EU nimmt Sputnik V unter die Lupe
9. April 2021Experten der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) sollen in den kommenden Tagen zu einer Inspektion des COVID-19-Impfstoffs Sputnik V nach Russland reisen. Die Regulierungsbehörde bezeichnete "die Inspektion einer Produktionsstätte im Zusammenhang mit der Bewertung eines Zulassungsantrags in der EU als normalen Schritt".
"Die EMA ist gesetzlich verpflichtet zu überprüfen, ob Hersteller von Arzneimitteln, für die in der EU eine Marktzulassung beantragt wird, die Gute Herstellungspraxis (GMP) einhalten," so die Antwort der Behörde auf eine Anfrage der DW. Emer Cook, Direktorin der EMA, hatte bereits im März eine Inspektion von Produktionsstätten des Impfstoffs angekündigt. Auch Kliniken, in denen Sputnik V klinisch getestet wurde, sollen besucht werden, um die Einhaltung der "Guten klinischen Praxis" (GCP) zu prüfen.
"Klinische Studien, die eine EU-Marktzulassung unterstützen, müssen der GCP entsprechen, einem internationalen ethischen und wissenschaftlichen Qualitätsstandard für Studien am Menschen. Die Einhaltung des Standards gewährleistet, dass die Rechte, die Sicherheit und das Wohlbefinden der Studienteilnehmer geschützt werden und dass Daten aus klinischen Studien glaubwürdig sind", so die EMA.
Die Behörde will die Ergebnisse ihrer Inspektion erst nach Prüfung des Zulassungsantrags für Sputnik V in der EU veröffentlichen. Wann genau europäische Inspektoren nach Russland reisen, dazu wollte die EMA ebenfalls keine Angaben machen. Die russische Seite hatte den 10. April als Datum genannt.
Kann man den russischen Daten zu Sputnik V vertrauen?
Das Misstrauen gegenüber dem russischen Impfstoff in der EU ist groß. Erst am 17. März richteten fünf EU-Parlamentarier einen Brief an die EMA, in dem sie betonen, Russland habe wiederholt bewiesen, "mehr als bereit zu sein, medizinische und wissenschaftliche Daten sehr professionell und in großem Umfang zu politisieren und zu fälschen, wenn dies politischen Zielen dient". Als Beispiel führten die Parlamentarier die Dopingskandale russischer Olympia-Athleten und die Vergiftung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny an.
Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP Fraktion (CDU) im EU-Parlament, befürwortet daher eine Überprüfung des Impfstoffes. "Ich kann mir gut vorstellen, dass er funktioniert, dass er eine gute Schutzwirkung hat und auch vertretbare Nebenwirkungen. Aber letztlich ist das noch nicht klar, denn er ist noch nie auf Herz und Nieren geprüft worden", sagte er der DW.
Problematisch war laut Liese das Vorpreschen Russlands im August 2020. Damals hatte Moskau erklärt, den ersten Impfstoff gegen COVID-19 zugelassen zu haben, obwohl zu dem Zeitpunkt der Impfstoff an weniger als 100 Menschen getestet worden war.
"Bei dem Impftoff von BioNTech-Pfizer gab es klinische Studien mit über 40.000 Probanden, die entweder den Impfstoff oder ein Placebo bekommen haben", so Liese. Dies sei das mindeste, auch wenn es "in der Medizin wie im Leben keine Hundertprozentige Sicherheit gibt."
Hat die EMA Inspektionen anderer Impfstoffe durchgeführt?
Laut EMA werden GMP-Inspektionen bei den "Herstellern aller vier in der EU zugelassenen COVID-19-Impfstoffen" durchgeführt: BioNTech-Pfizer, Moderna, AstraZeneca und Johnson & Johnson. Diese wurden hauptsächlich in den USA, aber auch in der EU, darunter in Italien durchgeführt.
Innerhalb der EU wird die Einhaltung der Standards für die Arzneimittelproduktion von den nationalen Regulierungsbehörden überwacht, und die EMA koordiniert diese Arbeit. Außerhalb der EU darf eine Inspektion nur dann unterlassen werden, wenn sie bereits in den letzten zwei oder drei Jahren durchgeführt wurde, erläutert die EMA.
Die für die EU zugelassenen Impfstoffe wurden auch auf ihre klinische Praxis (GCP) hin geprüft, hauptsächlich auf Grundlage von Berichten nationaler Regulierungsbehörden, im Fall von BioNTech-Pfizer der deutschen und amerikanischen. Zwischen EMA und der US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel (FDA) besteht eine Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung der Standards. Mit Russland hat die EMA kein solches Abkommen.
Braucht die Europäische Union Sputnik V?
Da die Impfrate der Bevölkerung gegen das Coronavirus in der EU hinter vielen anderen Ländern der Welt zurückbleibt, kündigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn jüngst Gespräche mit Moskau über den Kauf von Sputnik V an, allerdings erst nach einer Zulassung durch die EMA.
Noch ist aber unklar, wie viele Impfstoffdosen Russland, wo die Impfrate eigentlich deutlich unter dem EU-Durchschnitt liegt, überhaupt liefern könnte. Bislang hat Russland keine Produktionskapazitäten, um große Lieferungen an die EU zu tätigen.
Eine Alternative könnte die Herstellung von Sputnik V innerhalb der EU sein. Die R-Pharm Germany GmbH mit Sitz in Illertissen in Bayern, die deutsche Tochterfirma des russischen Pharmaherstellers R-Pharm, hat bereits bei der EMA einen Antrag auf Prüfung von Sputnik V gestellt.
Die bayerische Landesregierung hat sich mit dem Unternehmen vorläufig auf den Kauf von 2,5 Millionen Dosen Sputnik V geeinigt, allerdings nur, wenn das Vakzin zugelassen wird. Die ersten Lieferungen werden frühestens im Juli erwartet.
Für EU-Parlamentarier und Gesundheitsexperte Peter Liese sind die Produktionskapazitäten entscheidend. "Wenn es eine Million Impfdosen im Juli sind, dann brauchen wir das garantiert nicht. Aber wenn es 20 Millionen, 30 Millionen Impfdosen sind, sollte man das in die Strategie mit aufnehmen", so Liese. "Es gibt es keinen Grund, einen sicheren, wirksamen Impfstoff nicht zu importieren."
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk