krise verkleinert. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Ausbildungsverträge im vergangenen Jahr um mehr als neun Prozent zurückgegangen. Allerdings gibt es große regionale Unterschiede.
Nur noch ein Fünftel aller Betriebe in Deutschland bildet überhaupt aus. Die Jugendlichen verunsichert das. 54 Prozent derer, die aktuell nach einem Ausbildungsplatz suchen, sind der Meinung, dass es zu wenige Stellen gibt und die Versorgung nicht ausreicht.
Befragt danach, wo sie bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz am meisten Unterstützung finden, verweisen zwei Drittel der Jugendlichen auf ihre Eltern. Die sind auch in der Pandemie verfügbar - im Gegensatz zu vielen anderen Angeboten. Die Berufsorientierung ist durch Corona stark eingeschränkt. Das zeigte sich schon in der letztjährigen Befragung. Im Vergleich zu 2020 haben sich die Einschätzungen der Jugendlichen jedoch in allen Bereichen deutlich verschlechtert.
Höhere Schulen informieren schlecht über Berufe
Grundsätzlich mangelt es nicht an Informationen zur Berufswahl. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, sich zurechtzufinden. Gut die Hälfte der Jugendlichen gibt an, damit Schwierigkeiten zu haben. Die Informationen kommen also nicht dort an, wo sie gebraucht werden.
Was speziell das schulische Angebot zur Berufsorientierung betrifft, so schneiden höhere Schulen vergleichsweise schlecht ab. Von den befragten jungen Menschen mit hoher Schulbildung fühlen sich lediglich 23 Prozent gut bis sehr gut informiert; fast die Hälfte hält sich für nicht so gut oder gar nicht gut informiert.
Es muss nicht unbedingt ein Studium sein
Die Berufsberatung zu stärken, könnte auch dazu führen, dass sich mehr Jugendliche als bisher für eine berufliche Ausbildung statt für ein Studium entscheiden könnten. Das wäre wichtig mit Blick auf den bereits bestehenden Fachkräftemangel. Das Interesse an einer solchen Ausbildung ist durchaus da.
Das Schulsystem in Deutschland ist aufgegliedert. Es gibt allgemeinbildende Schulen, die zunächst einen mittleren Schulabschluss und für Qualifizierte eine Fortsetzung bis zum Abitur anbieten. Daneben gibt es höhere Schulen, die mit dem Abitur enden und perspektivisch auf ein Studium vorbereiten.
Von den 14- bis 20-Jährigen, die eine allgemeinbildende Schule besuchen, möchten 41 Prozent auf jeden Fall eine Ausbildung machen. Weitere 36 Prozent sind noch unentschieden, ob sie nicht ein Studium anstreben sollen. Von den Befragten, die eine höhere Schule besuchen, sind sogar 43 Prozent unentschieden. Das zeige, so heißt es in der Studie, dass es einen besonderen Beratungs- und Orientierungsbedarf bezüglich der Entscheidung zwischen Ausbildung und Studium gebe.
Soll die Politik einen Ausbildungsplatz garantieren?
53 Prozent der befragten Jugendlichen haben den Eindruck, die Politik tue wenig oder gar nichts für Ausbildungsplatzsuchende. Das sind noch einmal drei Prozent mehr als bei der Befragung im August vergangenen Jahres. Weitere 20 Prozent sagen, dass die Politik zwar eher viel tue, aber noch immer nicht genug.
"Wir müssen jedem jungen Menschen eine Ausbildungsperspektive geben, gerade in der Krise", fordert Bertelsmann-Vorstand Dräger. Das sei eine Frage der Chancengerechtigkeit und diene der Fachkräftesicherung. "Jede Krise vernichtet dauerhaft Ausbildungsplätze. Das war 2008 so und wird auch jetzt wieder so sein." Den Betrieben Ausbildungsprämien zu zahlen, reiche nicht aus.
Die Bertelsmann Stiftung setzt sich für die Einführung einer Ausbildungsgarantie nach österreichischem Vorbild ein. Jugendliche, die bei der Suche nach einem regulären dualen Ausbildungsplatz erfolglos waren, haben dort Anspruch auf einen außerbetrieblichen Ausbildungsplatz. Dabei wird bereits im ersten Ausbildungsjahr die Vermittlung in ein betriebliches Ausbildungsverhältnis angestrebt.