Corona-Impstoff: Deutsche Biotechunternehmen im Fokus
17. März 2020"An der Goldgrube 12" - so vielversprechend nennt sich die Straße, in der das Mainzer Biotechunternehmen Biontech zu Hause ist. Bisher wurden hier hauptsächlich an Biopharmazeutika gegen Krebs geforscht. Nun könnte die Firma bald wirklich auf einer Goldgrube sitzen, dann nämlich, wenn es den Mitarbeitern gelingt, einen Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus zu entwickeln.
Frisches Geld für die Forschung hat das Unternehmen gerade vom chinesischen Arzneimittelhersteller Fosun Pharma bekommen: 120 Millionen Euro, davon 44 Millionen Euro im Austausch gegen Biontech-Aktien. Das teilte das Unternehmen am Montag mit. Außerdem weitet das Mainzer Unternehmen seine Partnerschaft mit dem US-Pharmariesen Pfizer aus, um ebenfalls gemeinsam die Entwicklung seines Impfstoffes gegen das Coronavirus voranzutreiben. Das vermeldete das Unternehmen am Dienstag.
Die Chinesen sind nicht die einzigen, die eine Goldgrube gewittert haben - über Finanzierungsrunden, Kooperationen mit Pharmaunternehmen und den Gang an die US-Technologiebörse Nasdaq im Oktober 2019 sammelte Biontech in den vergangenen Monaten mehr als 1,4 Milliarden US-Dollar ein.
Trumps Griff nach Curevac
Die internationale Zusammenarbeit von Unternehmen ist nichts Ungewöhnliches. "Es gibt derzeit weltweit ein Rennen von vielen Firmen, Konsortien, aber auch Aktivitäten von Wissenschaftsorganisationen - insbesondere auch in den USA und in China, die einen Impfstoff gegen Corona entwickeln wollen", sagt Siegfried Throm vom Verband forschender Pharmaunternehmen (vfa). Das sei auch gut so, denn je mehr Unternehmen sich engagieren, desto größer die Chance, schnell einen Impfstoff zu entwickeln.
Nach Angaben des vfa sind inzwischen mindestens 39 Impfstoffprojekte angelaufen. Mehrere dieser Projekte werden von der internationalen Impfinitiative CEPI finanziell unterstützt, darunter auch die der deutschen Firma Curevac, die der US-Konzerne Inovio, Moderna und Novavax sowie Projekte der australischen Universität von Queensland und der britischen Oxford Universität. Auch über Landesgrenzen hinweg wird zusammen geforscht.
Auf wenig Gegenliebe stößt es dagegen, wenn ein Land sich die Ergebnisse exklusiv sichern will. Angeblich habe US-Präsident Donald Trump - so ist zu lesen - bereits nach einem Impfstoff aus deutschen Laboren geschielt. Am Sonntag hieß es, er habe dem Tübinger Unternehmen Curevac einen hohen Betrag geboten, um den Amerikanern den Impfstoff exklusiv zu sichern.
Curevac dementiert am Montag: "Ein Angebot liegt uns nicht vor", so ein Sprecher des Unternehmens. Hauptanteilseigner Dietmar Hopp erklärte zudem: "Wenn es uns hoffentlich bald gelingt, einen wirksamen Impfstoff gegen das Coronavirus zu entwickeln, soll dieser Menschen nicht nur regional, sondern solidarisch auf der ganzen Welt erreichen, schützen und helfen können."
Später legte das Unternehmen via Twitter nach und machte klar: Es habe weder vor noch während noch nach dem Task Force Meeting im Weißen Haus (dort saß der Ex-Curevac-Chef Daniel Menichella mit am Tisch, d.Red.) ein Angebot der US-Regierung oder einer US-Behörde gegeben.
Trotzdem reagierte die EU-Kommission am Montag und bot Curevac einen Kredit von bis zu 80 Millionen Euro an, um die Entwicklung und Produktion eines Impfstoffs gegen das Coronavirus in Europa zu beschleunigen.
Deutsche Biotechbranche in Europa gut aufgestellt
Biontec und Curevac - zwei strahlende Leuchttürme in der deutschen medizinischen Biotechbranche, die im Jahr 2018 rund 400 Unternehmen umfasste und knapp 50.000 Mitarbeiter beschäftigte. Einzelne Leuchttürme seien jedoch nicht sehr repräsentativ für das Segment insgesamt, meint Siegfried Bialojan, Biotech-Experte der Beratungsgesellschaft EY. In der Breite falle die Branche weit zurück, obwohl das Potenzial hierzulande angesichts der starken Forschungslandschaft "riesig" sei.
Im Vergleich zu dem Platzhirschen USA sei die deutsche Biotechbranche ein eher bescheidenes Pflänzchen, sagt Siegfried Throm vom Verband forschender Pharmaunternehmen. Auch wenn sie im europäischen Vergleich ganz gut aufgestellt sei. "Das liegt im Wesentlichen am Gründungswillen", meint Throm. Der Gründergeist sei in Amerika schon immer wesentlich ausgeprägter gewesen. Auch das Risiko des Scheiterns werde in den USA wesentlich bewusster in Kauf genommen als in Europa.
Mangelware Risikokapital
Außerdem gibt es in den USA einen besseren Zugang zu Risikokapital. Während Deutschland ein umlagefinanziertes Rentensystem hat, sparen in den USA die Arbeitnehmer quasi ihre eigenen Renten an. Dadurch gibt es dort sehr viel Geld in Pensionsfonds, das zum Teil auch als Risikogeld in die Biotech-Branche fließt.
Zu wenig Risiko-Kapital - das hatte auch die Studie von EY zur Situation der Branche im Jahr 2018 gezeigt. Die Tatsache, dass deutlich weniger Therapeutika-Unternehmen neu gegründet wurden, sei ein Indiz dafür, dass Biotechunternehmen in Deutschland Schwierigkeiten hätten, Kapital zu erhalten, denn gerade die Therapeutika-Entwicklung sei sehr kostenintensiv.
Im Durchschnitt dauert die Entwicklung für ein Biopharmazeutikum bis zu 13 Jahre - manchmal auch bis zu 20 Jahre. Und es müssen Kosten in einer Spanne von einer bis zu eineinhalb Milliarde US-Dollar eingeplant werden. Zudem ist das Risiko des Scheiterns extrem hoch. Nur ein kleiner Teil der Projekte der Biotech-Unternehmen schafft es zur Marktreife - etwa 90 Prozent gehen den Bach runter.
Einige wenige bekommen das Geld
Zwar hätten die deutschen Biotechs 2018 so viel Kapital angezogen wie noch nie, so die Studie von EY. Der Großteil sei aber an einige wenige Unternehmen gegangen, sagt der Studienautor und Leiter des deutschen Life Science Centers von EY, Siegfried Bialojan. Sein Resümee: In Deutschland fehle ein funktionierendes "Finanzierungs-Ökosystem".
Er ist der Ansicht, dass die hohen Risiken, die langen zeitlichen Vorläufe und der immense Kapitalbedarf der Biotech-Firmen nur mit Eigenkapital zu finanzieren seien, nicht mit von Banken geliehenem Geld. "In Deutschland gibt es aber eher eine sehr ausgeprägte Fremdkapital-Kultur", so Bialojan. Auch mangele es an risikofreudigen und schlagkräftigen Venture-Capital-Fonds, also Fonds mit Wagniskapital.
Eine Idee, die man propagiere, sagt Throm vom vfa, sei, "Versicherungen die Möglichkeit zu geben, etwa ein Prozent ihres Kapitals in Hochrisikofirmen zu stecken". Andere Länder hätten gezeigt, dass das geht. China, Israel und die Schweiz würden Risikokapital auch über Staatsfonds bereitstellen. In Deutschland versucht das der Hightech-Gründerfonds mit einem Mix aus staatlichen und privaten Geldern - seit 2005 wurden dort drei Fonds mit je rund 300 Millionen Euro aufgelegt, um Startups auf den Weg zu bringen.
Curevac profitiert davon, den Milliardär und SAP-Gründer Dietmar Hopp mit im Boot zu haben. Der hat insgesamt fast 1,5 Milliarden Euro in die Biotechnologie investiert - davon einen Teil in Curevac. Auf eine Goldader ist er dabei bislang noch nicht gestoßen. Auch Biontech hatte als Mäzen im Hintergrund die Brüder Strüngmann, die Gründer des Generika-Herstellers Hexal.
Erste Impfstoffe auf gutem Weg
Die Entwicklung von Impfstoffen gegen das Coronavirus wird aber nicht mehrere Jahre in Anspruch nehmen. "Da gibt es sehr gute Vorarbeit", beruhigt Throm. "Deswegen rechnen die Experten damit, dass wir in etwa zwölf bis 18 Monaten, wenn alles gut geht mit den Prüfungen, vielleicht schon einen Impfstoff haben können."
Noch im März will das US-Biotechunternehmen Moderna, das mit dem amerikanischen National Institutes of Health (NIH) zusammenarbeitet, seinen Impfstoff erstmals in klinischen Studien an 45 Menschen in Seattle erproben. Biontech und Inovio haben erste klinische Studien für den April angekündigt, Curevac will bis Juli soweit sein.