Nicht besser als Ferien
22. Juni 2021Als zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 überall auf der Welt die Schulen schlossen und Kinder und Jugendliche nach Hause geschickt wurden, ahnte noch keiner, dass es sich nicht nur um eine mehrwöchige Unterrichtspause handeln würde. Doch schnell wurde klar, dass Schülerinnen und Schüler lange kein Klassenzimmer von innen mehr sehen würden.
Anstatt regulären Unterricht zu machen stand "distance learning", also Online-Unterricht im virtuellen Klassenzimmer, auf dem Programm. Ein Forschungsteam an der Goethe-Universität in Frankfurt hat nun herausgefunden, dass Kinder und Jugendliche trotz der Bemühungen der Schulen nicht viel beim virtuellen Unterricht zu Beginn der Pandemie gelernt haben.
Die Experten werteten Studien aus verschiedenen Teilen der Welt aus, die sich mit der Frage befassten, wie sich die Kompetenz von Schülerinnen und Schülern während der ersten Phase des Distanzunterrichts im Frühjahr 2020 entwickelte.
Das ernüchternde Ergebnis: Bei vielen Jungen und Mädchen, die von zuhause lernen mussten, stagnierte der Wissensstand. Einige Studien zeigten sogar Tendenzen zu Kompetenzeinbußen, also Fälle, in denen bereits gelernte Fähigkeiten wieder vergessen wurden. Der Effekt sei in etwa der Gleiche gewesen wie nach den Sommerferien.
"Im Frühjahr 2020 standen alle Beteiligten auf einmal vor einer noch nie dagewesenen Situation", sagt Svenja Hammerstein, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich pädagogische Psychologie am Institut für Psychologie der Goethe-Universität, im DW-Interview. "Sowohl Lehrer als auch Schüler traf es ohne Vorbereitung."
Das Frankfurter Team, zu dem auch Hammerstein gehörte, sah sich für die Auswertung elf Studien aus Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Österreich, China, Australien und den USA genauer an. Hammerstein betont, dass es zu den schulischen Leistungen im ersten Lockdown noch nicht viele belastbare Zahlen gibt, und dass ihre Studienauswertung eine erste Bestandsaufnahme ist.
"Riesiger Leistungsabfall" bei den ganz Kleinen
Mitzi aus Idaho, einem Bundesstaat im Nordwesten der USA, kann die Ergebnisse der Studie aus ihrer Praxiserfahrung bestätigen. Sie ist Vorschullehrerin und sagt, dass sie nach der ersten Phase des Online-Unterrichts im Frühjahr 2020 Defizite bei "ihren" Kindern beobachten konnte, obwohl sie und ihr Kollegium ihr Bestes gegeben hatten.
"Wir haben einen riesigen Leistungsabfall gesehen", sagt die Lehrerin. "Wir hatten eine ganze Menge Schüler, die am Ende des Schuljahres 2020 nicht auf dem Lese-Niveau waren, auf dem sie am Ende der Vorschule sein sollten. Als sie dann nach den Sommerferien in die erste Klasse kamen, mussten die Lehrer da viel nachholen."
"Es hängt ganz viel von den Eltern ab"
Bei den jüngsten Schülern war der Leistungsabfall während und nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 am deutlichsten zu sehen, fand auch das Frankfurter Forschungsteam heraus. "Bei jüngeren Kindern entwickeln sich kognitive Fähigkeiten noch", nennt Hammerstein als einen Grund.
Robert, Lehrer für Mathematik und Informatik an einer Schule im ländlichen Niedersachsen, unterrichtete im Frühjahr 2020 Schüler in den Klassenstufen fünf bis elf. Er hat festgestellt, dass gerade bei den Jüngsten ein Faktor entscheidend für den Erfolg des Distanzunterrichts gewesen ist.
"Es hängt ganz viel von den Eltern ab", sagt der Lehrer, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. "Nicht nur, ob sie kontrollieren, dass die Kinder ihre Aufgaben rechtzeitig abgeben, sondern auch, ob sie mit ihren Kindern gemeinsam arbeiten."
Dementsprechend überrasche ihn auch das Ergebnis der Frankfurter Forschenden nicht, dass Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Haushalten besonders benachteiligt waren. Zum einen habe die Ausstattung, mit der Kinder und Jugendliche zuhause arbeiten konnten, eine wichtige Rolle für den Lernerfolg gespielt, so der Lehrer.
Zum anderen seien Kinder im Vorteil gewesen, deren Eltern im Home Office arbeiten und sich nebenher auch noch ums Home Schooling kümmern konnten, also hauptsächlich Mütter und Väter mit Bürojobs.
"Ich habe definitiv weniger gelernt"
Aber auch ältere Schülerinnen und Schüler, die schon selbstständiger arbeiten können, berichten von Problemen mit der plötzlichen Umstellung aufs Online-Lernen.
"Am Anfang war der Distanzunterricht nicht effektiv", erzählt Maddie. Die 18-Jährige lebt im US-Bundesstaat Maryland und war im März 2020 in der elften Klasse. "Meine Schule hatte keinen standardisierten Plan, nicht alle Lehrer haben dieselbe Online-Plattform für ihre Kurse genutzt und einige Lehrer haben überhaupt nicht unterrichtet."
Die 18-Jährige Ema war im März 2020 ebenfalls in der elften Klasse. Sie besucht eine internationale Privatschule im tschechischen Prag. "Ich habe definitiv weniger gelernt und ich bin mir im Gelernten weniger sicher, als ich es gewesen wäre, wenn ich einfach normal zur Schule gegangen wäre", sagt die Schülerin.
"Wenn alle ihr Mikrofon am Computer ausgeschaltet haben [während die Lehrerin spricht], ist das Einschalten, um eine Frage zu stellen, einfach ein großer Schritt. Ich glaube, viele waren zu schüchtern, um ihre Lehrer um Hilfe zu bitten, wenn sie es gebraucht hätten. Also haben sie auch weniger Unterstützung bekommen."
Online-Unterricht nicht vergleichbar mit Schule
Immerhin: Bei späteren Lockdowns im Herbst und Winter 2020/2021 könne sich die Situation verbessert haben, sagt Hammerstein. "Experten sind hoffnungsvoll, dass sich da nicht die gleichen Effekte zeigen oder dass sie zumindest vermindert sind", so die Psychologin. Schließlich seien die Schulen zu dem Zeitpunkt schon besser vorbereitet gewesen.
Ein schwacher Trost für Maddie: Sie hat seit der Schließung ihrer Schule im März 2020 keinen Präsenzunterricht mehr gehabt. Da sie jetzt ihren High-School-Abschluss in der Tasche hat, waren die Tage vor dem überraschenden ersten Lockdown, die letzten, die sie mit ihren Freunden in einem Klassenzimmer saß. Und online lernen, sagt die angehende Studentin, sei einfach nicht vergleichbar mit Schule vor Ort.
"Ich finde schon, dass der Distanzunterricht dieses Schuljahr besser war als letztes, weil sie einige Probleme während der Sommerferien lösen konnten", sagt die 18-Jährige. "Aber online Lernen hat insgesamt bei mir nicht so gut funktioniert. Ich habe mich zu leicht ablenken lassen von Dingen, die zuhause um mich herum waren - und von allem, was in dieser Zeit auf der Welt passiert ist."