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EU debattiert Freigabe von Impfstoff-Patenten

Barbara Wesel
7. Mai 2021

Die EU ist uneins, wie sie auf den US-Vorstoß zur Freigabe von Patenten für Corona-Impfstoffe reagieren soll. Deutschland hält die Idee für falsch. Die Kommission ist ambivalent und fordert mehr Exporte.

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Demonstration gegen Patentschutz bei Corona-Impfstoffen
Demonstration gegen Patentschutz für Corona-Impfstoffe in BerlinBild: Chritophe Gateau/dpa/picture alliance

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen konnte sich einen kleinen Seitenhieb gegen US-Präsident Joe Biden nicht verkneifen. Er hat die Europäer mit seiner Initiative, die Patente der neuen Corona-Impfstoffe für Entwicklungsländer freizugeben, kalt erwischt.

"Die EU ist bereit, alle Vorschläge zu diskutieren, um die Krise effektiv und pragmatisch zu lösen", sagte von der Leyen. Doch um den unmittelbaren Bedarf zu erfüllen, sollten zunächst alle Hersteller-Länder Impfstoff exportieren. Eine Anspielung auf den totalen Exportbann in den USA - im Gegensatz zur EU, die schon 200 Millionen Dosen Impfstoffe in alle Welt exportiert habe.

"Wir sollten die Freigabe der Patente diskutieren", sagte der österreichische Kanzler Sebastian Kurz bei seinem Eintreffen in Porto. Beim ersten physischen Gipfeltreffen seit Monaten geht es um mehr soziale Rechte in Europa nach dem Ende der Pandemie. 

Berlin gegen Bidens Vorstoß

Doch auf dem Gipfel dominierte die Debatte über die Patentfreigabe für Corona-Impfstoffe. Im Gegensatz zur Haltung Wiens kam aus Berlin zunächst eine Absage: "Der Schutz von intellektuellem Eigentum ist eine Quelle der Innovation und muss dies auch künftig bleiben", erklärte ein Regierungssprecher.

Bei BioNTech/Pfizer, wo der erste in Deutschland entwickelte mRNA-Impfstoff produziert und vermarktet wird, schrillten die Alarmglocken. Pfizer-Vorstand Albert Bourla erklärte, sein Unternehmen sei "überhaupt nicht dafür". Patente würden der Produktion von mehr Impfstoffen nicht im Wege stehen. 

Am Beispiel von AstraZeneca zeigt sich, dass der Patentstreit durch einen freiwilligen Verzicht auf die Zahlung von Lizenzgebühren umgangen werden kann. Der britisch-schwedische Hersteller vergab bereits im Dezember 2020 eine Notfall-Lizenz an das Serum Institute in Indien, den weltgrößten Impfstoffhersteller.

Paris und Rom für Freigabe

Polens Premier Mateusz Morawiecki wiederum schrieb auf Twitter: "Ich unterstreiche in Porto die Notwendigkeit für freien Zugang zu den Patenten für COVID-Impfstoffe für alle, die technologisch imstande sind, sie zu produzieren". Auch die Regierung in Rom äußerte sich positiv. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte bei seinem Eintreffen in Porto, er sei offen für die Diskussion.

Ein französischer Regierungssprecher hatte allerdings darauf hingewiesen, das Thema sei nicht so eindimensional. Schon jetzt gebe es bei der Welthandelsorganisation (WTO) im Falle eines Notstands die Möglichkeit für Zwangslizenzen.

Man müsse mehr Produktionskapazitäten aufbauen, besonders in Afrika. Die Europäer hätten im Rahmen der Covax-Initiative schon internationale Solidarität gezeigt, und zwar sowohl bei der Finanzierung wie bei der Lieferung von Impfstoffen.

Montenegro  | Covax Lieferung aus Montenegro, Podgorica
Eine Ladung von Corona-Impfstoffen, beschafft über die Covax-Initiative, trifft auf dem Flughafen von Montenegro einBild: Bojana Cupic/EU

In einem gemeinsamen Brief von Frankreich, Dänemark, Schweden, Spanien und Belgien an die EU-Kommission betonten die Länder, dass die EU beim Kampf gegen COVID-19 eine entscheidende Rolle spielen müsse, sonst würden "andere die Lücke füllen". Und sie versprechen, "Wissen über Impfstoffe und Technologien" zu teilen.

Mehr Exporte oder mehr Lizenzen?

Der portugiesische Außenminister Augusto Santos sagte im Interview mit der Deutschen Welle, die Debatte über die Freigabe der Patente für Impfstoffe müsse in der EU geführt werden. Es gehe aber auch um Produktionsstätten und Exporte: Die EU sei derzeit weltweit der größte Exporteur. "Es ist wichtig", so Santos, "dass andere sich dem anschließen".

UN-Generalsekretär Antonio Guterres lobte Bidens Vorstoß und erklärte, dieser schaffe die Möglichkeit zur "effektiven Expansion lokaler Impfstoffe". Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schloss sich dem Lob an und forderte ein "Teilen von Wissen und Technologie".

Experten bei der EU-Kommission in Brüssel betonten hingegen, dass es um mehr gehe als Patente. Impfstoffe seien komplizierte biologische Produkte, keine einfachen Chemikalien. Auch dürfte es Probleme bei den Lieferketten geben.

Die größten Schwierigkeiten lägen bei der Beschaffung der notwendigen Produktionsbestandteile. Für die Herstellung des Impfstoffs von BioNTech seien zum Beispiel 280 verschiedene Bestandteile aus 19 Ländern erforderlich: Von Glasfläschchen bis zu Lipiden, die als Trägerstoff dienen.

Peru Lima | Seniorin gegen Covid-19 geimpft
In Lima wird eine Seniorin mit Pfizer geimpft - der Konzern befürchtet "Qualitätseinbußen bei Nachahmer-Präparaten"Bild: ERNESTO BENAVIDES/AFP

Auch brauche man qualifizierte Arbeitnehmer und High-Tech Ausrüstung. Schon jetzt sei die Zusammenarbeit von Pharmaunternehmen bei der Herstellung von COVID-19-Impfstoffen einmalig - 300 Rivalen würden dabei kooperieren.

Pfizer warnt vor "Qualitätsproblemen"

Die Generaldirektorin des Europäischen Verbandes der Pharma-Industrie, Nathalie Moll, warnte vor sogenannten Nachahmer-Präparaten: Gegenüber der britischen Tageszeitung "The Times" erklärte sie, die Aufhebung der Patente würde Rohmaterialien und Bestandteile von "etablierten, effektiven Lieferketten abziehen und zu weniger effizienten Produktionsstätten lenken, wo es Qualitätsprobleme geben könnte". So würde die Tür für Nachahmer-Präparate geöffnet, "die dann die internationalen Lieferketten infiltrieren könnten".

Um die gemeinsame EU-Position bei der WTO zum Thema Impfstoff-Patente zu ändern, müsste der Rat der EU sich mit einer qualifizierten Mehrheit aussprechen. Die bisherigen Debatten weisen eher auf eine Kompromissformel hin: Brüssel dürfte versprechen, Entwicklungsländern beim Aufbau eigener Produktionsstätten zu helfen, selbst mehr Impfstoffe zu produzieren und vor allem zu exportieren.